Wieder waren Tom und Nikos eine Viertelstunde allein.
„Dass diese Leute einen immer warten lassen," maulte Tom.
„Sie meinen eben, dann kriegen wir Angst," flüsterte Nikos. „Wie findest Du es, dass die ein Erholungsheim räumen lassen und ein Oberst aus Berlin anreist, nur um uns kennenzulernen?"
„Ich find's okay. Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir Plan B vermutlich gar nicht gebraucht." Wieder laut fragte Nikos, „Ist der Strand wohl wirklich vermint?"
Statt einer Antwort deutete Tom nach draußen, wo gerade ein Uniformierter mit einem Schäferhund auf dem schmalen Weg entlang des Stacheldrahtzauns vorbeiging.
„Ich sag nie wieder, in Griechenland ist es schlimm," meinte Nikos, nun wieder leise. „Ich hab nicht realisiert, was es bedeutet, als Du gesagt hast, die DDR ist ein Gefängnis."
Dann betraten Erich Lütje und ein großer, stämmiger, etwa 55-Jähriger mit vollem, schwarzem Haar in Cordhose und beigem Hemd den Raum. Tom und Nikos standen auf. Lütjes Begleiter streckte Tom seine Hand entgegen und lächelte:
„Meine Herren, freut mich. Ich bin Oberst Schadewald. Ich muss mich entschuldigen, dass wir Sie unter so merkwürdigen Umständen hergebeten haben, aber leider kann ich Sie nicht einfach in der BRD besuchen."
Tom und Nikos schüttelten ihm die Hand. Tom war ganz der Diplomat, als er dem Oberst antwortete:
„Herzlichen Dank für Ihre Einladung. Und ich muss mich entschuldigen, dass wir zu zweit sind. Aber wir arbeiten grundsätzlich zu zweit. Es ist schön hier." Oberst Schadewald lächelte immer noch:
„Ja, nicht? Nehmen Sie doch bitte Platz. Ich hoffe, Sie mögen Rehbraten?"
Nikos war unsicher, aber neugierig, während Tom sich freute:
„Rehbraten ist toll. Ich komme ja auch vom Land."
„Ich nicht," lachte der Oberst, „aber ich jage hier. Also, meine Kollegen und ich. Es gibt viel Wild in der Gegend."
Horst brachte eine große Platte mit Fleisch, eine Sauciere, eine Platte mit halbierten Birnen, ein Schälchen Preisselbeeren und Schüsseln mit Kartoffeln und Rotkohl.
„Sowas essen wir manchmal im Winter," sagte Tom, nur um etwas zu sagen.
„Wir auch," fügte Schadewald an. „Aber ich dachte, wenn wir schon mal Westbesuch haben, stellen wir auch was Anständiges auf den Tisch."
Horst goss dem Oberst Wasser und Herrn Lütje Wein ein und füllte die Teller. Ganz gegen seinen Willen lief Tom von dem Duft der Soße das Wasser im Mund zusammen. Ihm war klar, dass der Oberst genau diesen Effekt erzielen wollte, nicht nur mit dem Festessen, auch mit seiner ironisch-jovialen Art. Sie hatten schon öfter leckeres Essen als Vorspeise zu einem sehr bitteren Dessert bekommen. Der Braten war wirklich vorzüglich, auch Nikos überwand mit dem ersten Bissen seine Scheu vor dem Fleisch wild lebender Tiere.
Oberst Schadewald blieb bei seinem verbindlichen Ton, wenngleich sich ein erster Tadel einschlich, als er sagte:
„Ich hatte schon befürchtet, Sie mit unserer Einladung ein wenig eingeschüchtert zu haben. Das scheint Gott sei Dank nicht geschehen zu sein. Aber war es wirklich nötig, Herrn Lütje anzugreifen?"
„Also erstens hat er mich angegriffen," stellte Tom klar, „und mein Freund Nikos hat ihn dafür bestraft. Und zweitens wären wir im Normalfall nicht so zurückhaltend. Wir lassen uns nicht gern Spritzen geben, wissen Sie? Aber wir waren einfach zu neugierig, was Sie von uns wollen."
„Ich mag Sie," lachte der Oberst. „Sind wir also beide, ich meine, alle drei neugierig aufeinander. Lütje, sehen Sie, die sind doch wirklich nett. Stimmt es, dass Sie als Erster zugeschlagen haben?"
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Die richtigen Leute Band 11: Dürre im Sahel
Historical Fiction„Dürre im Sahel" ist der 11. Band meiner Buchreihe „Die richtigen Leute", und bevor Tom und seine Freunde sich an einer Hilfsmission für die Opfer der entsetzlichen Dürre beteiligen, die in den frühen 1970er Jahren die Staaten südlich der Sahara tra...