9 ~ Angie

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Ich wachte im Krankenhaus auf. Germán saß schlafend neben meinem Bett. Ich sah mich in meinem Zimmer um. Es war relativ dunkel und ich war an vielen Geräten angeschlossen. Ich hatte einen Sauerstoffschlauch in der Nase, der mich mit Sauerstoff versorgte. Mein Herz schlug sehr langsam, aber in einem annehmbaren Zustand. In meiner Hand steckte eine Braunüle die stetig Flüssigkeit aus einem Tropf in meinen Körper transportierte. Mein rechter Arm war verbunden und mein Kopf dröhnte vor Schmerz. Ich sog scharf die Luft ein, als ich mich auf setzte. Instinktiv wanderte meine Hand zu meiner Stirn. Germán wurde langsam wach, sah sich verschlafen im Raum um, gähnte herzhaft und dann blieb sein Blick an mir hängen. Eine Zeit lang sahen wir uns schweigend in die Augen, bis Germán anfing zu strahlen. "Du bist wach!", rief er, als wäre es was besonders. "Was ist so toll daran? Wie lange hab ich geschlafen? 9 Stunden?", fragte ich, aber Germán schüttelte nur den Kopf. "Nein, Angeles... Zwei Monate...

Du lagst im Koma und keiner konnte mir sagen, ob du jemals wieder aufwachst... Bevor du fragst, nein, Vilu ist immer noch nicht aufgewacht...", erzählte mir Germán. Ich lag zwei Monate im Koma... Aber warum? Ich habe mich doch nur geritzt?! Das machen andere doch auch und liegen dadurch doch nicht im Krankenhaus... "Die Ärzte haben dich als Suizidgefährdet eingestuft... Was bitte hattest du denn vor?! Zu sterben ohne zu wissen ob Vilu je wieder aufwacht?!", fragte mich Germán vorwurfsvoll. Ich verstand gar nichts mehr. "Ah, warum suizidgefährdet? Ich wollte mich doch gar nicht umbringen?!", klärte ich ihn auf. "Nicht?!", fragte er mich überrascht, worauf ich nur mit dem Kopf schüttelte. "A-aber was sollte das denn mit den Rasierklinge an deinen Pulsadern?", fragte Germán mich nun sichtlich neugierig. "P-pulsadern?!"

Nun wurde mir alles klar... Es hat so stark geblutet, weil ich so nah an meine Pulsadern gekommen bin. Ein Stück tiefer rein und ich wäre Geschichte gewesen. Ich fing an zu zittern. "Ich wollte das ehrlich nicht. Ich wollte doch nur das dieser ewige Schmerz aufhört! Ich konnte es einfach nicht mehr aushalten! Da... da habe ich mir gedacht... das ich mich vielleicht... also das ich... Schmerz mit Schmerz bekämpfen sollte, also damit... damit es aufhört weh zu tun... Aber ich wollte mich doch nicht umbringen!!!", erzählte ich Germán und fing an zu weinen. Er stand auf und kam auf mich zu. Ich weinte einfach unaufhörlich weiter. "Ich wollte doch immer für Violetta da sein! Ich wollte mich nicht selber töten... Ich bin nicht suizidgefährdet!" Ich heulte erbarmungslos weiter. Germán setzte sich neben mich auf das Bett und nahm mich in den Arm.

"Erst Maria, dann Violetta und dann du... Weißt du eigentlich wie schwer das für mich gewesen ist? Ich will nicht, dass du und Violetta auch noch sterbt. Das mit Maria ist doch schon schlimm genug... Warum sollte ich euch auch noch verlieren? Mensch, Angeles... Violetta und du... Ihr seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben..." Germán hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt und versuchte mich zu trösten, doch stattdessen wirbelte er eine besondere Frage auf. "Wie jetzt? Ich bin dir wichtig? Ich dachte, du hasst mich?", fragte ich ihn mit Tränen in den Augen und sah ihn an. Meine Wange lag auf seiner Schulter und ich versuchte einfach nur ihm in die Augen zu sehen. "Wie kommst du darauf, dass ich dich hasse? Das habe ich doch nie gesagt...", sagte er verwirrt. "Naja, weil... du wolltest mich nie bei euch haben und hast mich einmal schon raus geworfen... Deshalb dachte ich, dass du... mich hasst...", meinte ich kleinlaut. Germán seufzte traurig. "Ich hatte Angst, Angeles. Ich hatte einfach nur Angst...", sagte er dann leise. "Angst? Wovor denn? Ich habe dir nie was getan..." Ich schniefte kurz.

"Ich hatte Angst, das Violetta mich nicht mehr so mag wie früher, als du noch nicht da warst... Einfach, dass sie sich besser mit dir versteht als mit mir... Und als sie es dann auch wirklich tat, da sind bei mir die Sicherungen durchgebrannt und habe dich raus geworfen... Ich wollte einfach nur meine Violetta wieder haben... Aber als sie dann dir nach Deutschland gefolgt ist, habe ich erst gemerkt, was ich da für einen Fehler gemacht hatte... Ich habe gemerkt, dass das eine besondere Verbindung zwischen euch ist. Violetta würde alles für dich tun... Wenn du sagst 'Spring vor's Auto'dann macht sie es... Als Gregorio dich damals angegriffen hatte und du ihr sagtest, sie soll weglaufen... Sie ist gelaufen, kam dann aber zurück um dich zu beschützen... Das hat mir León erzählt... Und ich weiß, das du auch alles für Violetta machst... Ich sehe es ja gerade... Wenn Violetta sterben würde... Ich hätte meine liebe Not dich vom Selbstmord abzuhalten... Du kannst einfach nicht ohne sie und sie nicht ohne dich... Ihr seid einfach unzertrennlich, Angeles. Deshalb bist du auch im Krankenhaus... Ihr wärt sonst zu weit auseinander... Aber du kannst nicht solange hierbleiben, wie Violetta hier ist. Líssá hatte vorhin angerufen und hat mich gebeten mal nach Espinosa zu sehen... Schließlich gehört sie Violetta..."

Germán hat mir so viel erzählt und ich konnte seine Angst irgendwie nachvollziehen. Ich ließ meinen Kopf auf seine Brust sinken und ich schloss für ein paar Sekunden die Augen. "Angeles?", fragte Germán dann nach einigen Minuten des Schweigens. Ich hob den Kopf an. Germán sah mir tief in die Augen, sodass ich mich in seinen verlor. "Was ist?", fragte ich einfach nur. "Ich muss dir was erzählen...", fing er an, stoppte dann aber. "Was denn? Schieß los." Er sah mir weiterhin in die Augen. "Ja, äh... Also... Seit Marias Beerdigung habe ich so ein... Ein merkwürdiges Gefühl... Es ist so als würde... als würde Maria mir... Als würde sie mir etwas sagen wollen... aber ich weiß nicht was...", stammelte er vor sich hin, doch ich spürte, dass er etwas anders meinte. Mein Herz schlug automatisch schneller. Aber war dieses Gefühl richtig?

Ich meine, er ist mein Schwager... Ich darf so nicht für ihn fühlen, oder etwa doch? Germán sah mich weiterhin schweigend an und ich senkte den Blick, doch Germán legte zwei Finger unter mein Kinn und zwang mich dazu, ihn anzusehen. Ich schluckte schwer, aber ich sah ihm trotzdem in die Augen. Auf einmal beugte sich Germán vor und küsste mich zärtlich. Ich schloss die Augen, zögerte aber, doch dann erwiderte ich den Kuss. Nach ein paar Sekunden löste sich Germán von mir und lächelte sanft. Ich lächelte zurück. Tausend Schmetterlinge sprangen in meiner Brust herum. "Wow", sagte Germán dann. "Das war ein unglaubliches Gefühl", murmelte ich leise. Doch dann stürmte eine Arzt herein. "Herr Castillo?" Germán sah erschrocken zur Tür. "Ist etwas mit Violetta?", fragte er voller Panik. Der Arzt nickte zu unserem entsetzen. "Violetta wird zur Zeit wieder belebt..."

Tanzen ist das was mich ausmacht ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt