„Die Männer bleiben sitzen," flüsterte Björn. Ein weißer VW 412 Variant hatte vor einigen Minuten neben Toms BMW eingeparkt, und die beiden Insassen stiegen nicht aus.
„Ich habe ein ganz übles Gefühl," sagte Phil. „Björn, hol Dein Auto und stell es drüben auf den Parkplatz. Dann komm wieder her."
Björn ging über den Spielplatz, der noch ganz still dalag, hinunter zur Karavellenstraße, und als er außer Sichtweite war, rannte er.
***
„Ich sage Ihnen jetzt, wie das weitergeht," sagte Herr Lütje, dem anzumerken war, dass er meinte, Oberwasser zu haben. „Wir haben Ihnen eine Substanz gespritzt, die Sie spätestens in vier bis fünf Stunden tötet. In wenigen Minuten werden Sie merken, dass Ihre Temperatur steigt. In 20 Minuten werden als Erstes Ihre Zehen anfangen zu kribbeln, weitere 20 Minuten später Ihre Hände. Das Kribbeln breitet sich aus, und Ihre Temperatur steigt weiter. In etwa 90 Minuten wird das Atmen schwerer. Je nach Konstitution werden Sie in dreieinhalb bis vier Stunden bewusstlos. Das alles nur, wenn Sie es schaffen, Ihren Blutdruck nicht steigen zu lassen. Das heißt, sobald Sie sich wehren, verkürzt sich Ihre Restlebenszeit.
Wir gehen jetzt zusammen nach unten. Da warten die Leute, die Sie hierher begleitet haben. Sie bringen uns zu einem Fahrzeug der sowjetischen Militärmission. Sie wissen vielleicht, dass diese Fahrzeuge von den Beamten der BRD nicht kontrolliert werden dürfen. Der Wagen bringt uns über die Grenze. Da können wir in einer halben bis einer Stunde sein. Sobald wir das Gebiet der DDR erreicht haben, und falls Sie sich bis dahin nicht so aufgeregt haben, dass Sie schon verstorben sind, spritze ich Ihnen dieses Gegenmittel."
Er zeigte ihnen zwei Spritzen in einem durchsichtigen Plastikbeutel und fuhr fort:
„Dann dauert es fünf Minuten, und alles ist wieder gut. Wir fahren zu einer Einrichtung des Staatssicherheitsdienstes, wo Sie von meinem Vorgesetzten, Oberst Schadewald, erwartet werden. Wenn Sie sich kooperativ zeigen, können Sie schon heute Abend oder morgen wieder hier sein. Haben Sie irgendwelche Fragen?"
„Arschloch," sagte Tom, der seine Wut kaum beherrschen konnte. Mit so einem miesen Trick hatten sie nicht gerechnet.
„Sie sollten sich besser nicht so aufregen," sagte Herr Lütje eiskalt. „Gehen wir nach unten. Je schneller wir drüben sind, umso größer Ihre Überlebenschance."
„Trotzdem Arschloch," versetzte Tom, und nun verlor Herr Lütje die Fassung:
„Jetzt hör mal gut zu, Du kapitalistisches Großmaul. Wir können gerne noch eine Stunde oder zwei hier sitzen bleiben."
„Immer noch Arschloch," sagte Tom und bereute es, denn er merkte, wie seine Wangen rot wurden. Er sah Nikos an und erschrak: sein Gesicht war tiefrot. „Okay, Du hast gewonnen, Arschloch."
Tom stand auf, und in diesem Augenblick gab ihm Lütje ansatzlos eine Ohrfeige und zischte:
„Du sagst nicht viermal Arschloch zu mir."
Ebenso unverhofft schlug Nikos' Faust auf Lütjes rechtem Auge ein.
„Und Du haust nicht meinen Freund," keuchte Nikos und versuchte, seinen Blutdruck in den Griff zu kriegen. „Jetzt können wir gehen."
***
Björn setzte sich japsend wieder neben Phil.
„Was passiert?"
„Nein. Die beiden warten immer noch im Auto."
Etwa zehn Minuten tat sich nichts, außer dass nach und nach einige Leute das Haus verließen, ihre Autos aus den Garagen holten und wegfuhren. Dann öffnete sich die Tür, und Tom und Nikos kamen mit einem Mann heraus und gingen zu dem Variant.
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Die richtigen Leute Band 11: Dürre im Sahel
Historical Fiction„Dürre im Sahel" ist der 11. Band meiner Buchreihe „Die richtigen Leute", und bevor Tom und seine Freunde sich an einer Hilfsmission für die Opfer der entsetzlichen Dürre beteiligen, die in den frühen 1970er Jahren die Staaten südlich der Sahara tra...