Am Sonntag, dem 3. Juni, direkt nach Abschluss des Manövers in der Lüneburger Heide, fuhren Tom und Björn nach Bonn. Der „Neue", also Björn, sollte bei der Syrien-Besprechung dabei sein, hatte Basilis entschieden, der ihn für Juli schon fest eingeplant hatte. Sie holten Phil und Hamit am Kölner Flughafen ab und waren rechtzeitig am Bonner Hauptbahnhof, wo Nikos und Martin am Mittag ankamen.
Die Woche auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne war für Tom ein zwiespältiges Erlebnis. Der Transport der Panzer klappte reibungslos, und er musste sich eingestehen, dass es Spaß machte, in der Heide herumzukurven und mit Platzpatronen Krieg zu spielen. Andererseits wurde er den Gedanken nicht los, dass demnächst auf Zypern, auf den Golanhöhen und am Suezkanal mit richtigen Patronen geschossen würde. Und er empfand es als Folter, die ganze Zeit von Informationen aus der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Da war es ein echter Lichtblick, wenn er sich abends mit Björn über seine Gedanken austauschen konnte.
Von den jüngsten Entwicklungen erfuhr er sonst meist an den Wochenenden, wenn er Klaus in Bonn besuchte, aber hier in der Heide war er auf dem Abstellgleis. Am Samstagabend nach dem Manöver blieb er in der Kaserne, weil er am frühen Morgen mit Björn nach Bonn fahren wollte. Auf seiner Stube hörte er im Radio, in Athen sei ein Putsch von Teilen der Marine vereitelt worden. Er fuhr sofort zu Egon und telefonierte mit Basilis, der berichtete:
„Sie wurden verraten und kurz vor dem Termin verhaftet. Aber ich habe gerade gehört, dass sich ein Schiff von einem NATO-Manöver abgesetzt hat und nach Rom fährt. Der Kapitän will da um Asyl bitten und eine Pressekonferenz veranstalten."
„Wird das die NATO zum Eingreifen veranlassen?" fragte Tom.
„Vielleicht. Sonst gibt es hier einen sehr heißen Herbst."
In Klaus' Wohnzimmer in Bonn-Tannenbusch wurde Tom bewusst, dass sich die Welt außerhalb von Kaserne und Truppenübungsplatz deutlich schneller drehte. Nikos eröffnete die Runde mit einem Kurzbericht über die Aktivitäten der Gruppe in Athen. In der NATO-Basis Souda Bay, wo sie dank gut platzierter Mittelsmänner wertvolle Informationen abgreifen konnten, hatten sich die Aktivitäten im Hinblick auf den Nahen Osten deutlich verstärkt. Nikos musste immer häufiger Berichte an die libyschen, syrischen und ägyptischen Kontaktleute übermitteln, und er hatte auch den Zypernbericht für die DDR in dem Optikgeschäft übergeben.
Sophia, Xenia, Stella und Georgios verbrachten ihre Freizeit mit der Organisation von zahlreichen, im Moment aber eher kleinen Streiks und Demonstrationen, die sie an den verschiedenen Fakultäten organisieren halfen. Die wenigen anderen Mitglieder der Gruppe waren mit Kurierdiensten mehr als ausgelastet.
In London sah es ähnlich aus, berichteten Phil und Hamit. Mole steckte in den Vorbereitungen für das Timbuktu-Projekt, das er zusammen mit seinem Archäologieprofessor plante. Er sollte im Juli zwei Wochen lang versuchen, so viele der antiken Bibliotheken wie möglich ausfindig zu machen, und einen groben Überblick über ihre Bestände erheben. Sein Professor hatte einen Archäologen in ihre Projektgruppe aufgenommen, der bei ihm promoviert hatte und inzwischen im Kulturministerium in Bamako arbeitete. Der wiederum konnte einen Islamgelehrten in Timbuktu überreden, sie zu unterstützen.
Die Uptones teilten sich die Kuriertätigkeit zwischen Libyern und dem ANC, um Mole und Phil zu entlasten. Letzterer besuchte ein weiteres Mal Dave in Derry, der wegen geheimer Verhandlungen zwischen der IRA und dem britischen Geheimdienst ständig Nachrichten hin und her schicken musste. In drei Wochen standen Wahlen zu einem neuen Regionalparlament an, an der sich die IRA nicht beteiligte. Dave verbrachte fast mehr Zeit mit Botengängen und Besuchen bei Barrys Vertrauten als im Kindergarten. Derry war Kriegsgebiet, und Ausflüge in die katholischen Gebiete, namentlich die Bogside, mussten daher akkurat geplant werden.
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Die richtigen Leute Band 11: Dürre im Sahel
Historical Fiction„Dürre im Sahel" ist der 11. Band meiner Buchreihe „Die richtigen Leute", und bevor Tom und seine Freunde sich an einer Hilfsmission für die Opfer der entsetzlichen Dürre beteiligen, die in den frühen 1970er Jahren die Staaten südlich der Sahara tra...