17 - Die Uhr tickt

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Ich starre abwechselnd an die dunkel vertäfelte Holzdecke und auf die barocke Schildpatt-Uhr an der Wand. Meine Mutter hat unverkennbar ein Faible für Antiquitäten, das unserem Wohnzimmer einen Touch von Museum einhaucht. Komisch, dass die Uhr noch nicht wieder stehen geblieben ist. Man muss sie regelmäßig von Hand mit einem kleinen goldenen Schlüssel wieder aufziehen und es ist eine Weile her, dass ich das gemacht habe. Ein Wunder, dass ich überhaupt meine Zeit damit verschwendet habe, obwohl ihr stetes, lautes Ticken mich meistens nervt.

Inzwischen ist es kurz nach Neun abends und noch immer kein Lebenszeichen von Damian. Ich bin stocksauer. Schließlich sind wir verabredet. Oder sind wir es nicht? Ich hab gesagt, dass er nach der Arbeit vorbeikommen soll, aber er hat nicht darauf geantwortet, wenn ich nochmal darüber nachdenke. Hatte er nie vor zu kommen? Bereut er, mich geküsst zu haben? Es hat sich nicht so angefühlt. Er konnte kaum die Finger von mir lassen, hat quasi darum gebettelt, noch länger mit mir zusammen zu sein. Oder wollte er nur sehen, ob er bei mir landen kann? Meine Gedanken spielen verrückt und meine Eingeweide machen komische Sachen. Alles in mir ist verkrampft und ballt sich zu einem kleinen, steinharten Ball in meiner Magengegend zusammen.

Hat Damian sich gestern nur einen miesen Scherz mit mir erlaubt? Nein! So ist er nicht, kann er einfach nicht sein! Er würde nie so mit meinen Gefühlen spielen, das ist nicht der Damian, den ich kenne. Er ist launisch, schwierig, verletzt - von was auch immer - und sein Geständnis Rasmus betreffend hat mir deutlicher als mir lieb ist vor Augen geführt, dass er eine manipulative Seite hat und durchaus Opfer in Kauf nimmt, um sein Ziel zu erreichen. Aber das war, bevor wir uns näher kannten. Er würde mich kein zweites Mal bewusst verletzten. Wozu auch? Was hätte er davon? In den letzten knapp drei Wochen ist er ständig aufgetaucht, hat meine Nähe gesucht, obwohl ich oft abweisend war. Er hat zwar beteuert, nur mein Freund sein zu wollen, aber seine Handlungen gestern haben diese Behauptung Lügen gestraft. Oder wollte er sich nur beweisen, dass er mich rumkriegen kann? ... Nein, nein, nein! So sehr kann ich mich in ihm nicht täuschen! Aber warum hat er dann nicht wenigstens angerufen?

Ich hatte in den letzten zwei Stunden unzählige Male das Telefon in der Hand, um ihn anzurufen - schließlich habe ich jetzt endlich seine Nummer -, konnte mich aber nicht dazu durchringen. Ich habe schließlich explizit gesagt, dass er heute vorbeikommen soll, um mich stundenlang zu küssen. Ich werde ihn auf keinen Fall anrufen und darum betteln. So tief sinke ich nicht. Nie im Leben!

Nina und Eva werden außer sich sein, wenn ich ihnen erzähle, dass Damian mich stumpf versetzt hat. Sie haben zwar versucht, sich für mich zu freuen, als ich ihnen heute beim Kaffeetrinken erzählt habe, wie unglaublich der Abend noch war, aber ihre Zweifel standen ihnen nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben. Und wie es scheint, hatten sie Recht. Damian lässt mich fallen wie eine heiße Kartoffel! Und ich sitze hier nach ungefähr zwanzig Klamottenwechseln, weil ich zwar hübsch, aber auf keinen Fall übertrieben gestylt wirken wollte.

Ich kann nicht mal der mehr als seichten Liebeskomödie folgen, die gerade im Fernsehen läuft, weil meine Gedanken ausschließlich um Damian kreisen, der einfach nicht auftaucht.

Offensichtlich gibt es zumindest im Film das unausweichliche Happy-End, weil die Hauptdarsteller sich kurz vor dem Abspann selig in die Arme fallen und küssen. So lächerlich, denke ich wütend, schalte den Fernseher aus und pfeffere die Fernbedienung genervt auf den Tisch. Im echten Leben läuft das völlig anders.

Ich lege meine Lieblings-LP von Sinéad O'Connor auf den Plattenspieler, gehe dann in mein Zimmer, um meine enge Jeans gegen eine bequeme Legginghose auszutauschen und schnappe mir im Keller eine Flasche Weißwein. Ich sollte die Vorräte aufstocken, bevor meine Eltern am Wochenende aus dem Urlaub zurückkommen, denke ich schuldbewusst. Ich habe in den Tagen seit der verwirrenden Party einige ihrer Vorräte vernichtet. Andererseits gibt es immer noch reichlich. Vermutlich werden sie es nicht mal bemerken. Und falls doch, kann ich immer noch sagen, dass wir einen gemütlichen Mädelsabend gemacht haben, wogegen sie sicher nichts einzuwenden hätten. Dagegen, dass ich das alles alleine getrunken habe, allerdings schon. Was soll's? Sie werden es nie erfahren.

Entflammt - Ronja & Damian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt