04 - Brühe?

648 58 43
                                    

Das kann doch wohl nicht wahr sein, denke ich genervt. Ich sehe aus wie der letzte Penner und fühle mich noch schlimmer. Besuch ist so ziemlich das Allerletzte, was ich jetzt brauche. Ich bin kurz davor, ihm die Tür vor der Nase zuzuknallen. Dass er mich gestern, oder eher heute, nach Hause gebracht hat, gibt ihm noch lange nicht das Recht, aus heiterem Himmel vor der Tür rumzustehen und mich beim Sterben zu stören. Und überhaupt, wäre ich nicht felsenfest davon überzeugt gewesen, dass das nur Eva sein kann, hätte ich in diesem Zustand die Tür nie im Leben aufgemacht. Das ist entwürdigend! Sofern nach dem gestrigen Abend überhaupt noch irgendwas entwürdigend sein kann ...

Ich unterdrücke den Wunsch ihn anzuschreien für die Unverschämtheit, hier ungebeten aufzutauchen. Ein unwirsches „Hi" ist  alles, was ich rausbringe. Da er mir in einer echt blöden Lage geholfen hat, schulde ich ihm vermutlich ein Mindestmaß an Höflichkeit.

„Hi ...", druckst auch er etwas unsicher herum. „Ich wollt nur sehen, ob bei dir alles okay is ..."

„Ist es nicht! Mir ist immer noch kotzübel und mir ist gerade echt nicht nach Besuch, aber danke der Nachfrage." Ich bin kurz davor, die Tür wieder zu schließen, aber Damian lehnt sich dagegen, ganz so, als hätte er meine Reaktion erwartet. Der Typ macht mich echt fertig.

„Hast du was gegessen?"

„Bist du irre?"

„Du solltest was essen! Kann ich reinkommen?"

Er hat sie nicht alle, denke ich erbost, aber lasse ihn widerstrebend rein. Ich fühle mich, als wäre ich unvermittelt in einer Horror-Komödie aufgewacht.

Da ich keine Ahnung habe,was ich sonst machen soll, ergebe ich mich meinem Schicksal und kauere mich inunserem geräumigen Wohnzimmer auf das schwarze Ledersofa. Die großen Fensterfronten blicken auf den von meiner Mutter liebevoll angelegten Garten und lassen die grelle Augustsonne hineinscheinen. Zum Glück kommen sie nicht bis in die Sitzecke. Mir ist es heute trotzdem viel zu hell hier. Damian setzt sich mir gegenüber auf einen Sessel und sieht mich eindringlich aus hellbraunen Augen an, wunderschönen, ausdrucksstarken hellbraunen Augen genau genommen. Jetzt weiß ich also, welche Farbe sie haben. Gestern Nacht kamen sie mir dunkler vor. Das umrandende Weiß hat allerdings schon wieder einen ziemlichen Rotstich und er hat dunkle Augenringe, ganz so, als hätte er schon lange nicht mehr richtig geschlafen.

„Was willst du hier?" Ich komme mir unhöflich vor, weil ich das so unverblümt frage, aber sei's drum, die Frage ist berechtigt.

„Sehen wie's dir geht, sagte ich bereits ... Deine Eltern sind doch weg."

Wir schweigen eine Weile und ich bin mit der Situation eindeutig überfordert. Da sitzt dieser Typ, den ich lediglich irgendwie entfernt kenne, dem ich gestern mehrfach (!) vor die Füße gekotzt habe und fragt, wie's mir geht. Mein Gehirn funktioniert nach wie vor nur auf Sparflamme, ich sehe aus wie vorgestern gestorben, rieche noch schlimmer und soll Konversation betreiben? Wo ist bitte das Loch? Ich muss hier dringend mal weg!

„Habt ihr Brühe?"

„Was?" Jetzt bin ich endgültig im falschen Film. Er erwartet doch wohl kaum, dass ich ihm Essen vorsetze?

„Brühe, Brühwürfel, irgendwas in der Art." Damian sieht mich an als wäre ich geisteskrank, dabei stellt er eigenartige Fragen.

„Brühe ist gut bei Kater. Du musst was essen." Ach, das jetzt wieder. „Bestimmt irgendwo in der Küche, aber ich will keine Brühe."

Meine Antwort ignorierend verschwindet Damian durch die Küchentür, klappert mit Schränken und Schubladen und taucht nach einer Weile mit einer Tasse heißer Brühe wieder auf. Ich bin immer noch viel zu krank und vor allem viel zu verwirrt, um zu alldem eine Meinung zu haben. Also nehme ich brav die Tasse aus seiner Hand und nippe vorsichtig daran. Gar nicht mal schlecht. Die Brühe an und für sich ist einfach Instant-Brühe, aber die salzige Wärme tut mir tatsächlich gut.

Kurz darauf fällt mir auf, wie unhöflich ich bin. „Wo sind nur meine Manieren hin? Ich habe dich gar nicht gefragt, ob du etwas trinken möchtest ... Kann ich dir was anbieten? Kaffee, Wasser, Saft oder so?"

„Nee, lass mal. Kein' Durst."

Ich bin erleichtert, dass ich nicht aufstehen muss. Während ich langsam und vorsichtig trinke, um die Reaktion meines Magens zu beobachten, erzählt Damian irgendwas. Ich höre nur halb hin und frage mich immer noch, was hier eigentlich gerade passiert. Das ist mehr als seltsam und Damian ist irgendwie, keine Ahnung, rührend, wie er sich so umsichtig um mich kümmert. Das hätte ich ihm niezugetraut und er sieht echt gut aus. Seine Augen sind voller Emotionen, wenn eretwas erzählt. Sein breites, markantes Gesicht ist männlich trotz der Grübchen,die ich fasziniert beobachte, wenn er mit seinen vollen Lippen leicht schief grinstoder lacht. Auch die etwas gebogene Nase ist genau richtig. Groß, aber nicht zugroß, sie passt perfekt zu den kantigen Zügen. Die kleinen Unregelmäßigkeitenmachen ihn nur noch attraktiver, bewahren ihn davor zu glatt und dadurch langweiligauszusehen. Sein Kreuz ist breit, die Beine kräftig, seine großen Hände habenlange schlanke Finger, die eines Pianisten würdig wären. Er sieht nichtmodelmäßig gut aus, sondern kernig, Typ Naturbursche. Warum ist mir das frühernie aufgefallen? Vermutlich war ich zu beschäftigt damit, in die knallblauenAugen von Rasmus zu starren. Und erst diese Stimme: voll, tief und weich. Ichkönnte ihr ewig zuhören, weil der Klang so angenehm ist. Er sollte damit insRadio oder Hörspiele einsprechen. Damians ganze Erscheinung strahlt Stärke aus und er hat sicher noch nie in seinem Leben ein Fitnessstudio von innen gesehen. Wenn er nicht so schwierig und obendrein Kiffer wäre, könnte er mir vielleicht sogar gefallen. So ist er aber gar nicht mein Ding. Seit gestern Abend habe ich zudem das Gefühl, dass er eine wandelnde Handgranate ist, jederzeit bereit zu explodieren. Obwohl ich meinen Gedanken nachhänge und ihn möglichst unauffällig betrachte, während ich mich von seiner Radio-Stimme einlullen lasse, schafft Damian es tatsächlich so etwas wie eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Na ja, im Grunde redet fast ausschließlich er die ganze Zeit, erzählt witzige Anekdoten und kuriose Sachen, die er irgendwo gelesen oder aufgeschnappt hat. Ich ertappe mich wiederholt beim Grinsen und lache einige Male sogar laut auf. Die Ablenkung tut mir gut und nach einer Weile geht es mir tatsächlich etwas besser. Damian scheint die Veränderung meines Zustands bewusster wahrzunehmen als ich selbst, da er irgendwann in diesem ihm eigenen Ton, der keine Widerrede duldet, die klare Ansage macht: „Du gehst jetzt duschen und dann gehen wir in der Stadt Döner essen."

Ich halte wenig von der Idee, genau genommen finde ich sie ziemlich hirnrissig, aber eine Dusche ist wirklich dringend notwendig und mittlerweile knurrt mein Magen lautstark. Kein Wunder, ich habe seit fast 24 Stunden nichts gegessen. Dennoch bezweifle ich, dass ich schon wieder in der Lage bin, feste Nahrung zu mir zu nehmen. Duschen gehe ich trotzdem. Im Bad habe ich wenigstens eine Weile meine Ruhe.

Das heiße Wasser prasselt auf meinen Körper und weckt zumindest einige meiner Lebensgeister von den Toten auf. Ich könnte ewig unter dem angenehmen Strahl stehen bleiben, beeile mich aber, weil es mir unangenehm ist, unter der Dusche zu stehen, während Damian im Wohnzimmer auf mich wartet.

Sauber und in frischen Klamotten fühle ich mich endlich halbwegs wie ein Mensch. Beim Blick in den Spiegel habe ich allerdings nach wie vor das Gefühl, dass mich meine missratene Zwillingsschwester anblickt. Meinen Augen fehlt jedes Leben, meine Haut ist aschfahl. Selbst meine dunklen Locken, die sonst kaum zu bändigen sind, hängen irgendwie schlaff herunter. Na ja, Damian hat gestern Nacht und in den letzten Stunden einen wesentlich schlimmeren Anblick von mir ertragen müssen. Zudem ist es sowieso egal, was er über mich und mein Aussehen denkt. Ich gehe kurz mit ihm Döner essen und danach wird er genauso schnell wieder aus meinem Leben verschwinden, wie er hineingeplatzt ist. Dafür werde ich schon sorgen.

________________________

Hier also wie angekündigt Kapitel 4. Es ist leider wieder eher kurz, aber Kapitel 5 ist bereits in Arbeit und folgt auf jeden Fall noch am Wochenende. Da werdet ihr auch Damian etwas besser kennenlernen ...

Bleibt dran, es wird noch eine Menge passieren!

Eure Daniela



Entflammt - Ronja & Damian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt