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In großer, unordentlicher Schrift schreibt er seinen Namen an die Tafel: Mr. Jones.
Die Hälfte der Klasse ist schon wieder mit anderen Dingen beschäftigt. Der Geräuschpegel steigt.
Als er sich umdreht und sieht, dass so gut wie niemand bei der Sache ist, verfinstert sich sein Blick. Eigentlich müsste er Unruhe und abgelenkte Schüler doch von den unteren Klassen gewohnt sein.
"So, jetzt legen Sie bitte alle Ihre Handys weg und hören mir zu.", beginnt er mit einem erstaunlich starken Ton. "Mein Name ist Jones und ich werde Mrs. Woods vertreten, das heißt ich bin für die nächste Zeit Ihr neuer Klassen- und Mathematiklehrer."
Während er angestrengt im Klassenbuch blättert, sehe ich ihn mir genauer an. Er hat hellbraune Haare, die ihm zu beiden Seiten ins Gesicht fallen. Seine Haut ist ein bisschen heller als seine Haare und seine grünen Augen sind von einer schwarzen Brille umrahmt. Er hat diese Art von Augen, die man schon von weitem strahlen sieht.
Er ist verhältnismäßig groß, hat breite Schultern und ist sportlich gebaut. Zwar hat er kein Sixpack (im Gegenteil, unter dem Hemd sieht sein Bauch sogar ein bisschen pummelig aus) aber immerhin hängt die Haut an seinen Oberarmen nicht wie Wäsche auf der Wäscheleine. Bestimmt geht er manchmal ins Fitnessstudio oder joggen.
Nora beugt sich zu mir herüber. "Boah, anstatt uns einen heißen jungen Lehrer als Vertretung zu geben. Da kriegen wir so 'nen alten Knacker." Ich muss laut auflachen und Mr. Jones sieht zu uns. Er war gerade dabei, die Anwesenheit zu kontrollieren.
"Und wer sind Sie?" Er schaut mich bitterböse an und mir weicht sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Für einen kurzen Moment bekomme ich keine Luft mehr und muss mich an der Tischkante festhalten.
"Erin Whyler...", antworte ich kleinlaut und schaue auf meine Hände, die sich jetzt krampfartig ineinander verschränken. Alle im Raum starren mich an. Ich möchte am liebsten in einem Loch im Erdboden versinken.
"Gut, Erin Whyler. Sind Sie immer so laut?" Er spricht meinen Namen aus, als wäre er ein Schimpfwort.
"Die?!", ruft eine Stimme von den hinteren Bänken. Die Klasse fängt an zu lachen. "Die kriegt ihren Mund so gut wie nie auf, und wenn sie etwas sagt, ist es sowieso nur Mist!"
Ich werde immer kleiner auf meinem Stuhl. Meine Mitschüler hören nicht auf zu lachen, aber Mr. Jones scheint das Ganze gar nicht so lustig zu finden. Sein Blick verfinstert sich noch mehr. Er setzt sich in Bewegung und geht langsam, fast in Zeitlupe, nach hinten zu dem größten Sprücheklopfer der Klasse.
"Und Sie, Mr. ... wie war noch gleich Ihr Name? Wenn sie ihren Mund aufmachen, scheint auch nicht viel Sinnvolles herauszukommen. Da habe ich eher noch größere Hoffnung bei Ms. Whyler als bei Ihnen." Das Lachen verstummt. Vorsichtig drehe ich mich um, aber kein Blick liegt mehr auf mir. Alle Augen sind auf Mr. Jones gerichtet, der sich nun wieder auf den Weg zur Tafel macht.
Jetzt habe ich Angst, nach dem Unterricht den Raum zu verlassen. Ich würde meinen Kopf darauf verwetten, dass ich in der Pause dumm angemacht werde. Als wäre es meine Schuld, dass der neue Lehrer Partei für mich ergriffen hat. Schließlich habe ich ihn nicht darum gebeten!
Den Rest des Unterrichts gebe ich so wenig Laute von mir wie möglich. Auch der Rest der Klasse ist still. Wahrscheinlich sind sie noch geschockt von dem Konter vorhin und müssen erst ihre Grenzen bei Mr. Jones austesten. Nora jedenfalls beobachtet ihn die restliche Stunde mit großen Augen, als wollte sie abschätzen, wie weit man bei ihm gehen kann, bevor er ausrastet.
Während wir in Partnerarbeit eine Aufgabe lösen sollen, flüstere ich meiner besten Freundin so leise wie möglich zu: "Nora, ich glaube gar nicht, dass er so alt ist. Also im Vergleich zu Anderen." Sie kichert darauf nur und vertieft sich wieder ins Buch. Er sieht wirklich nicht so alt aus...
Ich hebe vorsichtig den Kopf, um zu Mr. Jones zu sehen. Aber er sieht bereits zu mir und unsere Blicke treffen sich. Ich kann seinen Ausdruck nicht deuten - es liegt etwas Böses in seinen Augen, aber gleichzeitig sehen sie auch so sanft aus, so neugierig und warm. Seine hellroten Lippen sind fast zu einem Lächeln gebogen. Nur fast. Schlagartig wende ich den Kopf ab und muss die Augen zusammenkneifen.
Mein Herz schlägt plötzlich viel zu schnell. Ich frage, ob ich auf die Toilette darf, und spüre förmlich seinen Blick in meinem Rücken, als ich hastig das Klassenzimmer verlasse. Im Waschraum spüle ich meine Hände kalt ab und auch mein Gesicht.
Ich kann das nicht. Sie werden über mich herfallen wie Hyänen über ein Stück Aas. Dabei habe ich diesen Jones nicht darum gebeten, mich zu verteidigen. Außerdem hat mich sein merkwürdiger Blick eben total aus der Bahn geworfen. Was ist das bloß für ein komischer Kerl?
Nach der Stunde gehe ich ins Sekretariat und melde mich für den Rest des Tages krank. Nora will mich noch zum Auto bringen, aber ich lehne dankend ab. Sie umarmt mich ganz fest und verabschiedet sich. Dann trottet sie alleine zum nächsten Raum. Im Prinzip geht es ihr genauso wie mir. Sie hat niemanden außer sich selbst. Und mich. Nur wird sie von den Anderen in Ruhe gelassen. Es tut mir leid, sie jetzt alleine zu lassen, aber ich möchte nicht länger in der Schule bleiben. Zu groß ist die Angst vor meinen Mitschülern.
Als ich quer über den Schulhof zum Auto gehe, sehe ich, wie Mr. Jones vom Lehrerparkplatz her wieder in Richtung Schulgebäude geht. Als er mich sieht, verlangsamt sich sein Schritt, es sieht fast so aus, als würde er stehen bleiben wollen. Er wird doch nicht zu mir kommen? Er sieht zu mir rüber, aber er ist zu weit weg, als dass ich Details erkennen könnte. Bevor er auf die Idee kommt, in meine Richtung zu kommen, richte ich meinen Blick wieder zu Boden und gehe weiter Richtung Auto. Als ich vom Parkplatz fahre, ist er nicht mehr zu sehen.

Don't.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt