03 - Böses Erwachen

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Die letzten Stunden waren der blanke Horror. Ich habe mich unzählige Male übergeben, bin nur zwischendurch kurz erschöpft eingeschlafen. Es war mir immer sogar zu anstrengend, die Jalousien runterzulassen, obwohl die grellen Sonnenstrahlen, die auf mein Bett scheinen, mich nerven und den ohnehin heftigen Kopfschmerz noch verstärken. Könnte es nicht zur Abwechslung mal regnen? Ich ziehe mir die Bettdecke über den Kopf und verfluche das Telefon, das keine Ruhe geben will. Es klingelt gefühlt alle fünf Minuten. Allein der Ton macht mich wahnsinnig, lässt meinen Schädel beinahe zerbersten. In meinem Zustand kann ich unmöglich aufstehen und will ganz sicher mit niemandem reden. Doch es hört einfach nicht auf. Irgendwann nervt mich das ständige Klingeln so sehr, dass ich mich doch in den Flur schleppe. Zum Glück haben meine Eltern vor einiger Zeit einen Zweitapparat angeschafft und die Schnur reicht so gerade bis an mein Bett.

„Benning", grummle ich in den Hörer, während ich das Telefon in mein Zimmer schleppe.

„Ronja, Gott sei Dank", schrillt mir Ninas erleichterte Stimme entgegen. Aua, das tut weh! Ich halte den Hörer so weit wie möglich von meinem Ohr weg.

„Ich versuche seit Stunden dich zu erreichen, Eva auch."

Das erklärt das permanente Klingeln. „Wie spät ist es?", frage ich.

„Nach drei. Wo warst du?"

Wie bitte? Wo war ICH? „Wo wart IHR? Wieso seid ihr ohne mich gefahren?", fauche ich sie an. Versuche es jedenfalls, stelle aber fest, dass es eher ein heiseres Krächzen ist, das meinen Mund verlässt.

„Weil du dich geweigert hast, mitzukommen", keift Nina zurück.

„Oh ..."

„Ja richtig, ‚oh'! Wir haben alles versucht, aber du wolltest tanzen und feiern. Du warst echt schräg drauf! Und dann bist du plötzlich verschwunden. Eva und ich haben dich überall gesucht, aber du warst wie vom Erdboden verschluckt. Schließlich haben wir gedacht, dass du wohl schon mit irgendwem gefahren bist. Wo warst du? Was hast du gemacht? Wir haben uns solche Sorgen gemacht."

Ich brauche eine Weile, um die ganzen Informationen in meinem angeschlagenen Zustand zu verarbeiten.

„Ronja? ... Bist du noch da?"

„Habt ihr mal auf dem Klo nachgesehen?", hake ich schließlich nach.

„Na klar, aber da warst du nicht!"

„Sicher?"

„Ganz sicher! Wieso?"

„Weil ich da irgendwann aufgewacht bin."

„Du bist was?" Nina klingt alarmiert.

„Auf dem Klo aufgewacht", wiederhole ich kleinlaut.

„Wie konnte das denn passieren?"

„Keine Ahnung ..."

„Aber da warst du nicht, als wir nachgesehen haben. Wir haben in alle offenen Kabinen geguckt und an die verschlossenen Türen geklopft. Du warst hinter keiner! Aber wir durften uns einige blöde Kommentare angehören ... Also, wo hast du gesteckt?"

„Wenn ich das nur wüsste. Filmriss. Absoluter, totaler Filmriss."

„Scheiße, wir haben echt alles versucht, bevor du plötzlich weg warst." Das schlechte Gewissen ist ihr deutlich anzuhören. „Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du so viel getrunken hast, aber du warst voll wie ein Eimer."

„Ich habe gar nicht so viel getrunken. Glaube ich jedenfalls", verteidige ich mich. „Ich fühle mich aber so. Mir ist immer noch kotzübel", sage ich, während ich auf meine Jeans und das schwarze Sweatshirt blicke, das ich trage. Damians Sweatshirt! Oh mein Gott, ich habe ihm direkt vor die Füße gekotzt. So peinlich ... Ich erblicke einige verdächtige Flecken auf dem Teil und rieche daran. Das hätte ich besser gelassen. Beim Geruch der angetrockneten Kotze dreht sich mein Magen erneut. Ich schmeiße den Hörer weg und speie Galle in den Eimer vor meinem Bett. Danach wanke ich ins Bad, ziehe angewidert das Sweatshirt aus und schütte mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht, bevor ich mir die Zähne putze. Oh Mann, das war anstrengend in meinem Zustand. Aus dem Spiegel blickt mir meine missratene Zwillingsschwester entgegen: kreidebleich, mit wirren Locken und verlaufener Schminke, eingesunkenen, leblosen blauen Augen und dicken dunklen Augenrändern. Ich wende mich schaudernd von dem Anblick ab und schleiche völlig erledigt zurück in mein Zimmer. Bevor ich mich in mein Bett fallen lasse, tausche ich die enge Jeans - wie konnte ich damit nur schlafen? - gegen eine bequeme Jogginghose und das Top von gestern gegen ein weites T-Shirt. Mein Blick fällt auf den Hörer. Mist, ich habe Nina in der Leitung hängen lassen. Obwohl ich einfach nur schlafen will, zwinge ich mich, sie zurückzurufen. Sie hebt beim ersten Klingeln ab.

Entflammt - Ronja & Damian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt