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Ich fand mich in Rosys fester Umarmung wieder und zu meiner Schande weinte ich erbärmlich. Rosy roch wie immer, nach Keksen und alten Büchern. Selbst die Atmosphäre in dem Laden nahm mich ein.
Das alles war Teil meines alten Lebens gewesen. Teil meines Zuhauses. "Wie geht es Mom und Lance?" Ich hickste. Der Gedanke an meinen Bruder und meine Mom brachten eine neue Flut an Tränen heraus. Irgendwann zog mich Rosy mit sich auf das Sofa und betete meinen Kopf auf ihre Schulter.
"Schhh meine Kleine. Alles gut." Sie strich mir sanft durchs Haar.
Aber nichts war gut und das wusste sie auch. Doch ich riss mich zusammen. Musste mich zusammenreißen.
Also wiederholte ich meine Frage von vorhin nochmal. Diesmal aber mit etwas kräftigerer Stimme. Gut so Cassy, sei stark!
"Ihnen geht es soweit gut, meine Liebe. Sie vermissen dich nur schrecklich."
Ich schloss für einen Moment die Augen und nickte. "Ich vermisse sie auch", flüsterte ich. Hinter uns räusperte sich jemand unangenehm.
Wir beide drehten uns gleichzeitig um. Gallipoli stand noch immer am Eingang, seine Augen voller Mitleid und Trauer. Rosy seufzte. "Setz dich und steh da nicht wie ein Baum angewurzelt, Poli. Ich denke, wir haben eine Menge zu besprechen."
Meine Augen wurden groß. Was war ich doch für ein Esel! "Rosy....was machst du hier?" Ich hatte mich so von meiner Trauer einnehmen lassen, dass ich das wesentliche total übersehen hatte. Wir befanden uns in der Hauptstadt. Wo es diesen Laden überhaupt nicht geben sollte. Ich sah von einem zum anderen und bemerkte die Vertrautheit zwischen ihren Blicken. Demnach kannte Gallipoli Rosy gut. Und wie es den Anschein erweckte äußerst gut (Rosy hatte ihn doch tatsächlich Poli genannt). Sie tetschelte mir wieder Rosy Manier den Kopf und lächelte mich gutmütig an. Gallipoli hingegen wirkte ziemlich nervös und konnte noch nicht mal ruhig sitzen. "Okay, ihr beiden, was geht hier vor?" Meine Stimme hatte wieder an Stärke zugenommen und klang jetzt mißtrauisch. Und Entschlossen, denn ich wollte verdammt noch mal wissen, was hier vorging. "Süße", ergriff Rosy schließlich das Wort. "Was wir dir jetzt erzählen werden, ist äußerst wichtig." Das musste sie mir nicht sagen. Allein ihr Blick verriet mir, wie ernst es ihr War, was die Sache nicht wirklich besser machte. Im Gegenteil, mir lief es Eiskalt den Rücken herunter. "Gallipoli hat dir ja schon erzählt, dass du in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes bist."
"Besonders", murmelte ich das Wort tonlos und ein bitterer Geschmack legte sich auf meine Zunge. Gallipoli nickte. "Besonders."
Mir war klar vorhin dieses Gespräch führte. Ich hatte unsere Unterhaltung im Esszimmer in seinem Anwesen nicht vergessen. Verdrängt, aber gewiss nicht vergessen. "Cassandra." Rosy's Stimme ließ mich aufschauen. "Es ist kein Zufall, dass du gerade jetzt aufgetaucht bist. Uns stehen schlimme Zeiten bevor." Kurz wurden ihre Augen glasig und sie massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Schläfe, wie immer, wenn sie etwas besonders belastete. Gallipoli merkte es ebenfalls und sprang für sie ein. "Frank...ich meine der Hausmeister war kein willkürlich gewähltes Opfer, weißt du. Um ehrlich zu sein, war schon länger jemand hinter ihm her und-"
"Diese Bastarde sind ihm schlussendlich auf die Schlichen gekommen und haben ihn einfach feige von hinten angegriffen!" Unterbrach Rosy ihn wutentbrannt und sprang auf, nur um sich Sekunden später wieder auf das Sofa fallen zu lassen. Zu geschockt über ihren Ausbruch, Rosy hatte noch nie irgendwelche obszöne wörter verlauten lassen, brauchte ich ein bisschen, um das gesagte zu verstehen. "Moment mal gewähltes Opfer...Bastarde...feige ermordet? Dann wisst ihr wer ihn umgebracht hat und...wieso?"
Gallipoli warf Roy einen kurzen tadelnden Blick zu und nickte dann. "In der Tat. Frank gehörte zu und. Und das haben sie herausgefunden."
"Zu...euch?"
Die alte Dame schnalzte mit der Zunge und warf ihrem Altersgenossen einen düsteren Blick zu. "Da hast du es, Poli. Du verwirrst sie mit deinen bescheuerten Andeutungen nur." Sie wendet sich mir zu und ergriff meine Hände, bevor sie mit feierlichen Stimme sagte: "Wir, Cassandra, gehören zu einem geheimen Orden der schon seit Beginn unserer Zeit im Untergrund für das Gleichgewicht sorgt und es intakt hält. Ins Leben gerufen wurde er vor über Tausend Jahren von niemand geringeren als Terra Obsidian, dem späteren Gott der Erde. Über Jahrzehnte haben wir es uns außerdem zur Aufgabe gemacht, die Überreste des letzten Elementes aufzusammeln und zu beschützen, sowie zu unterstützen." Sie legte ihre Hand federleicht auf meine Wange. "Weist du Röschen, wann immer ihr auf der Bildfläche erscheint, War das schon immer ein Omen dafür, dass es etwas schreckliches passieren wird und ihr dadurch gebraucht werdet." Ich sah wie ihre Augen feucht wurden. "Diese Welt ist schon so lange vom bösem und Dunkeln Stück für Stück erobert worden, dass ihr vielleicht das einzige Licht seit, dass noch übrig geblieben ist. Kurz vor Terra's Tod hinterließ er seinen Nachkommen und dessen Nachkommen und allen weiteren danach, die an seiner Stelle für das Gleichgewicht kämpfen sollten eine Nachricht, eine besondere Nachricht. In der es hieß, dass irgendwann die Zeit kommen wird, in der das Gleichgewicht völlig aus den Fugen gerät, weil man der Welt das einzige noch verbleibende Licht stehlen wird und das um jeden Preis verhindert werden muss! Verstehst du, meine kleine Orchidee?" Ihre kleinen Hände hatten sich nun so fest in meine gekrallt, dass es wehtat. "Cassandra?", flüsterte nun auch Galkipoli. "Rosalinda!", zischte er wütend. "Täubchen?" Ignorierte diese ihn. "Cass." Mir fiel nichts anderes ein, als mich vorzubeugen und ein Schwall meines Erbrochenen auf dem kostbaren, weichen Teppich landete.
"Hört auf", brachte ich noch ein heiseres Flüstern zustande, während ich mir mit meinem Ärmel über den Mund wischte. "Bitte...ich..." Ich sprang auf und wich dabei meinem Erbrochenen aus. "Röschen." Rosy ließ mich gar nicht erst weit kommen sonder packte mich an meinem Handgelenk und zog mich mit einer erstaunlichen Kraft zurück in ihre Arme. Am liebsten hätte ich mich für eine ganze Weile einfach nur an die geschmiegt, aber auch das ließ sie nicht zu. Sie packte mach an meinen Armen, schob mich ein Stückweit von sich weg und sah mir eindringlich in die Augen. "Ich muss mich für meinen Ausbruch entschuldigen, Herzchen. Ich hätte dich damit nicht so überfallen dürfen. Aber, die Zeit drängt! Sie haben es bereits in die Schule geschafft und sind somit weiter, als wir angenommen hatten. Sie haben es sogar geschafft einen der unseren zu ermorden." Der Griff um meine Arme wurde härter und in ihren Augen blitzte kurz tiefer Kummer auf, der kurz drauf von eiserner Entschlossenheit verdrängt wurde. "Cassandra, wir müssen nun davon ausgehen, dass sie nun dir auf den Fersen sind."
"Was?!", selbst ich hörte den hysterischen Unterton in meiner Stimme. "Nach dem Ereignis auf dem Spielplatz war für uns klar, dass du ein Überbleibsel des Elements des Geistes in dir haben musst, aber leider sind wir nicht die einzigen geblieben, die davon Kenntnis haben. Glücklicherweise hast du dich ja um diejenigen kümmern können, die dein Gesicht gesehen haben." Bei ihren letzten Worten drehte sich mir der Magen um und ich wurde schmerzhaft an die Tatsache erinnert, dass ich Lebenden Wesen ihr Recht auf Leben genommen hatte. Kurz: zusammen gefasst hieß das, dass ich Menschen getötet hatte. Rosy schüttelte energisch den Kopf. "Aber nein, meine kleine. Das darfst du dir nicht antun. Du hast nichts falsch gemacht, es war notwendig gewesen. Notwehr."
"Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich..." Ich schluckte hart, mein Adamsapfel sprang wie verrückt. Jetzt zog mich Rosy doch nochmal in eine feste Umarmung. "Ich wünschte wir könnten dir mehr Zeit geben, wirklich! Aber Zeit ist nun mal das, was wir am wenigsten haben." Sie strich mir über den Rücken.
"Sie hat recht, Cassandra." Gallipoli legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mich traurig an. "Denn nach dem du den Schwarzen Nixen begegnet bist, kann sich nun auch die Gegenseite zu Hundert und Eins Prozent sicher sein, dass du auf der Schule bist." Bei seinen Worten schnellte ich aus Rosy's Umarmung hoch und sah ihn mit großen Augen an. "Die Schwarzen Nixen? Dann...dann habe ich mir das nicht alles doch nur eingebildet?", fragte ich hoffnungsvoll. Gallipoli nickte und ich schluchzte erstickt. "Dann werde ich also nicht verrückt", murmelte ich. Gallipoli's verstörten Blick bemerkte ich gar nicht. "Wieso solltest du verrückt werden?"
Ich schüttelte, einer Antwort unfähig, nur den Kopf. Stattdessen wollte ich endlich diese brennende, beinah schon kranke, Neugier beruhigen. Die seit der Nacht in der Bibliothek in mir brannte. "Was...sind die Schwarzen Nixen?" Ich hasste mich für diese Frage. Ganz ehrlich. Nach dem, was ich gerade alles gehört hatte, sollte man meinen, dass mir andere , viel wichtigere Fragen in den Kopf schießen sollten. Dem war aber nicht so. "Die Schrecken der Meere, mein Täubchen. Sie kommen nur dann aus der Dunkelheit der Meere zu Tage, wenn sie eine mächtige Macht spüren, die es Wert ist, sie sich einzuverleiben."
"Sie ernähren sich von...Macht?", fragte ich mit zitternder Stimme. Gallipoli und Rosy nickten. Wie scheußlich! Mich schüttetelte es allein bei dem Gedanken, ihnen so nah gekommen zu sein. "Das heißt doch quasi, dass sie die Menschen an sich aussaugen, oder?"
"Exakt, meine Tulpe." Mein Gesichtsausdruck musste wohl genug gesagt haben, denn Gallipoli wendete sich einem neuen Thema zu (allerdings sprach sein Blick Bände, dass noch nicht alles gesagt worden war). Eines, was mir auch nicht besonders gefiel. "Was weißt du über Ignis Draconi?" Es war das erste mal, dass ich seinen vollen Namen hörte und ein Schauer fuhr mir den Rücken runter. Allerdings kam mir der Name Draconi bekannt vor. "Draconi? Wie der Drachenstamm Draconi?" Ich versuchte so ruhig wie möglich zu sprechen und mir meine Aufgeregtheit über diesen Namen nicht anmerken zu lassen.
"Ja, wie der Drachenstamm, diese arrogante Schnösel", murmelte Rosy aufgebracht. "Halten sich alle für die größten, Pah!"
"Was ist mit ihm?", fragte ich, wobei ich Rosy insgeheim Recht gab. Zumindest bei Ignis war es eindeutig der Fall. Arrogant und sich für den größten haltend.
"Das du dich von ihm fernhalten sollst, Schätzchen. Ignis ist wohl einer der gefährlichsten Personen, die du dir vorstellen kannst."
Mir wurde heiß und kalt über diese Neuigkeiten. "Ist Ignis etwa Teil dieser...Organisation?"
Gallipoli und Rosy warfen sich einen langen Blick zu. Bis Gallipoli den Kopf schüttelte. "Das wissen wir nicht. Aber was wir wissen, ist dass die Draconi Familie in allem ihre Finger haben."
Ich fühlte mich, als müsste ich ihnen über meine bisherigen Begegnungen mit Ignis unterrichten. Aber ich schwieg. Den ein paar glühender goldener Augen hinderte mich daran.
"In Ordnung, ich halte mich von ihm fern." Die beiden sahen erleichtert aus. "Und am besten hältst du dich auch gleich vom Rest des Schülerrates fern. Sie sind Ignis und seiner Familie treu ergeben." Diesmal hielt mich nichts zurück, mein kurzen Zusammentreffen mit der Vizepräsidentin zu erwähnen. "Maxime erzählte uns davon." Gallipoli's Gesicht zeigte Wut. "Bei ihr Pass lieber auf, Cassandra. Sie ist schlimmer als ein Schlangennest."
"Die Draconis sind arrogante Schweine", stimmte Rosy zu, "aber die wissen immerhin noch was das Wörtchen Ehre bedeutet."
Gallipoli murmelte etwas, stand dann auf und blickte gleichzeitig auf seine Taschenuhr. "Ich denke,dass Wie für heute genug gesagt haben. Cassandra muss zurück." Mein Blick schnellte hoch. "Ich soll also wirklich weiter diese Schule besuchen? Trotz Mörder und Organisationen."
"Dort bist du immernoch am sichersten und außerdem... brauchst du das Wissen der großen Bibliothek dort."
Fragend legte ich den Kopf schief. "Meine Magnolie, wir können dich nur auf einem kleinen Stück deines Weges begleiten. Den Rest musst du alleine gehen."
"Was meint ihr damit?", flüsterte ich.
Gallipoli ging vor ihr in die Hocke und sah sie eindringlich an. "Ich werde dir natürlich alles beibringen was ich weiß. Wie du die Träume kontrollieren kannst zum Beispiel. Oder wie du deine Energie in bestimmte Bahnen lenken kannst. Aber im Endeffekt können wir uns nicht sicher sein."
Bei den Elementen! Er sollte langsam zum Punkt kommen und nicht so um den heißen Brei herumreden.
Gallipoli seufzte angesichts meines Blickes und erhebte sich wieder. "Wir können dir im Endeffekt nicht wirklich helfen, da du die einzige mit diesem Element bist, die zurzeit auf dieser Welt existiert." Er lachte trocken auf und ich fing an zu begreifen. "Du hoffst, dass wir vielleicht etwas in der Bibliothek finden, was uns weiterhelfen könnte."
"Ja, aber auch das...könnte zu einem gewissen Risiko werden. Ich möchte nur, dass du weißt, wie gefährlich deine Situation im Moment ist."
Er wandte sich Rosy zu, bückte sich und küsste sie kurz auf die Stirn, bevor er sich wieder erhob und mich auffordernd ansah. "Ein falscher Schritt und du...wir sind Tod." Er steckte seine Taschenuhr weg und begab sich zur Tür. Ließ mir einen Moment mit Rosy allein, die den Tränen nah war. Ich versuchte mich an einem Lächeln. "Du weißt doch, wie sehr ich Abenteuerbücher liebe." Aber wir beide wussten, dass ich mir eigentlich nur etwas vormachte. Ich hatte Angst. Große Angst. Aber mir zu liebe, lächelte sie ebenfalls.

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