Kapitel 15

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Evelyn:

Ich habe die gesamte Nacht nicht eine Minute geschlafen. Es mag zwar übertrieben klingen, aber es war wirklich so. Zum einen lag es an meiner Schlafstörung und zum anderen an dem 1,90m großen, braunhaarigen Fußballspieler, der auch Kyle genannt wird. Meine Gedanken kreisen seit gestern Abend nur noch um ihn. Dabei dachte ich, dass ich seinem Charme widerstehen könnte. Fehlanzeige. Niemand widersteht dem heißesten Jungen der Schule, nicht einmal das Mädchen, dass von seinen Eltern aufgenommen wird. Kyle kriegt jede die er will. Er muss nicht einmal großartig etwas dafür tun. Alle fallen ihm zu Füßen. Was ich mich bloß Frage ist, warum er mich wollte? Ich bilde mir zwar nichts Großes darauf ein, aber ich kann sein Verhalten einfach nicht verstehen. An einem Tag bin ich das Mädchen, dass er beleidigt und am liebsten aus der Stadt haben will und am anderen verbringt er den Tag mit mir und küsst mich dann um meinen Verstand. Ich habe einige Fragen, aber die werde ich erstmal nicht beantwortet bekommen und das ist auch gut so, schließlich sind wir im Urlaub.

„Morgen, Taylor." Ich setze mich auf einen der Hocker vor der Theke.

„Na, wie geht's? Willst du auch ein Spiegelei?" Ohne auf meine Antwort zu warten, stellt er mir einen Teller vor die Nase.

„Gut, danke. Ich wusste gar nicht das du kochst?"

„Oh, ich auch nicht. Aber irgendwie haben die Spiegeleier auf YouTube ziemlich einfach ausgesehen." Lachend gesellt er sich zu

mir. Ich nehme meine Gabel in die Hand und fange an zu essen aber das Schicksaal meint es wieder einmal nicht gut mit mir.

„Guten Morgen." trällert Taylor neben mir, als er seinen Zwillingsbruder entdeckt.

„Hast du noch was übrig?" fragt Kyle ihn, ohne mich einmal anzusehen.

„Klar, man. Setz dich ruhig, ich bring es dir gleich." Taylor deutet auf den einzigen freien Hocker direkt neben meinem. Gott bewahre

mich.

„Danke." Kyle lässt sich neben mir nieder, wagt es aber immer noch nicht einen Blick auf mich zu werfen. Irgendwie ist es verletzend, aber zugleich ist es mir auch egal. Ich habe das gestern genossen, trotzdem bin ich jetzt nicht total besessen von diesem Kerl. Ich habe immer noch nicht vergessen, was er mir schon alles angetan hat.

„Und wie hattet ihr es gestern so?" richtet Tay seine Frage an mich und Kyle.

„War ganz okay." versuche ich so gelassen wie möglich zu klingen.

Die Antwort darauf ist ein Schnauben von Kyle. Keine Ahnung, was jetzt schon wieder sein Problem ist.

„Hat Kyle Ärger gemacht?" Taylor setzt sich wieder neben mich.

„Nein."

„Gut, denn Kyle..." Mein Pflegebruder dreht sich und zeigt mit der Gabel auf den Typ, der mich gestern noch geküsst hat. „...so gern ich dich auch mag, Bruder. Evelyn gehört genauso zur Familie also werde ich sie verteidigen, verstanden?"

Gerührt blicke ich zu Tay und murmle ein Danke.

„Ja, ich hab's ja kapiert. Auch wenn ich keine Angst vor dir habe." Den letzten Teil murmelt er.

„Bist du mit dem falschen Fuß aufgestanden?" frage ich ihn genervt.

„Nein, ich hatte nur einen schlechten Abend." Endlich wendet er sich mir zu aber als ich seinen Blick sehe, wäre mir lieber gewesen er starrt weiterhin die Wand an. Kyle blickt mich einfach nur eiskalt an. Als wäre die Hitze von gestern Abend komplett vergessen. Wahrscheinlich besser so.

„Leute, sowas nennt man Geschwisterliebe." Lachend schiebt Taylor sich die nächste Gabel in den Mund, ohne zu wissen, was er da gerade gesagt hat.

„Das ist -"

„Bullshit. Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß, Taylor." Kyle lässt seine Gabel auf den Teller fallen.

„Beruhige dich, Bruder. Das war ein Scherz."

„Ein sehr lustiger."

„Was ist denn mit dir los? Warum bist du so gereizt?"

„Gibt keinen Grund." murrt Kyle neben mir.

„Dann schau das du eine bessere Laune an den Tag legst. Ist ja kaum auszuhalten."

„Dann geh doch. Niemand zwingt dich hier zu sein?"

„Kyle." versuche ich ihn zu beruhigen, aber er dreht sich nicht einmal in meine Richtung, sondern ignoriert mich einfach komplett.

„Ich weiß nicht mehr weiter." Taylor stelle seinen Teller auf der Kücheninsel ab. „Du wirst dich nie wieder in diese Familie integrieren, egal was passiert, stimmts?"

Verwirrt sehe ich zwischen den beiden Zwillingen hin und her.

„Wage es nicht dieses Thema jetzt aufzubringen."

„Warum nicht? Fängst du sonst an zu heulen?" beginnt Taylor ihn zu provozieren.

„Nein. Aber dann zettelst du hier etwas an, dass du nicht beenden kannst."

„Jungs, kommt runter."

„Nicht, Evelyn." Kyle wendet sich endlich wieder in meine Richtung. Sein Kiefer ist angespannt und seine Augen sind starr auf mich gerichtet. Plötzlich ist mir sein Blick doch zu viel und ich bin diejenige, die sich wieder wegdreht.

„Findest du nicht, dass es langsam Zeit wäre die Vergangenheit ruhen zu lassen?"

„Es geht hier nicht um das, was damals passiert ist." weicht er aus.

„Um was geht es dann, Kyle? Es geht doch immer nur um Lilly."

„Sprich ihren Namen nicht aus."

„Nur weil du es nicht schaffst deinen Schmerz zu verarbeiten bedeutet das nicht, dass ich sie für immer totschweigen muss."

„Pass auf was du sagst." Kyle steht prompt auf. Er schaltet sofort in den Verteidigungsmodus.

„Seit Jahren lassen dich alle in Ruhe aber hast du irgendwann mal gedacht, was du unserer Familie eigentlich antust?" Nun steht auch Taylor.

„Was ich unserer Familie antue? Checkt denn keiner von euch das ich derjenige bin, der am meisten darunter leidet, was damals passiert ist und dass ich es nicht verarbeiten kann? Ich bin kaputt. Verdammt kaputt, aber es geht immer nur darum, dass ich es nicht schaffe für eine längere Zeit ein glückliches Familienleben vorzuspielen, dass eigentlich nicht existiert." brüllt Kyle schon fast. Irgendwie tut er mir sogar ein kleinwenig leid. Ich kenne das Gefühl, wenn niemand versteht, was man eigentlich durchmacht.

„Wie wärs, wenn wir uns alle einmal hinsetzen?" versuche ich es.

„Wie wärs, wenn du uns einfach allein reden lassen und dich verdammt nochmal verkriechen würdest?"

„Rede nicht so mit ihr, man. Sie kann nichts dafür." verteidigt Taylor mich.

„Sie ist hier einfach so reingeplatzt und hat alles noch komplizierter gemacht als es ohne hin schon war."

„Das Thema haben wir doch schon durchgekaut. Lass es uns einfach gut sein lassen."

„Gut." damit verschwindet der ältere der beiden Brüder schnell aus der Küche.

„Tut mir leid. Er meint es nicht so."

„Ich weiß." Murmle ich, obwohl ich mir da nicht ganz so sicher bin. Ich dachte, dass er nach gestern wenigstens nett zu mir wäre aber falsch gedacht. Er ist immer noch derselbe Kyle, mit dem Unterschied, dass dieser Kyle weiß, wie sich meine Lippen anfühlen. Gott, ich muss das wirklich aus meinem Kopf bekommen und damit abschließen, sonst treibt es mich noch in den Wahnsinn.

„Er ist manchmal nur so-"

„Impulsiv." beende ich den Satz für ihn.

„Genau. Er kann seine Emotionen nicht im Zaun halten. Schon gar nicht, wenn er sich angegriffen fühlt."

„Ich glaube trotzdem, dass er es nicht leicht hat." Versuche ich ihn aus irgendeinem Grund in Schutz zu nehmen.

„Mag sein, aber das gibt ihm nicht das Recht jeden so zu behandeln, wie er gerade Lust hat."

Ending LonelinessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt