Bereit?

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Panik:
Zustand der intensiven Angst vor einer tatsächlichen oder angenommenen Bedrohung.

In genau diesem Zustand trat ich mit geschlossenen Augen durch den dicken schwarzen Vorhang und blieb anschließend einen Moment lang stehen.

Schwarz.

Lass einfach die Augen zu, dachte ich die ganze Zeit.
Lass sie zu.
Wenn ich nichts sehe, dann konnten sie mich auch nicht sehen.

Das ging natürlich nicht!
Schließlich wurde ich hier nicht fürs Herumstehen bezahlt. Aber so in etwa stellte ich mir das Gefühl vor, wenn Stars auf dem roten Teppich standen und durch das Blitzlichtgewitter nichts sehen konnten, weil sie einfach so geblendet wurden.

Ich hörte das Klirren von Gläsern, schnelle Schritte. Es war angenehm warm und ich fing gerade an, mich etwas zu entspannen, als dieses Gefühl jäh durch laute Musik unterbrochen wurde.
Ich musste trotzdem lächeln...

Tiefe Bässe empfingen mich und der Cyril Remix von „The Sound of Silence" vibrierte durch mich hindurch.

Hello Darkness, my old friend...

Wie passend...

Ganz langsam öffnete ich erst das linke und dann das rechte Auge.
„Hi".
Dank meiner völlig übertriebenen Aufregung hatte ich nicht einmal mitbekommen, dass Nike schon längst an der Bar stand und ich jetzt direkt in das süße Gesicht von Stella schaute.

„Bereit?", fragte sie mich vorsichtig und mein Blick tastete diese riesige Halle ab.
Vor einer Woche, als hier alles relativ hell und kühl wirkte, hatte ich bestimmte Dinge gar nicht wahrgenommen.
Ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen.
Aber jetzt...
Alles wirkte sehr edel und gepflegt. Es roch angenehm sinnlich nach Kerzenwachs.

And in the naked light, I saw,
Ten thousand people, maybe more...

„Ja, ich bin bereit!"
Schluss jetzt damit , dachte ich und der tiefe Bass wummerte quer durch mich hindurch bis in die Zehenspitzen.
Meine Güte, Stella musste hier auch ihr Geld verdienen, genauso wie ich.
Wir gingen zusammen zur Bar, die jetzt komplett mit Schwarzlicht hinterleuchtet wurde.
Uns blieben noch etwa 30 Minuten Zeit, damit sie mir das eine oder andere erzählen konnte, zeigte wo alles stand und lag, was wichtig in Bezug auf die Gäste war .
Stella war eine Meisterin der Ablenkung.

Tatsächlich war ich so sehr auf das fixiert, was sie zu mir sagte, dass ich nicht ein einziges Mal daran dachte, dass ich hier quasi fast nackt vor ihr stand.
Nike beobachtete mich die ganze Zeit mit Argusaugen. Ich wusste, sie würde für mich da sein, wenn ich sie brauchte!
Dominik und Elias kamen kurz zu mir und stellten sich freundlich vor. Beide Anfang zwanzig und studierten hier in Münster irgendwas auf Lehramt.
„Cool, dass du dabei bist, Katharina", sagte Dominik noch zu mir und war schon wieder mit seinen Augen bei Stella.

Darin konnte ich ihn verstehen. Stella lief selbstbewusst und wie ein wandelndes Kunstwerk durch die Gegend, gab Anweisungen und wies alle an, was zu tun war .
„Bleib einfach in meiner Nähe, oder sag den Jungs Bescheid. Heute Nacht gibt es hier keine Limits. Tu, wonach dir ist Katharina. Lebe den Moment! Sieh mich an, ich spreche aus Erfahrung", und mein Blick fiel fast automatisch auf die großen Narben an ihrem Bauch.

„Hast du oft Schmerzen?" , fragte ich sie direkt , denn bei der Schwere der Narben konnte es fast nicht anders sein.
„Ja , sehr oft ! Aber so ist das Leben nun einmal. Keiner fragt uns danach, ob wir das toll finden.
Oookayyy Leute... Ich wünsche uns allen einen schönen Abend", zwinkerte mir kurz zu „ und eine heiße Nacht!"
„Übrigens, die Wahl mit dem weißen Slip war genau richtig. Durch das Schwarzlicht leuchtet er umwerfend", raunte sie mir im Vorbeigehen noch zu.
F***

Die Musik war jetzt so laut, dass man sehr dicht beieinander stehen musste, um sein eigenes Wort noch zu verstehen.
Katharina, die Leute kommen hier nicht unbedingt zum Reden her....
Manchmal verstand man einander auch ohne ein Wort.

Ein Blick.
Eine Berührung.
Der angehaltene Atem.
Ein lustvolles Stöhnen.

Ich sah sofort zu Nike, die mich mit dunkel glänzenden Augen über den Rand ihres Cocktails fixierte.
Sie wusste, dass es mir mit dem leuchtend weißen Slip erst jetzt aufgefallen war und grinste diabolisch.

20.55 Uhr.
Ich konnte das Stimmengewirr und das Lachen der Leute schon wahrnehmen.
Schnell überflog ich nochmals die Bar und ging dann zu Nike.
„Du hast das extra gemacht mit dem Slip, oder ?".
„Ehrlich gesagt, nein Liebes! Aber jetzt, wo du mich so nett darauf hinweist, feiere ich meine Entscheidung", antwortete sie frech.

Alle Eindrücke, die anschließend auf mich einströmten konnte ich kaum mit Worten beschreiben.
No words needed, könnte man es fast nennen.
Nike fing mit ihrem Blick sämtliche Emotionen meiner Mimik auf und trank in Ruhe ihren Cocktail aus.
„Kommst du zurecht, Katharina? Ich bin sonst mal kurz da hinten bei Elias an der Bar", und sie zeigte auf einen Bereich in der Halle, der rot leuchtete.
„Der macht die besten Shots in dem Laden hier", zwinkerte sie mir zu.
„Klar, kein Problem", brüllte ich gegen den Bass und sah ihr nach.

Nike trank eigentlich gar kein Alkohol, oder nur ganz selten...
Ich hatte mich erst schon gewundert, dass sie an diesem Abend ohne Niklas hier war. Normalerweise waren die beiden immer zusammen unterwegs.
Da stimmte etwas nicht, aber ich traute mich nicht, sie zu fragen. Sie sollte den Abend einfach genießen und so wie ich sie mit Elias zusammen lachen sah, tat sie das bereits.

„Katharina, ich brauch dich mit den Gedanken jetzt hier, Süße", rief Stella mir zu und erst jetzt merkte ich, dass die 20 Meter lange Bar voll war mit Menschen.
Bestimmt 40 Augenpaare waren auf Stella, Dominik und MICH gerichtet.
Augen, versteckt hinter Masken...
Augen die mich ansahen, mich abcheckten, Münder die mich anlächelten.
Menschen die lachten, sich freuten.
Menschen die ausgelassen auf die Tanzfläche stürmten, oder direkt in die einzelnen Spielbereiche verschwanden.

Tequila Sunrise.Mojito.Caipirinha. Long Island Iced Tea. Cosmopolitan...

Ich konnte sie alle noch !
Mir ging die Arbeit so selbstverständlich von der Hand, als hätte ich nie etwas anderes gemacht.
Einer der Jungs oder Stella guckten regelmäßig nach mir und fragten mich, ob alles okay war.

Ja!

Vergessen war die Angst...
Die Unsicherheit...
Ich spürte ihre Blicke zwar auf mir, aber niemand war unhöflich oder beleidigend.
Im Gegenteil, meine Seite der Bar war genauso voll wie die von Stella. Ich lachte, wurde begrüßt, man wünschte mir viel Erfolg und das alles in einem weiß leuchtenden Stückchen Stoff abwärts der Taille.

Die Zeit verflog, die Leute feierten ausgelassen, ließen sich einfach mitreißen von dieser Magie, die hier anscheinend irgendwie in der Luft lag.
„Mach mal ne halbe Stunde Pause, Katharina. Du hast hier richtig gute Arbeit geleistet, ich bin echt stolz auf dich", und sie umarmte mich kurz.
„Okay, dann geh ich mal auf's Klo und kurz zu Elias an die Bar. Bin in 30 Minuten wieder da!"

Vorbei an sich windenden, teilweise aneinander reibenden nackten Körpern , begleitet vom Stroboskoplicht ging ich über die riesige Tanzfläche. Die hellen, rhythmischen Lichtblitze zuckten um mich herum und warfen für Sekunden etwas Licht auf die Körper. Abgelenkt von diesem ganzen bizarren Schauspiel stieß ich plötzlich mit jemandem zusammen.

„Oh Verzeihung, tut mir leid ", wollte ich mich schnell entschuldigen und weiterlaufen, aber ich wurde ganz sanft an der Schulter zurückgehalten.

Keine Angst, Liebes ! ( Dritter Teil )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt