3 Der Brief ohne Absender

1 3 0
                                    

Als Tom am 22. Mai, einem Dienstag, gegen 17 Uhr mit seiner Gruppe aus dem technischen Bereich zurückkam, hielt ihn der UvD auf:

„Post für Dich."

Tom nahm den weißen Briefumschlag ohne Absender entgegen und ging auf seine Stube.

„Sophia oder Nikos?" fragte Dieter und zeigte auf den Brief.

„Weder noch," antwortete Tom und riss den Umschlag auf. Schon als er die Anrede las, musste er sich setzen.

WERTER HERR TOM,

ICH MÖCHTE SIE GANZ HERZLICH EINLADEN, MICH AM KOMMENDEN SONNABEND, DEM 26. MAI, IN MEINER WOHNUNG IN DER KARAVELLENSTRASSE 3B IN LÜBECK ZU BESUCHEN. WENN SIE PÜNKTLICH UM NEUN UHR MORGENS HIER SIND, UND WENN SIE ÜBER DIESEN VORGANG STILLSCHWEIGEN BEWAHREN, WERDEN WIR IHRE VERLOBTE, FRÄULEIN SOPHIA, NICHT WEITER BEHELLIGEN.

MIT SOZIALISTISCHEM GRUẞ

ERICH LÜTJE

„Was ist denn mit Dir los?" fragte Dieter, denn Tom war kalkweiß.

„Keine guten Nachrichten," murmelte Tom, dessen Gehirn auf Hochtouren arbeitete. „Irgendwas ist mit Sophia."

Ihm war sofort klar, wer ihm da schrieb: Ostberlin. Es war also so weit. Aber es war anders, als er es sich ausgemalt hatte. Seine Vorstellung war immer gewesen, jemand würde ihm eines Tages auflauern, um ihn entweder zu erschießen oder zu verschleppen. Beide Möglichkeiten hatte ja auch Melinda erwähnt. „Das Wichtigste zuerst," sagte er sich und ging in den ersten Stock. Zum Glück war Björn noch da.

„Kannst Du mit mir zum Telefonieren fahren?"

Björn brauchte nur einen kurzen Blick auf Tom zu werfen, um zu erkennen, dass es dringend war.

„Zu Egon?"

„Ich weiß nicht, ich glaube, der hat noch Dienst. Aber die Hauptpost in Hamm hat noch auf."

Sie fuhren nach Hamm und meldeten ein Gespräch nach Agios Andreas an. Schon nach wenigen Minuten meldete sich Dimi.

„Hallo Dimi, hier Tom. Weißt Du, ob Sophia schon zuhause ist?"

„Ich meine, die wäre eben zu Ioanna in den Laden gegangen. Ich kann sie holen. Willst Du warten?"

„So viel Geld habe ich nicht. Ich rufe in einer Viertelstunde wieder an."

Er setzte sich mit Björn auf eine Bank vor der Post und steckte sich eine Zigarette an. Björn war besorgt:

„Sagst Du mir mal, was los ist? Deine Finger zittern wie von einem Alkoholiker."

Kommentarlos gab Tom ihm den Brief.

Björn überflog die wenigen Zeilen und fragte dann:

„Wer ist dieser Erich Lütje?"

„Was denkst Du?"

„Ein Ostagent, stimmt's? Und was soll das mit Sophia?"

„Das will ich ja gerade rauskriegen." Er schnipste den Zigarettenstummel weg. „Sie scheinen sie jedenfalls irgendwie „behelligt" zu haben."

„Du musst sofort Klaus anrufen."

„Ich muss erst mal mit Sophia sprechen."

In den 15 Minuten bis zu seinem zweiten Anruf gingen ihm schlimme Gedanken durch den Kopf. Was hatten die mit Sophia angestellt? Sollte er Klaus anrufen oder den eindeutigen Befehl des MAD-Chefs missachten? Sollte er nach Lübeck fahren? Was wollten die von ihm? Ihn aushorchen? Ihn töten? Ihn erst aushorchen und dann töten? Oder würden sie etwa versuchen, ihn zu erpressen, für sie zu arbeiten?

Die richtigen Leute Band 11: Dürre im SahelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt