26 - Oma kommt

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Song zum Kapitel: Cat People (Putting out Fire) - David Bowie

Verdammt, warum bin ich nur so nervös? Ich muss mich extrem zusammenreißen, um den Verkehr vor mir auf der Straße nicht völlig aus den Augen zu verlieren, während ich in meinem alten weißen Polo sitze, den mir meine Eltern zum Abi geschenkt haben. Ich bin auf dem Weg zu Damian. Zum ersten Mal werde ich sehen, wo er wohnt, vielleicht sogar seine Familie treffen! Hoffentlich verfahre ich mich nicht endlos. Könnte bei meinem mangelnden Orientierungssinn durchaus passieren, obwohl Damian mir gestern Abend am Telefon eine ziemlich genaue Wegbeschreibung gegeben hat. Aber in dem Stadtteil war ich noch nie. Ich kenne nur die Hauptstraße, die direkt nach Holland führt. Dass Wohngebiet links davon, direkt vor der Grenze ist absolutes Neuland für mich. Anspannung und Vorfreude steigern sich gleichermaßen, je näher ich meinem Ziel komme.

Wir haben uns drei unendlich lang scheinende Tage nicht gesehen, weil am Montag er und gestern ich bereits verplant war. Das normale Leben muss schließlich auch weitergehen, verliebt hin oder her. Es ist so ätzend, wenn man nur noch am Abend Zeit hat und morgens wieder früh raus muss. Nach den ersten wenigen Arbeitstagen nervt meine Lehre mich schon wieder gewaltig, obwohl ich zurzeit im Vertrieb bin und zum Glück einige echt nette Kollegen habe, die vor allem nicht steinalt sind, wie viele andere in der Firma. Heute hatte ich zu allem Überfluss auch noch Berufsschule. Es war wie immer die reine Folter und nächste Woche steht eine Arbeit in Rechnungswesen an. Ich hasse Buchhaltung! Wenn eines sicher ist, dann dass ich später eher obdachlos unter einer Brücke mein Leben fristen werde, als tagein tagaus in der Buchhaltungsabteilung irgendeiner Firma zu arbeiten. Da würde ich mich früher oder später erschießen oder mangels Waffe vom Dach eines wirklich hohen Hochhauses springen. Sicher ist sicher.

Mist, ich glaube, da hätte ich abbiegen müssen. „Das kommt davon, wenn man so vor sich hin träumt, statt auf den Weg zu achten", motze ich mich an. Ich wende genervt bei der nächstbesten Gelegenheit und konzentriere mich anschließend zur Abwechslung mal auf den Weg. Ja, da hätte ich tatsächlich rein gemusst. Ich biege in das Wohngebiet ein und finde kurz darauf die richtige Straße. Damians Beschreibung war wirklich gut. Ich suche nach der Hausnummer und halte schließlich vor einem liebevoll renovierten alten Bauernhaus aus roten Backsteinen mit weißen Fensterladen und -rahmen, das von einem großen gepflegten Gartengrundstück umgeben ist. Es ist wirklich schön hier. Irgendwie hatte ich es mir ganz anders vorgestellt. Kalt und abweisend, so wie Damian immer über seine Familie redet. Aber das hier macht einen warmen und heimeligen Eindruck auf mich.

Mit klopfendem Herzen und weichen Knien gehe ich auf die Tür zu und klingle. Keine Sekunde später öffnet mir ein gut aussehender Typ, der etwa in Damians Alter ist. Sein Haar ist heller und seine strahlenden Augen sind so blau wie die eines Huskys, aber die Ähnlichkeit der Gesichtszüge ist unverkennbar.

„Hi?" Er sieht mich fragend an.

„Hallo, du musst ..."

Weiter komme ich nicht, weil Damian sich in dem Moment unsanft an ihm vorbeidrängt und ihn anpflaumt:

„Du kannst jetzt gehen, Sam. Das is mein Besuch."

Sein Bruder sieht mich achselzuckend an und verschwindet.

„Warum bist du so fies zu ihm? Ich dachte, ihr versteht euch gut?"

„Weil er seine neugierige Nase nich immer in alles stecken muss", brummt Damian und bringt mich mit einem langen Kuss zum Schweigen. Die Masche funktioniert leider. Mein verräterischer Körper schreit wie stets auf der Stelle nach mehr und ich verschwende keinen weiteren Gedanken daran, nochmal nachzuhaken. Damian zu küssen fühlt sich einfach viel zu gut an.

„Komm mit, ich zeig dir mein Zimmer."

Er nimmt mich an der Hand und zieht mich hinter sich her. Manche Dinge ändern sich wohl nie.

Entflammt - Ronja & Damian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt