Jeden Tag kommt mein Pflegebruder sehr spät nach Hause, wenn er dann nach Hause kommt. So wie letzte Nacht. Als ich am nächsten Morgen sein Zimmer betrat war es so wie gestern Abend. Das Bett war ordentlich gemacht und das Rollo war oben. Sein Schreibtisch war feinsäuberlich aufgeräumt. Für mich war das alles zu ordentlich. An der Wand hingen alle Poster und Plakate die ich ihm vom Studio geschenkt hatte. Seine Schultasche und seine Gitarre waren nicht da. Ich verließ seufzend wieder sein Zimmer. Mama kam auf mich zu. „Er ist nicht da, oder?", fragte sie leise. Ich schüttelte den Kopf und ich sah in ihren Augen Tränen schimmern.
„Ich verstehe diesen Jungen nicht... Wir wollen ihm doch nichts Böses!", murmelte sie leise und ging in die Küche. Meine Mutter tat mir leid, aber was will sie erwarten? Wir waren seine 5 Pflegefamilie und er hatte gehörig Dreck am stecken. Am allerbesten war ja immer noch, das er letztens eine fremde Frau mitgebracht. Gesehen habe ich sie selbst nicht, aber meine Eltern haben sie gesehen. Für Papa sah es so aus als hätte er eine Freundin... Mama fand es fürchterlich und dachte, dass er die Frau irgendwo aufgegriffen hätte und sie jetzt abschleppen würde. Ich dachte nicht so von ihm. Er würde so was nicht tun.
Ich versuche immer das Gute im Menschen zusehen. Langsam ging ich wieder in mein Zimmer. Als ich die Tür öffnete, strahlte mir ein helles rosa entgegen. Ich lächelte und ging durch den Raum. Meine Wände waren in hellrosa und Flieder gestrichen. Meine Möbel bestanden aus Buchenholz. Ich ging zu meinem Kleiderschrank und suchte ein Kleid heraus. Es war dunkelblau mit einem goldenen Gürtel. Der Rock vom Kleid bestand ein wenig aus Tüll. Mit den Sachen auf dem Arm ging ich ins Bad. Die weißen Fliesen leuchteten im Sonnenlicht.
Ich drehte das Wasser in der Dusche auf und ließ es warm laufen. Ich zog meinen Schlafanzug aus und stellte mich unter das warme Wasser. Ich genoss das Wasser, das mir sanft auf den Rücken prasselte. Es fühlte sich an als würde es die ganzen Sorgen meiner Familie wegspülen. Ich nahm mein Apfelshampoo und schäumte meine Haare ein. Der süße Duft von Apfel wehte mir in die Nase. Ich lächelte entspannt und ließ den Geruch ein paar Sekunden auf mich wirken, bevor ich es aus meinen Haaren wusch. Zu dem Shampoo gab es noch ein Duschgel mit dem ich meinen Körper einschäumte.
Nachdem ich den ganzen Schaum abgewaschen hatte, stellte ich das Wasser ab und verließ die Dusche. Meine dunklen Haare klebten nass an meinem Rücken. Ich nahm mir ein Handtuch und trocknete mich schnell ab. Meine Haare band ich hoch und zog mich kurz darauf an. Sanft strich ich das Kleid glatt und sah in den Spiegel. Ich hatte leichte Augenringe, aber ich lächelte. Vorsichtig zog ich das Haarband hinaus und meine Haare fielen mir wieder nass in den Rücken. Ich kämmte sie mit kraftvollen Bewegungen durch und föhnte sie anschließend trocken.
Ich nahm einen goldenen Haarreif und steckte ihn in meine Haare. Nur noch schlicht schminken und fertig. Genau das tat ich auch relativ schnell. Als ich fertig war trag ich aus dem Badezimmer und ging zurück in mein Zimmer. Auf meinem Schreibtisch lagen noch die Partituren für Pablos Unterricht, die ich mir schnell zusammen suchte, denn im Gegensatz zu dem Zimmer meines Pflegebruders ist meins ein Chaos. Ich schnappte meine Tasche und meine Gitarre und lief nach unten in die Küche. Singend lief ich hinein und machte mir mein Frühstück. Papa saß träumend am Tisch und rührt in seinem Müsli. Freudestrahlend futterte ich mein Frühstück und verließ das Haus mit meinen Sachen. Unterwegs traf ich dann auch auf meinen Pflegebruder.
Er hatte einen Kratzer an der Stirn und er sah überhaupt etwas müde aus. Ich lief zu ihm. „Hey, Diego!", flötete ich gutgelaunt. Er drehte sich mir erschrocken zu. „Hallo, Francesca!", murmelte er. „Bevor du fragst, ich war die Nacht über bei meiner Freundin im Krankenhaus." Ich sah ihn überrascht an. „Du hast eine Freundin?", fragte ich. Diego zuckte mit den Schultern. „Du bist doch auch meine Freundin, oder etwa nicht?", antwortete er mir. „Doch, klar, bin ich deine Freundin! Aber ich dachte...", fing ich an, aber beschloss den Satz nicht zu beenden. „Du dachtest, so jemand wie ich hat keine Freunde. Du kannst es ruhig sagen! Ich weiß, dass ich schon mehrere Pflegefamilien hatte, aber ich will und werde mich ändern. Doch das brauch seine Zeit!", fuhr er mich an.
Ich zuckte zurück. „Diego... Ich bin nicht so wie du denkst! Ich bin nicht so wie meine Mutter und habe irgendwelche Vorurteile!", sagte ich verletzt und lief schnell weiter. „Francesca!", rief er mir hinterher, doch ich fing an zu rennen und wollte ihn nicht mehr sehen. Erst als ich im Park neben dem Studio war, wurde ich langsamer und spürte wie mir ein paar Tränen über die Wangen liefen. „Hey, Fran, was ist denn los?", hörte ich plötzlich Marcos Stimme hinter mir. Marco ist ein neuer Schüler und anscheinend mochte er mich. „Es ist nichts. Es ist alles in Ordnung!", sagte ich schnell und wischte mir die Tränen eilig weg.
Langsam drehte ich mich zu ihm um. „Nein, es ist nicht alles in Ordnung. Das sehe ich doch!", antwortete er sanft zu mir. „Ich hatte nur eine kleine Unterredung mit Diego. Mehr nicht. Es ist wirklich in Ordnung!", beruhigte ich ihn. Er sah mich nicht so überzeugt an. „Wirklich!", beteuerte ich. Er seufzte. „Gehen wir ins Studio?", meinte er dann. Ich nickte lächelnd und aus dem Augenwinkel sah ich, wie Diego uns beobachtete. Mit Marco zusammen lief ich ins Studio. Mit Diego wollte ich heute nicht mehr reden! „Und hast du heute noch was vor?", fragte Marco und holte mich somit in die Gegenwart zurück.
„Hm? Ja, ich habe schon was vor. Ich wollte nachher noch zu Violetta ins Krankenhaus", antwortete ich beiläufig. „Aber sie liegt doch im Koma!", sagte Marco. „Na und? Trotzdem kann ich doch zu ihr gehen... Ich bin schließlich ihre Freundin. Als Angie damals im Koma lag, da sind Ludmilla und Violetta auch jeden Tag ins Krankenhaus gegangen und haben ihr von unserem Unterricht erzählt. Ob es anschließend etwas gebracht hat, das weiß ich leider nicht!", erzählte ich. Marco hörte mir interessiert zu. „Kann ich vielleicht mit dir kommen? Damit Violetta mich kennenlernen kann", schlug er vor. Ich lächelte glücklich und nickte. Marco nahm mir die Gitarre ab und wir betraten das Studiogelände. Dennoch spürte ich Diegos traurigen Blick auf meinen Rücken liegen. Ich hatte ein kleines schlechtes Gewissen.
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Tanzen ist das was mich ausmacht ✔
Hayran KurguFortsetzung von 'Singen ist das was mich ausmacht'. Nach Violettas Geburtstag hat Maria einen tödlichen Unfall... Violetta ist am Boden zerstört. Angie versucht so gut es geht die Familie auf andere Gedanken zu bringen, das sie ihre eigenen Gefühle...