09 - Der Brief

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Mitten in der Nacht wache ich leicht benommen in meinen Klamotten auf. Nachdem ich die Tür hinter mir zugeknallt hatte, war ich immer noch so wütend, dass ich mir eine Weinflasche aus dem Keller meiner Eltern geschnappt habe und sie nach und nach tatsächlich komplett getrunken habe.  Dabei habe ich viel zu laut Musik gehört und wütend Löcher in die Decke gestarrt. Ein Wunder, dass dieNachbarn sich nicht beschwert haben.Dabei muss ich irgendwann eingeschlafen sein, was erklärt, dass ich jetzt in voller Montur hier liege. Schon zum zweiten Mal, seit ich Damian auf der Party wiedergetroffen habe, denke ich genervt. Er bringt wirklich meine schlechtesten Seiten zum Vorschein - wobei ich ihm fairerweise zugestehen sollte, dass er für das erste Mal nicht verantwortlich war. Ich stand schon völlig neben mir, bevor ich ihm auf der Party begegnet bin. Mein Gefühlschaos heute hat er dafür umso mehr zu verantworten, auch wenn ich die Flasche Wein allein und freiwillig in mich reingeschüttet habe. Er stand ja schließlich nicht mit einem Messer hinter mir und hat mich dazu gezwungen. Trotzdem wäre ich ohne sein unmögliches Verhalten nie auf die Idee gekommen, und es war keine meiner besseren, wie ich an dem leichten Pochen in meinem Kopf feststelle.

Sein Verhalten hat mich so unglaublich wütend gemacht und, wenn ich ehrlich zu mir bin, auch verletzt. Nicht, weil ich auf ihn stehe, das auf keinen Fall! Er ist so ein Idiot und noch dazu völlig unberechenbar, wie er heute eindrucksvoll bewiesen hat. Was fällt ihm ein, mich so zu behandeln? Ich war die ganze Zeit nett zu ihm und bin nur mitgekommen, weil ich im Gegensatz zu ihm höflich bin und ihn nicht vor den Kopf stoßen wollte. Und was ist der Dank dafür? Ich habe mich von diesem dahergelaufenen Penner behandeln lassen, als wäre ich ein Stück Dreck! Und Kopfschmerzen habe ich gratis dazu bekommen. Ganz großartig! Dabei habe ich nur einen kleinen Scherz gemacht. Jeder normale Mensch hätte ihn lustig gefunden. Ja genau, jeder NORMALE Mensch. Damian ist eben nicht normal. Er scheint weitaus größere Probleme zu haben, als ich dachte. Was ihm noch lange nicht das Recht gibt, sie an mir auszulassen. Ich bin doch nicht sein Fußabtreter! So hat mich noch nie jemand behandelt. Und es wird auch kein zweites Mal vorkommen. Ich werde immer wütender und wütender bis mir schließlich Tränen über die Wangen rinnen. Das erstaunt mich dann doch. Ich weine fast nie. Wenn überhaupt, dann aus Zorn. Okay, ich bin zornig. Verdammt zornig sogar! Leise vor mich hin weinend schlafe ich schließlich wieder ein. Allerdings nur bis kurz nach fünf, wie mir ein Blick auf den Wecker verrät. Ich wälze mich genervt auf die andere Seite und versuche, weiterzuschlafen. Bestimmt stehe ich während meines Urlaubs nicht in dieser Herrgottsfrühe auf. Nur kann ich dummerweise nicht wieder einschlafen. Je mehr ich es versuche, umso weniger will es mir gelingen. Ich bin hellwach, was im Grunde kein Wunder ist. Es muss noch ziemlich früh am Abend gewesen sein, als ich eingeschlafen bin. Gegen sechs gebe ich seufzend auf und steige mies gelaunt aus meinem Bett.

Noch Minuten später, kann ich kaum glauben, dass ich mich wegen Damian betrunken in den Schlaf geheult habe. Ganz toll, endlich könnte ich mal ausschlafen und was mache ich? Ich laufe morgens um sechs ruhelos durch das leere Haus. Genervt schalte ich die Kaffeemaschine ein und schnappe mir das Buch, das ich vor Kurzem begonnen habe zu lesen. „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" von Kundera. Ich bin noch nicht allzu weit gekommen, mag das Buch aber schon jetzt sehr. Diese tragische Liebe zweier Menschen, die so gar nicht zueinander zu passen scheinen und doch nicht voneinander lassen können, berührt mich zutiefst. Ich lese stundenlang und bin völlig versunken in die Welt von Tomas und Teresa. Schließlich brennen mir die Augen und ich stelle überrascht fest, dass es nach elf ist. Ich sollte mich langsam fertig machen. Um eins fahre ich mit Nina und Eva zu Ikea, weil Nina ein paar Sachen für ihre Wohnung besorgen möchte. Keine Möbel, die würde sie eher woanders kaufen, aber sie braucht dringend Deko, obwohl sie noch gar nicht eingezogen ist. Typisch Nina halt. Immer perfekt organisiert. Schätze, sie weiß jetzt schon bis ins kleinste Detail, wie die Wohnung fertig eingerichtet aussehen wird, denke ich, und muss unwillkürlich grinsen. Wir drei sind so unterschiedlich und verstehen uns doch so gut.

Entflammt - Ronja & Damian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt