Epilog

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Song zum Kapitel: Troy - Sinead O'Conner


Einige Wochen später

Der Schmerz bestimmt weiterhin meine Tage und vor allem die Nächte, in denen Damians Abwesenheit schier unerträglich wird. Ich vermisse ihn, sein schelmisches Grinsen, seine Augen, tief und stürmisch wie die See, sein kehliges Lachen, seine samtweiche Stimme, seine zärtlichen Hände, seine leidenschaftlichen Lippen, sein oft ungezügeltes Temperament und inzwischen sogar seine verwirrenden Stimmungswechsel. Mal scheint es eine Ewigkeit her zu sein und ich habe Angst, seine Züge zu vergessen, das Gesicht des Menschen, den ich noch immer von ganzem Herzen liebe. Dann wieder erinnere ich mich so intensiv als sei es erst gestern gewesen und nicht vor einem Monat. In den Momenten glaube ich, den Schmerz keine Sekunde länger ertragen zu können. Er überflutet mich, reißt mich mit sich und ich bin sicher, in ihm zu ertrinken. Die Luft bleibt mir weg, ich kann nicht mehr atmen, habe das Gefühl zu ersticken und glaube, dass es niemals aufhören wird. Dass die furchtbaren Gefühle der Leere, Einsamkeit und des Vermissens mich für den Rest meines Lebens begleiten werden und ich weiß nicht, ob oder wie lange ich das aushalten kann. Mein Herz ist so weit davon entfernt zu heilen, dass ich daran zweifle, dass es jemals geschehen wird.

Die überwältigende Trauer hat in den letzten vier Wochen in ihrer Intensität nicht nachgelassen, aber womöglich sind die Abstände zwischen den ganz schlimmen Phasen ein wenig größer geworden. Zumindest das lässt mich etwas neuen Lebensmut schöpfen. Hoffen auf eine Zukunft, in der es wieder unbeschwerte Tage und vielleicht irgendwann sogar erholsame Nächte geben wird. Noch liegt diese Zukunft in weiter Ferne und bisweilen frage ich mich, ob sie jemals eintreten wird. Aber ich muss daran glauben, sie ist alles, woran ich mich festhalten kann, wenn es ganz schlimm wird.

Am Tag nach unserer Trennung bin ich nicht mal aufgestanden. Ich lag den ganzen Tag im Bett, starrte Löcher in die Decke, schaffte es nur mit Mühe und Not, meiner Mutter, die irgendwann in mein Zimmer kam, zu sagen, dass ich krank sei. Allein zu sprechen war so fruchtbar anstrengend. Auch die nächsten drei Tage habe ich krank im Bett verbracht. Es ging nicht anders. Es war mir völlig unmöglich aufzustehen und zur Arbeit oder zur Berufsschule zu gehen. Danach habe ich mich irgendwie zusammengerissen, auch wenn es qualvoll war, jede Minute schien ein Jahr in einer endlosen Hölle zu sein. Eva und Anna waren und sind an meiner Seite, immer für mich da und auch Nina kommt, so oft ihr Studium es ihr erlaubt. Dafür bin ich ihnen unglaublich dankbar. Auch wenn es nichts an meinem Zustand ändert, tut es gut, Menschen zu haben, die mir in meiner bisher schwersten Zeit beistehen.

Mit der Clique bin ich in den letzten Wochen nur selten ausgegangen und es war jedes Mal ein unglaublicher Kraftakt, der mir zudem völlig sinnlos erschien, weil es mich die Abwesenheit von Damian nur noch intensiver hat spüren lassen. Wozu soll ich rausgehen, wenn ich nicht mit ihm zusammen sein kann? Nichts hat ohne ihn einen Sinn.

Wie ein Roboter erfülle ich nun meine wichtigsten Aufgaben. Ich stehe morgens auf, gehe zur Lehre und in die Berufsschule, aber sobald ich alleine bin, kommt der Schmerz mit aller Wucht zurück, erfasst mich vollends, lässt mich bis an die Grenzen des Erträglichen und darüber hinaus leiden. Und doch habe ich trotz all des Leids nicht einmal geweint, obwohl ich es mir oft wünsche. Meine Tränen scheinen versiegt zu sein, sind mit ihm gegangen.

Manchmal frage ich mich, ob es Damian ähnlich geht, oder ob alles mehr oder weniger spurlos an ihm vorbeigezogen ist? Seit unserer Trennung habe ich ihn nicht ein einziges Mal gesehen oder gesprochen, was wohl auch besser ist. Keine Ahnung, wie ich reagieren würde, wenn er plötzlich vor mir stünde. Ich hoffe, dass das nicht so bald geschehen wird, nicht bevor ich bereit dazu bin, stark genug, um damit umzugehen, ohne meine Entscheidung direkt wieder umzuschmeißen.

Ich weiß weder wieso noch warum dieser chaotische, so verletzliche wie verletzte, charmante, liebevolle, schwierige, eigensinnige Kerl genau der eine ist, den ich will. Den ich mehr will, als jemals irgendjemanden zuvor. Ich liebe ihn noch immer von ganzem Herzen und aus tiefster Seele und doch weiß ich, dass die Trennung richtig und unvermeidbar war. Ich muss lernen, mein Leben ohne ihn zu leben, egal, wie unglücklich mich das zurzeit macht. Mit ihm zusammen zu sein, ist keine Lösung, hat mich ebenso leiden lassen und beinahe dazu geführt, mich selbst zu verlieren. Schon nach den wenigen gemeinsamen Monaten habe ich mich selbst kaum noch erkannt. Von der frechen, lebensfrohen jungen Frau, in die er sich verliebt hat, war kaum noch etwas übrig. Die Angst ihn zu verlieren, hatte mich zu einem Schatten meiner selbst werden lassen, einem Schatten, in dem ich mich selbst kaum noch erkannt habe. Das ist mir bei meinem Gespräch mit Eva schlagartig klar geworden. Und so sehr ich Damian auch liebe, kann ich nicht weiter zulassen, mich selbst bei dem Versuch, ihn zu retten, zu verlieren. Wenn mein Selbst verschwindet, ist schließlich niemand mehr da, der ihn auffangen könnte.

Auch wenn ich jetzt gebrochen bin, mich frage, wann oder ob mein Herz sich vollständig erholen wird, weiß ich doch, dass bei ihm zu bleiben mich völlig zerstört hätte. Es gab keinen Platz für mich in seinem Leben oder jedenfalls nicht den, den ich gebraucht hätte, um an seiner Seite glücklich zu werden. Ich habe ihm alles gegeben, was ich zu geben hatte und musste schließlich erkennen, dass ich mich dabei selbst verloren habe, ohne ihm zu helfen.

Vielleicht ist ein Teil meines Herzens in dieser Nacht mit ihm gegangen, doch die Reste werde ich eines Tages aufsammeln, zusammensetzen und wieder auferstehen. Für diesen Tag kämpfe ich, nehme den Schmerz an, halte ihn aus und hoffe inständig, irgendwann nach vorne blicken zu können. Damian werde ich niemals vergessen, er wird die große, die erste Liebe meines Lebens bleiben. Ich bereue keinen einzigen Augenblick mit ihm, dazu hat er sich zu tief in meine Selle eingebrannt und mir zu viele wunderbare, einzigartige Momente geschenkt. Aber jetzt ist es an der Zeit, ihn hinter mir zu lassen und um mich selbst zu kämpfen.

Wenn ich ganz viel Glück habe, wird eines Tages, wenn der Schmerz nur noch eine ferne Erinnerung, ein stiller Begleiter ist, ein anderer mein Herz erobern und mich ebenso lieben wie ich ihn.

Entflammt - Ronja & Damian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt