𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 𝟏𝟐

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A.C.

»Scheiße, er hat einen verdammt 12 jährigen Sohn?!«, ertönt die verzweifelte Stimme meines Mannes. Ja, auch mich hat es schockiert, vermutlich genauso sehr wie ihn, jedoch kann er wohl nicht damit umgehen.

»Kyle, beruhig dich doch bitte...«, flehe ich, denn er ist bereits seit 10 Minuten so drauf und ich bekomme langsam wirklich Angst davor, dass er etwas tut, was er bereuen wird.

»Anouk, er hat uns verdammt nochmal ein Kind verschwiegen!«, wird er lauter, wodurch ich zusammen zucke. Es kommt so selten vor, dass er mich anschreit, weshalb ich noch nie damit umgehen konnte und es auch niemals werde.

»Hör auf mit...«, »Womit?! Ja, sag schon! Womit soll ich verdammt nochmal aufhören!?« Seine Worte tun mir weh. Wie er mit mir spricht auch. Ich kann nicht dabei zusehen, wie er sich einfach selbst gedanklich gegen eine Mauer fährt, aber ihn jetzt zurückzuhalten, könnte für mich schwierig werden. Immerhin bin ich die Letzte, die ihn eigentlich aufhalten will.

»Kyle, hör verdammt nochmal auf, immer alles runterzureden! Du hast doch keine Ahnung, ob dein Bruder überhaupt etwas von seinem Sohn gewusst hat! Ihr seid wie eine Person, wie kannst du jetzt daran denken, dass er dich hintergehen würde?!«, frage ich ihn, während auch ich mit meiner Selbstbeherrschung kämpfen muss.

Dieser Mann weiß genau so gut wie ich, dass Killian uns so etwas niemals verschweigen würde und dass er sich gerade einfach viel zu sehr da rein gesteigert hat. Seinem Bruder jetzt etwas vorzuwerfen ist keine gute Idee, denn wir wissen nicht, was mit ihm los ist, wo er ist und was er macht. Vielleicht ist ihm auch etwas passiert und wir blicken es einfach nicht, weil wir uns zu sehr damit beschäftigen, dass er uns möglicherweise ein Kind verschwiegen haben könnte - wobei das sogar sehr unwahrscheinlich ist.

»Nein! Das denke ich doch gar nicht!«, wirft Kyle mir enttäuscht zurück und dass er von mir enttäuscht ist, ist mir sofort bewusst, weil ich überhaupt erst daran denke.

»Nein? Tust du nicht? Dann hör doch einfach auf zu sagen, dass dein Bruder uns sein Kind verschwiegen hat! Und selbst wenn er es getan hätte, dann hätte er wahrscheinlich einen verdammt guten Grund Kyle!« Meine Worte hallen an der Wand wieder und Kyle erwidert mir nichts. Er ist ruhig und ich erkenne die Tränen in seinen Augen. Es tut mir weh, dass ich ihn überhaupt so weit treibe, aber manchmal treibt er sich auch selber dazu.

»Tesoro... Ich...«, beginne ich, als ich realisiere, dass er wirklich gleich beginnt, Tränen zu verlieren.
»Schon gut...« Kyle steht auf, während ihm die ersten Tränen die Wangen runterlaufen und läuft in die Richtung des Flurs.
»Kyle, wo willst du hin?«, frage ich ihn mit einem festen Ton, was dazu führt, dass er stehen bleibt und mit kaltem Blick zu mir sieht. In mir ist alles vereist und ich habe Angst zu atmen.

»Ich weiß nicht, ob du das wirklich wissen willst.«, »Sonst hätte ich dich nicht gefragt, verdammt!« Seine Worte verletzen mich, dennoch weiß ich, dass ich damit klarkommen muss. Ich habe ihn mir immerhin selber ausgesucht und habe ihm geschworen, dass ich auch bei Streit immer bei ihm bleiben werde. Und das wird auch immer so sein, denn wenn ich ihn einfach gehen lassen würde, dann würde ich es früher oder später bereuen. Immerhin liebe ich diesen Mann von ganzem Herzen und nicht einmal meine Schwester liebe ich so sehr wie ihn.

»Ich will dich nicht enttäuschen, Darling. Es ist besser, wenn du nicht weißt, wo ich hingehe, okay? Wir reden, wenn ich zurück bin.« Ich bin enttäuscht von ihm. Sonst sagt er es mir sofort. Vielleicht ist es doch eine andere Frau, zu der er jetzt geht? Oh verdammt. Ich mache mir zu viele Gedanken. Ich sollte einfach mit dem ganzen Nachdenken aufhören.

»Muss ich Angst haben, dass du zu einer anderen gehst?«, frage ich ihn direkt und erkenne ein Schmunzeln auf seinen Lippen.

Ich kann diese Geste nicht verstehen und irgendwie will ich es auch gar nicht. Mein Problem ist nur, dass es absolut schwer ist, einzusehen, dass nicht jeder Mann dieser Familie etwas Schlechtes vorhat. Das sollte ich allerdings schon längst wissen, denn sonst hätte ich ihn nicht schon seit Jahren an meiner Seite, oder?

»Nein Darling. Ich gehe nicht zu einer anderen Frau, versprochen. Ich versuche nur irgendwie an meinen Bruder zu kommen... Danach hole ich den Jungen ab.« Ich nicke nur, denn ich habe keine Kraft für eine weitere Diskussion. Mein Verstand macht mir schon genug Probleme, genauso wie mein Körper sowieso. Psychisch krank zu sein ist ein verdammter Fluch. Ich weiß nicht, wie ich da reingeraten bin, aber ich bin es und nun kann ich es nicht mehr so leicht ändern. Aber das ist okay, denn das Leben ist nicht immer einfach und es ist okay, mal nicht okay zu sein.

Kyle kommt noch einmal auf mich zu, nimmt meinen Kopf in seine Hände und sieht mir intensiv in die Augen. Seine Augen strahlen so viele Emotionen gleichzeitig aus, dass ich sie nicht deuten kann. Ich kann nicht sagen, wie viel Chaos in seinem Kopf ist. Wie viel Honig in seinem verdammten Kopf ist, und wie ich es verstehen soll.

»Unser Urlaub fällt wohl ins Wasser...«, haucht er mir entgegen, wodurch ich leicht nicke. Wer hätte schon damit rechnen können, dass wir von heute auf morgen einen Jungen bei uns aufnehmen, der nicht einmal direkt zu uns gehört, sondern eigentlich ein Kind einer anderen Frau ist? Aber es ist okay, solange es für einen guten Zweck ist, nehme ich das in Kauf.

»Das ist okay... Es ist immerhin für Reyna«, antworte ich ihm und er hat ein Lächeln auf den Lippen. Er nickt dann und küsst meine Stirn. Dann sieht er mich wieder an und ich spüre wieder die Sicherheit, die ich brauche.

Seine Lippen treffen dann auf meine. Es soll ein Abschiedskuss für kurze sein, jedoch fühlt es sich nach ewigem Abschied an. Und das schmerzt in meinem Herzen. Ein Stich durchs Herz, aber es ist in Ordnung. Ich weiß immerhin, dass er wiederkommt, denn er ist noch nie einfach so gegangen. Zumal er gesagt hat, er bringt den Jungen mit...

Wir haben uns bewusst dieser Verantwortung gestellt und das ist in Ordnung. Wir tun es für unsere Geschwister, die wir von ganzem Herzen lieben. Wir wollen sie ehren, auch wenn sie es gegenseitig nicht mehr tun können. Dass die beiden sich jemals aus den Augen verlieren, hätte sich damals ja auch keiner ausdenken können.

»Dylan, richtig?«, frage ich ihn, wodurch er unsicher nickt. Lächelnd sehe ich ihn an und sehe dann zu meinem Mann, der versucht, sich ein wenig zurückzuziehen, da er irgendwie noch nicht ganz damit klar kommt, dass wir jetzt einen 12 Jährigen bei uns haben, der hier wohnt und das Kind seines Bruders ist. Ich kann ihn sogar verstehen und werde es ihm nicht verübeln, denn für mich ist es genauso komisch und ungewohnt.

»Was hast du für Hobbys, Kleiner?«, fragt Kyle ihn, wodurch Dylan zu ihm sieht. Er ist sich unsicher und das kann ich absolut verstehen. Er vertraut uns eben nicht und das ist völlig in Ordnung. Immerhin kennen wir uns erst seit einer guten halben Stunde.

»Ich... Ich male gerne...«, antwortet er und Kyle blickt zu mir. Dann macht es Klick und es entsteht ein Sinn. Killian liebt das Malen und ist immer damit beschäftigt, wenn er nicht gerade in der Firma ist.

»Das ist doch schön. Woher kommt die Inspiration dazu?«, »Mama hat immer davon erzählt, dass Papa ganz viel malt... Dann habe ich es ausprobiert und gemerkt, wie schön es ist.« Mein Herz erwärmt sich und ein schmerzendes Lächeln ziert sich auf meinen Lippen.

Ich freue mich für Dylan, dass Reyna offensichtlich über Killian redet, allerdings tut er mir auch leid, denn er kennt seinen Vater nicht. Vielleicht haben wir auch Pech und Dylan wird seinen Vater niemals kennenlernen, denn wir haben noch immer keine Spur von ihm - wo er sein könnte - wo er sich aufhält.

Mr. Wallace | 16+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt