Meine Eltern haben nichts dagegen, dass ich heute Abend nicht da sein werde - im Gegenteil, sie freuen sich, dass ich "mal wieder raus komme". Und während ich oben in meinem Zimmer voller Vorfreude ein paar Sachen zusammenpacke, schaue ich immer wieder erwartungsvoll auf mein Handy, aber es kam immer noch keine Meldung von Henry. Er wird unser Treffen doch nicht vergessen haben? Ach, wahrscheinlich bin ich einfach nur viel zu aufgeregt und er sieht dem Abend eher gelassen entgegen. Er sitzt bestimmt auf dem Sofa und trinkt gemütlich einen Kaffee oder vielleicht bezieht er ja auch gerade das Bett neu, damit alles frisch ist, wenn wir uns gleich sehen. Ich kann an nichts anderes denken als daran, dass ich heute Abend endlich mit ihm schlafen will. Ich will ihm so nah sein wie nie zuvor. Und seit heute ist es gesetzlich gesehen ja auch nicht mehr verboten. Ich bin immerhin heute achtzehn Jahre alt geworden und damit falle ich hier in Delaware nicht mehr in das Schutzalter, das geht nämlich nur bis zum achtzehnten Geburtstag. Und da soll noch einer sagen, ich würde mich nicht auskennen. Letztendlich ist es mir aber auch egal, ob sowas erlaubt ist oder nicht. Ich liebe Henry über alles und wenn wir miteinander schlafen wollen, werden wir wohl kaum auf irgendwelche Vorschriften und Paragraphen Rücksicht nehmen...
"Ich bin dann weg, Mom, Dad, bis morgen!", rufe ich und greife nach meinem Schlüsselbund.
"Viel Spaß, Schatz, hab' einen schönen Abend!" Wenn die nur wüssten... Ich lasse mir auf dem Weg zu Henrys Wohnung ein bisschen mehr Zeit als sonst, fahre ein paar Umwege und immer 10mph unter dem Limit. Kurz nach neun Uhr parke ich mein Auto vor dem Wohnhaus. Langsam steige ich aus und hole meine Tasche aus dem Kofferraum. So weit ich es von hier unten aus sehen kann, ist bei Henry Licht an. Für einen Moment hatte ich vorhin die Befürchtung, er könnte nicht da sein. In der Eingangshalle des Hauses werde ich vom Hausmeisterfreundlich begrüßt. Er hat mich schon ein paar Mal mit Henry hochfahren sehen und kennt mittlerweile sogar meinen Namen. Heute sieht er allerdings nicht so glücklich aus wie sonst - er sieht mich mit einem fast mitleidigen Blick an. Ich mache mir nicht viel daraus und steige in den Fahrstuhl. Zu groß ist die Vorfreude auf die bevorstehende Nacht mit Henry.
Bevor ich klingele, zupfe ich noch einmal meine Kleidung zurecht und fahre mir durch die offenen Haare, die ich vorhin extra gewaschen habe und die jetzt nach einem riesengroßen Blumenstrauß riechen.
Hinter der Tür höre ich Absätze klackern. Stehe ich vielleicht vor der falschen Tür oder habe ich vielleicht auf den falschen Klingelknopf gedrückt? Nein, hier steht groß und deutlich "Jones" dran. Ach, vielleicht ist es nur seine Mutter oder eine Freundin... Unruhe macht sich breit und explodiert in einer Schockstarre, als nicht Henry mir die Tür öffnet, sondern eine fremde Frau, die sich jetzt gegen den Türrahmen lehnt und mich amüsiert ansieht. Ich würde sie auf Mitte, Ende dreißig schätzen. Sie ist sehr hübsch, die roten Haare fallen ihr in großen Wellen um die Schultern und ihre dunkelgrünen Augen scheinen mich von innen zu verbrennen. Noch dazu hat sie eine mega Figur, was ich nur allzu leicht erkennen kann, denn sie hat nichts weiter an als einen Hauch-von-Nichts-Slip in schwarz und ein großes T-Shirt von Henry.
"Wir kaufen nichts, Kleine", bemerkt sie noch bevor ich etwas sagen kann und will die Tür schon wieder vor meiner Nase schließen. Doch sie hält inne, denn aus dem Bad erscheint Henry und kommt zur Tür. Ich hätte ja erwartet, dass er ähnlich spärlich bekleidet ist, aber er trägt eine schwarze Jeans und ein dunkelgraues Hemd. Oh Gott, er sieht so gut aus. Als er mich sieht, wird er kalkweiß im Gesicht und bekommt kein Wort raus. Sein Mund steht halboffen und ich bemerke, wie sich alle seine Muskeln anspannen.
"Henry, ich glaube, sie will uns etwas verkaufen", kichert die Frau und dreht sich zu ihm um.
"Geh' wieder rein", herrscht er sie an. "Es geht um die Schule, das interessiert dich sowieso nicht." Er zwängt sich an ihr vorbei und drückt sie forsch zur Seite, wofür er einen bitterbösen Blick von ihr erntet. Als sie im Flur verschwunden ist, wendet er sich wieder mir zu. Ich bin kurzdavor, in Tränen auszubrechen, aber gebe alles, um mich zusammen zu reißen. Wenn ich jetzt weine, sieht er, wie schwach ich bin. Als hätte er das in der Schule nicht schon oft genug gesehen. Er kommt mir so nah, dass ich seinen warmen Atem spüren kann. Ich will seine Lippen nicht berühren - nie wieder. Wer weiß, wo er sie damit schon berührt hat.
"Erin, lass' es mich dir erklären, bitte", beginnt Henry mit gedämpfter Stimme. Er sieht aus als hätte er Angst, dass ich jeden Moment umkippe oder ihm eine Schelle verpasse. Aber ich kann nur dastehen und ihn ansehen mit einer Mischung aus Traurigkeit und Enttäuschung. Ich hätte es wissen müssen.
"Ist schon...", beginne ich, aber sofort fängt meine Stimme an zu brechen. Ich möchte nicht weitersprechen. Aber irgendetwas muss ich ihm doch sagen. Ich reiße mich zusammen und versuche, eine halbwegs starke Stimme herauszubringen.
"Ist schon gut. Ich geh' lieber wieder. Will nicht stören.", sage ich und räuspere mich. Gerade will ich mich zum Gehen umdrehen, aber Henry greift nach meinem Oberarm und hält mich zurück. "Erin, ich weiß, wie das jetzt für dich aussieht. Aber so ist es nicht! Wenn du mir nur eine Minute zuhörst..."
Ich will weg, einfach nur weg von hier. Mit einem Ruck reiße ich mich aus seinem Griff los und taumele einige Schritte zurück. Meine Beine wollen unter mir nachgeben und ich stütze mich an der Wand ab. Henry sieht mich traurig an. Er macht einen Schritt aus der Tür. "Bitte bleib'..." Jetzt steht er wieder direkt vor mir, dieses Mal fasst er mich aber nicht an, sondern versucht, mich mit seinen Blicken festzuhalten. Wie gerne würde ich bei ihm bleiben, aber scheinbar war alles eine riesengroße Lüge. Alles nur ein Spiel.
Es ist zu spät. Die Tränen laufen über mein Gesicht wie eine Flutwelle und ich wische mir mit dem Ärmel über die Augen. Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein trauriger Clown mit meinem verschmiertem Make-up.
"Lass' mich einfach in Ruhe, Henry. Ich will nichts mehr von dir wissen.", bringe ich mühsam zwischen zwei Schluchzern hervor.
"Erin, nein! Es ist ganz anders..."
"Lass' es gut sein. Es hat sich jetzt sowieso erledigt. Zum Glück habe ich es heute bemerkt und nicht erst später. Ich hätte nicht gedacht, dass du zu dieser Art von Männern gehörst. Aber Mr. Jones ist anscheinend immer für eine Überraschung gut."
"Erin, hör' auf damit! Du weißt nicht, was du sagst!" Erneut will er nach meinem Arm greifen, aber ich ziehe ihn weg und hole stattdessen zu einer deftigen Ohrfeige aus. Oh Mann, die hat gesessen. Jetzt tut meine Hand weh. Aber das war es mir wert. Das Klatschen fährt durch meinen Körper wie ein Blitzschlag und lässt mich zusammenzucken. Henry hält eine Hand an seiner Wange, die jetzt rot wird, und sagt kein Wort. Langsam mache ich einige Schritte rückwärts.
"Du und ich sind nicht mehr zusammen." Und dann stehe ich wieder im Fahrstuhl und fahre nach unten.
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Don't.
Teen FictionDie 17-jährige Erin wird in der Schule stark gemobbt und leidet regelmäßig unter Panikattacken. Als dann auch noch ihre Klassenlehrerin, die ihr immer zur Seite stand, in den Mutterschutz geht, bricht für Erin eine Welt zusammen. In den Vertretungsl...