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Drinnen hängen wir unsere Jacken an die Garderobe und ich schlüpfe in meine Flausch-Hausschuhe. Meine Füße fühlen sich an wie frisch aus dem Tiefkühlfach. Henry sieht mich skeptisch an.
"Was ist denn?"
"Ich weiß nicht, ob das hier eine gute Idee ist."
„Ich würde es verstehen, wenn du lieber gehen möchtest."
„Jetzt bin ich hier."
„Wie du meinst. Gehen wir hoch?"
Ich laufe vor ihm, das heißt er könnte mir jetzt ungestört direkt auf den Hintern glotzen wie ein... Pädophiler.
Ich öffne meine Zimmertür und könnte mich sofort dafür ohrfeigen, dass ich wieder nicht aufgeräumt habe. Überall liegt Kram und ganz oben auf dem Klamottenhaufen auf meinem Schreibtischstuhl thront natürlich eine Sammlung frisch gewaschener BHs.
"Warte, ich räum' das...", stammele ich und stopfe meine Wäsche in den nächstbesten Schrank. Er weiß zwar wahrscheinlich, wie eine Frau in Unterwäsche aussieht, aber trotzdem muss er ja nicht... ich meine, er ist mein Lehrer!
"Kein Problem. Als ich in deinem Alter war, sah mein Zimmer auch so aus." Na toll, genau so etwas sagt mein Dad auch immer. Ich drehe mich um und werfe ihm einen bösen Blick zu, aber er sieht nicht zu mir, sondern schaut sich im Raum um.
"Wie war das mit dem Genie und dem Chaos..."
Als endlich keine Unterwäsche mehr herumliegt und man den Fußboden wieder halbwegs sehen kann, setze ich mich neben ihn an das Fußende meines Bettes. Eine Weile sitzen wir nur so da. Ich starre meine Füße an und weiß nicht, was ich sagen soll. Das Ganze wirkt immer noch sehr unwirklich auf mich.
Fassen wir die ganze Sache einmal zusammen: Ich habe einen Lehrer. Er ist lieb und nett und gutaussehend. Er hat meine Handynummer und ich habe seine. Wir schreiben uns Nachrichten. Wir haben uns schon außerhalb der Schule getroffen und tun es jetzt gerade auch. Ich bin in seinem Auto mitgefahren. Er hat schon öfters meine Hand genommen und mich umarmt. Ach so, fast hätte ich es vergessen. Ich bin verliebt in ihn. Hals über Kopf. Und das alles ist ungefähr so verboten wie ein Kind zu vergewaltigen... denn es ist so ziemlich dasselbe! Naja fast. Oh mein Gott.
Henry reißt mich aus meinen Gedanken. "Hey, du hast ja eine richtige Musiksammlung. Beeindruckend." Er steht auf und geht zu meinem CD-Regal. Ja, ich bin einer der wenigen Menschen, die noch CDs besitzen und nicht ihre ganze Musik auf irgendeiner Internetseite gespeichert haben.
"Ja, naja das meiste davon ist wohl nicht mehr so aktuell."
Henry holt eine Scheibe aus dem Regal und dreht sich zu mir um. "Vivaldi's Vier Jahreszeiten, nicht schlecht." Er sieht mich beeindruckt an.
"Oh Gott, pack das besser weg.", sage ich peinlich berührt. Henry lacht.
"Ach, Mädchen." Er kommt wieder zurück zum Bett und hockt sich vor mir hin. Dann legt er eine Hand auf meinen Oberschenkel.
"Hör' zu, Erin." Oh, oh. Ich habe kein gutes Gefühl bei diesem Satz. Das wird in eine ganz falsche Richtung führen. Ich weiß nicht, ob ich ihn ansehen soll, aber ich merke, dass er mich ansieht. Sein Gesichtsausdruck ist traurig.
"Wem machen wir hier etwas vor. Du weißt genauso gut wie ich, dass das nicht sein darf." Er deutet auf sich und mich. Endlich traue ich mich, ihm in die Augen zu sehen. Und alles, was ich dort finde, sind Enttäuschung und Zweifel. Ich kann nicht anders, als seine Hand zu nehmen. Er lässt es zu.
„Mein erster Fehler war es, dich länger anzusehen als nötig, an meinem ersten Tag in eurer Klasse."
„Du denkst, das war ein Fehler?", frage ich, aber er beantwortet meine Frage nicht.
„Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie lange ich an diesem Abend wach im Bett lag und nicht schlafen konnte, weil ich diese Gedanken nicht ordnen konnte? Ich war noch nie so verunsichert! Aber ich konnte nicht anders, als über dich nachzudenken."
„Ich musste auch die ganze Zeit an dich denken."
Henry hebt seine Stimme. „Aber wieso? Was ist an mir, was Jungs in deinem Alter nicht auch haben?"
„Bei dir fühle ich mich sicher. Du gibst mir das Gefühl, dass alles gut werden kann."
„Aber das wird es nicht. Mit mir in deinem Leben wird nichts gut werden, Erin!"
"Henry, du kannst mich jetzt nicht alleine lassen. Wenn ich dich nicht habe, finde ich keinen Mut mehr, noch zur Schule zu gehen. Verstehst du mich denn nicht? Du gibst mir Mut." Er streichelt meine Wange und wischt mir eine Träne weg, die über meine Wange läuft.
"Weißt du eigentlich, wie schwer es für mich ist, dich jeden Tag in der Schule zu sehen und nicht das hier tun zu können?" Er schaut auf unsere Finger, die nun ineinander verschränkt sind. Ich sehe ihn an.
"Wenn uns jemand so sieht... Ich komme in Teufels Küche, Erin..."
"Aber ich bin alt genug!" Nein, das klingt verzweifelt. Und es ist nicht wahr.
Henry richtet sich auf, sodass sein Gesicht jetzt auf der Höhe von meinem ist. Langsam kommt er näher, ich kann schon fast seinen Atem an meinen Lippen spüren. Mein Herz schlägt immer schneller.
"Ich kann den ganzen Tag an nichts Anderes mehr denken als an dich. Und ich weiß, dass ich mich von dir fernhalten sollte. Aber ich kann es nicht. Und ich will es nicht. Erin..."
"Mr. Jones, ich..." Ich senke den Kopf, aber er legt seinen Daumen unter mein Kinn und hebt ihn wieder an.
"Was tun wir hier eigentlich? Du hast mir komplett den Kopf verdreht."
Und dann küsst er mich. Und ich zerfalle in meine Einzelteile. Ich bin nicht mehr hier, bin nicht mehr ich, ich bestehe nur noch aus meinen Lippen, die mit Henrys verschmelzen.
Endlich macht alles Sinn. Alles fühlt sich für einen Moment richtig an. Ich spüre nur Henry, wie er mich küsst, anfangs vorsichtig, aber langsam wird er energischer, fast schon leidenschaftlich. Mit der einen Hand fährt er durch meine Haare, während er sich mit der anderen am Bett abstützt, denn er hockt ja immer noch vor mir. Nun macht er sich groß und es wirkt so, als wollte er mich auf das Bett drücken. Ich umfasse seinen starken Nacken und halte mich an ihm fest, streichele seinen Haaransatz.
Und tatsächlich, jetzt drückt er mich langsam, ganz vorsichtig, rückwärts auf die Matratze. Ich lasse es zu, im Moment funktioniert mein Gehirn sowieso nicht. Er legt mich hin und ist dabei so behutsam, als wäre ich aus Glas und würde jeden Moment in tausend Scherben zerbrechen. Ich merke, wie er sich abstützt, sodass er nicht zu schwer auf mir ist.
Wenn jetzt meine Eltern kommen... Ach Quatsch, Mom meinte, es wird spät.
Henry hat sich mittlerweile von meinen Lippen gelöst und arbeitet sich nun in Richtung Hals vor. Gerade ist er an meinem linken Ohr.
"Hey, das kitzelt ja.", murmele ich und sehe ihn selig an.
Und dann geht alles ganz schnell. Henrys Gesichtsausdruck verändert sich schlagartig von amüsiert zu erschrocken und wie vom Blitz getroffen fährt er hoch und springt von mir weg. Ich komme gar nicht so schnell hinterher und blicke ihn nur schockiert an. Er taumelt ein paar Schritte zurück und stolpert fast über meine Schultasche. Ich setze mich auf und schiebe mir meine zerzausten Haare aus dem Gesicht.
"Was ist denn auf einmal?" Meine Stimme zittert und ich habe einen riesigen Kloß im Hals. Henry fährt sich durch die Haare. Er sieht aus, als hätte er einen Geist gesehen. Ich mache Anstalten aufzustehen, doch er weicht nur noch mehr zurück. "Henry, was hast du?"
"Ich kann das nicht, ich meine, wir können das nicht! Ich gehe jetzt besser."
Er schnappt sich seine Jacke und dann ist er auch schon aus der Tür und auf der Treppe. Ich renne ihm hinterher, was wahrscheinlich ein wenig hysterisch aussieht, aber er dreht sich nicht um, bis er an der Haustür steht und die Klinke schon festhält.
"Es tut mir leid", flüstert er. Ich kann ihn nur fassungslos ansehen. Dann schüttelt er kaum merklich den Kopf und im nächsten Moment ist er draußen. Den Weg zum Auto sprintet er fast, und schon ist er weg und lässt mich alleine und völlig fassungslos zurück.

Don't.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt