02 - Am Bunker

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Song zum Kapitel: Living on the Edge of the Night - Iggy Pop

„Wohin fahren wir?" Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.

„Oh, du bist ja wach." Damian scheint überrascht. „Noch kurz in den Stadtwald, ich muss da schnell was erledigen."

Alle Alarmglocken schrillen in meinem Hirn. Was zur Hölle kann er mitten in der Nacht im Stadtwald zu tun haben? Der verarscht mich doch. Ich überlege, die Tür aufzureißen und einfach aus dem fahrenden Auto zu springen, traue mich aber nicht.  Besser abwarten, was kommt, und die Chance nutzen, wenn sie da ist. Mein Herz rast. Der Film, der gerade vor meinem inneren Auge abläuft, ist mehr als beängstigend. Kurz darauf biegt Damian von der Straße in einen Waldweg ab. Mir ist klar, dass ich geliefert bin. Warum passiert mir das? Womit hab ich das verdient? Ich bin krank vor Angst und kalte Schauer jagen mir über den Rücken, obwohl es eine laue Sommernacht im August ist. Damian blickt zu mir rüber, ich zittere augenblicklich noch mehr und schrecke zurück, als er seinen Arm nach mir ausstreckt. Ich versuche zu schreien, aber kein Laut kommt aus meiner Kehle. So fühlt sich das also an, wenn man Todesangst hat. Zu meiner Überraschung packt sein Arm mich nicht. Stattdessen greift er nach irgendwas auf dem Rücksitz und reicht mir kurz darauf ein Sweatshirt. „Du zitterst. Zieh das über."

Was? Ich bin komplett durcheinander und habe keine Ahnung mehr, was ich denken soll. Werde ich das hier doch heil überstehen? Sekunden danach hält Damian an. Ich sehe eine Handvoll weiterer Autos, die zwischen den Bäumen abgestellt sind. Dahinter glaube ich, eine Lichtung auszumachen. Die Dunkelheit schwindet bereits, der neue Tag bricht an. Die Panik lässt langsam nach, aber ich zittere immer noch unkontrolliert. „Was machen wir hier?", wage ich einen neuen Vorstoß mit viel zu piepsiger Stimme.

„Ich hab doch schon gesagt, dass ich was erledigen muss", antwortet Damian genervt. Er steigt aus, geht um das Auto herum und öffnet auch meine Tür. „Jetzt komm schon. Dauert nicht lange."

Unsicher verlasse ich ebenfalls den Wagen und halte immer noch sein Sweatshirt in meinen Händen. Er nimmt es mir sanft ab. Dennoch weiche ich erschrocken zurück. Er sieht mich irritiert an, bevor er es mir über den Kopf stülpt. „Arme rein!"

Ich gehorche perplex. Es riecht gut, nach Waschmittel und irgendwie erdig-holzig, sehr männlich. Er zieht es vorsichtig am Bund nach unten. Es geht mir weit über die Hüften. Damian ist gut einen Kopf größer als ich. Knapp 1,90 m würde ich schätzen. Er nimmt meinem linken Arm und krempelt ungeschickt, aber behutsam den Ärmel auf. Dann das Gleiche auf der anderen Seite. Dieser Typ ist so eigenartig. Mal witzig, mal aggressiv, jetzt wieder umsorgend. Man weiß nie, was als Nächstes kommt. „Besser", stellt er zufrieden fest.

Da ich nicht die geringste Ahnung habe, was er damit meint, sage ich einfach nichts. Ich bin auch viel zu verwirrt dazu. Das warme Sweatshirt, das so gut riecht, gibt mir ein kleines bisschen Sicherheit zurück. Damian nimmt wie selbstverständlich meine Hand und zieht mich hinter sich her. Ich habe nicht das Gefühl, dass es eine freundschaftliche oder gar zärtliche Geste ist. Eher will er sicherstellen, dass ich ihm folge, ohne Komplikationen zu verursachen. Als wir auf die Lichtung kommen, sehe ich, dass einige Leute um ein kleines Lagerfeuer versammelt sind. Von irgendwoher ertönt leise Musik. Im Hintergrund scheint ein alter Bunker zu sein. Ich habe mal gehört, dass es hier im Stadtwald noch einen aus dem zweiten Weltkrieg gibt, war aber nie zuvor da. Inzwischen haben sich meine Augen an das schummrige Licht gewöhnt und ich erkenne einige der Gesichter aus meiner Zeit mit Rasmus. Alles Kiffer. Ich kenne keinen ihrer Namen und hätte auch darauf verzichten können, sie je wiederzusehen. Jetzt fällt es mir wieder ein: Damian kifft auch. Ziemlich heftig sogar laut Rasmus. Klar, daher die roten Augen! Vielleicht hat er echt nicht viel getrunken, ist dafür aber total dicht. Ich fühle mich wie im falschen Film. Dann ist mein Fahrer statt besoffen also zugedröhnt, oder am Ende beides. Diese Nacht ist ein einziges Desaster. Es wird immer heller und mir immer schlechter.

Entflammt - Ronja & Damian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt