[1] Kapitel 23: Himmel oder Hölle

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Lokis Sicht

Odin nahm mir meine Halskette ab, damit ich ebenfalls in Vanaheim einmarschieren konnte. Er stoppte in seinem Tun und sah mich mit finsterem Blick an. »Ich sage dir, mein Sohn, wenn du auch nur auf die Idee kommst, irgendwelche Schandtaten zu verüben, werde ich dich höchstpersönlich in die Knie zwingen. Hast du mich verstanden?«
     Ich nickte genervt. Natürlich kam es mir zugute, dass mir die Halskette, welche mich in Asgard gefangen hielt, abgenommen wurde. Allerdings war mein erstes Ziel Navina in Sicherheit zu wiegen. Alles andere stand an zweiter Stelle.
     Zudem traute ich mir nicht einzugestehen, dass meine Taten zuvor sehr unangebracht waren. Dass ich mein Volk so im Stich gelassen habe. Den Verletzten nicht geholfen habe. Ich sollte mich dafür entschuldigen, allerdings ist mein Ego dafür zu groß.
     Mein Vater nahm mir die Kette ab und legte sie in eine Schmuckschatulle. »Sobald du zurückkehrst, wird sie dir wieder angelegt.«
     Ich nickte und sah auf den Boden. »Kann ich dich etwas fragen, Vater?«
     »Nur zu.«
     »Hast du dich entschieden? Wer Thronfolger wird meine ich.«
     Er legte mir eine Hand auf die Schulter und sprach. »Die Taten, die du begangen hast, sind unverzeihlich, mein Sohn. Ich sagte ja, dass meine Entscheidung gefällt ist, wenn du deinem Volke den Rücken zukehrst, allerdings...kann ich diese Entscheidung nicht beschließen. Noch nicht.«
     Ein riesen Stein fiel mir vom Herzen. Glaubte er wirklich noch so fest an mich, dass er nach all meinen Schandtaten glauben würde, seine Wahl würde auf mich treffen? Das ist fast schon unzumutbar.
     »Du bist für großes geschaffen worden, mein Sohn. Wirf das nicht so einfach weg, indem du allen Menschen, die dich lieben, den Rücken zukehrst.«
     So habe ich noch nie mit meinem Vater zuvor gesprochen. Das war wohl das offenste und ehrlichste Gespräch, was ich mit ihm jemals geführt habe.
     Meine Augen wurden glasig. Seine Worte bedeuteten mir so viel.
     »Ich verstehe...danke, schätze ich.«
     »Ganz allein dir musst du danken, für die Taten, für die du dich entscheidest. Und ich hoffe wirklich sehr, dass du alsbald die guten Dinge im Leben wählst.«
     Er drückte meine Schultern. Nach einigen Sekunden ließ er von mir ab und setzte sich zurück auf seinen goldenen Thron. »Befreit Navina und schützt unser Volk vor weiteren Angriffen.«
     Ich verbeugte mich und lief anschließend aus dem Thronsaal. Meine Füße trugen mich zu Thor, welcher vor den Toren des Palastes auf mich wartete.
     Mittlerweile waren einige Tage vergangen, seitdem Alastair uns angegriffen und Navina entführt hatte. In diesen Tagen haben wir fleißig an unserem Rettungsplan getüftelt. Und heute war der Tag gekommen, an dem wir ihn ausführten.
     Wir hatten uns dazu entschieden Vanaheim allein zu betreten. Je weniger wir waren, umso weniger Aufmerksamkeit zogen wir auf uns. Natürlich kannte das Volk unsere Gesichter, allerdings war dies ebenfalls kein Problem.
     »Bist du bereit?«, fragte Thor, als ich mich an seine Seite stellte.
     Ich nickte und verhüllte mithilfe von Magie meine zwei Dolche. Mit zielsicheren Schritten überquerten wir die Regenbogenbrücke in Richtung Bifröst. Nun durfte nichts schief gehen. Es musste alles nach Plan laufen. 
     »Heimdall, wir sind bereit«, sagte Thor.
     »Und ihr seid euch wirklich sicher, dass euch niemand begleiten soll, eure Hoheiten?«, erwiderte Heimdall misstrauisch.
     »Ziemlich sicher«, antwortete ich und grinste verschmitzt, denn irgendwie freute ich mich auf die kommenden Kämpfe.
     Ich ließ meine Magie spielen und verzauberte die Erscheinungen meinerseits und die meines Bruders in unerkennbare Reisende. Mit einem letzten Nicken betraten wir den Strahl und wurden nach Vanaheim teleportiert. Mit einem lauten Knall landeten wir auf einer abgelegenen Wiese. Ein Kreis aus Runen zeichnete sich unter uns auf dem Fleck Wiese ab.
     Schnell versuchten wir von dem Ort zu verschwinden, an dem wir möglicherweise Aufmerksamkeit erregt haben könnten.
     »Lass uns Einheimische fragen, wo dieser Alastair wohnt«, sagte Thor.
     Wir mischten uns unter das Volk wie normale Reisende. Es war schwer den Zauber aufrecht zu erhalten, aber solange uns niemand in die Quere kam, war ich im Stande, die nötige Kraft aufzubringen.
     Vanaheim war eine schöne Welt. Sehr idyllisch und harmonisch. Allerdings gab es auch hier, wie in allen anderen Welten, ihre Schurken. Alastair war einer davon.
     An jedem Wanen, an dem wir vorbeiliefen, blieben wir stehen und erkundigten uns nach dem Aufenthaltsort von Alastair. Viele von ihnen blickten uns mit angsterfüllten Augen entgegen. Er scheint ein wahrlich gefürchteter Mann zu sein.
     Doch einer von ihnen, gab uns eine Antwort, auf unsere Frage. Sein Haus stand an einer Straße, welche sich Himmel oder Hölle nannte. Sehr ironisch, gefiel mir.
     Während wir seinen Wegweisungen folgten, legte sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Thor bedachte mich mit einem verwirrten Blick. »Was ist so amüsant?«, fragte er.
     »Eine Straße, die sich Himmel oder Hölle nennt. Und ausgerechnet ein Mann wie er, wohnt in einem Haus in dieser Straße. Komm schon, Thor, das ist witzig.«
     Er schüttelte den Kopf. »Das ist empathielos, nichts weiter.«
     Ich wackelte mit den Schultern. 
     Nach einer halben Ewigkeit erreichten wir die gigantische weiße Villa. Die Sonne war schon dabei unterzugehen. Der rote Dämmerungston erhellte die Gegend und warf einen rötlichen Schein an die weiße Fassade des Hauses. Geschmack hatte er, daran konnte man nicht zweifeln.
     Die Wachen, welche an der Haustür standen, beobachteten uns schon seitdem wir in deren Blickfeld geraten sind. Unauffällig näherten wir uns dem Haus.
     »Wer sind Sie?«, fragte einer der Wachen.
     »Reisende. Wir wollten dem berühmtberüchtigten Alastair einen Besuch abstatten«, erwiderte ich.
     »Daraus wird wohl nichts. Fremden ist der Zutritt nicht gestattet.«
     Ich erlaubte mir einen Spaß und änderte mein Aussehen. »Und wie sieht es mit dem aus?«, fragte ich und warf meine Hände fragend in die Höhe.
     »Hast du den Verstand verloren?«, keifte mir Thor von der Seite entgegen.
     Ich sah ihn an. »Den Blick war es wert«, grinste ich teuflisch. Ich zögerte nicht lange, holte aus und schlug einem der Wachen mitten ins Gesicht. Thor tat es mir gleich und aufgrund der plötzlichen Überrumpelung lagen die beiden nach einem Schlag ohnmächtig auf den Treppen des Eingangs.
     Mein Gesicht verzog sich zu einer verspielten Grimasse. »Gott, habe ich das vermisst.«
     Thor trat die Eingangstür ein. Zurück in unserem alten Aussehen stürmten wir das Haus. »Ich geh nach oben«, warf ich Thor entgegen. Er nickte und machte sich auf den Weg die untere Etage auszukundschaften.
     Ich durchsuchte jedes dieser hundert Zimmer, doch in keinem konnte ich Navina finden. Verzweiflung kroch meinen Hals hinauf. Wo zur Hölle steckte sie?
     Ich rannte zurück die Flügeltreppe nach unten. Lautes Stimmengewirr vernahm ich aus einem Saal am Ende des Ganges. Thor stand Alastair und einigen anderen Männern gegenüber.
     »Oh, der zweite Bruder leistet uns also ebenfalls Gesellschaft«, sagte Alastair selbstgefällig. »Nun ihr seid zu spät. Die Kleine ist sicher über alle Berge...und vermutlich von irgendwelchen wilden Tieren gefressen worden.«
     Ich warf Thor einen fragenden Blick zu und er verstand. Schnell stürmte ich aus dem Haus in die nahegelegenen Wälder. Sie musste hier irgendwo sein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 18 ⏰

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