21 - Unbeherrscht

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Dieser Tag will einfach nicht vergehen. Ich vermisse Damian so sehr, obwohl es gerade mal anderthalb Tage her ist, dass er mein Zimmer mit einem bewundernden Blick auf mich verlassen hat. Außerdem habe ich immer noch ein leicht schlechtes Gewissen, weil er mich gestern den ganzen Tag nicht erreichen konnte und ich vergessen habe, ihm zu erzählen, dass ich in Münster sein würde. Gleichzeitig ist mir todlangweilig, obwohl Langeweile sonst eigentlich ein Fremdwort für mich ist. Mir fällt sonst immer etwas ein, um mich zu beschäftigen und ich genieße es im Allgemeinen durchaus Zeit für mich zu haben.

Aber heute habe ich einfach an nichts Spaß und habe den ganzen Tag mit Zwangsbeschäftigungsmaßnahmen verbracht. Weil mir absolut keine sinnvolle Beschäftigung mehr einfallen will, starre ich wie paralysiert auf meinen Radiowecker. Es ist erst kurz nach drei und das schon ziemlich lange; mir kommt es jedenfalls wie eine Ewigkeit vor. Ich habe schon unzählige Male zum Telefon gegriffen, es aber jedes Mal wieder zurückgelegt, weil ich genau weiß, dass ich ihn jetzt noch nicht erreichen kann. Wann hat Damian wohl Feierabend? Ich will ihn endlich sehen oder wenigstens hören. Vor fünf werde ich ihn aber nicht anrufen. Und was mache ich bis dahin? Das sind immer noch fast zwei endlose Stunden ...

Nachdem ich schon um zehn Uhr hellwach war – ohne Wecker, um das mal zu betonen – habe ich das Haus geputzt, war einkaufen, damit der Kühlschrank wenigstens nicht ganz leer ist, wenn meine Eltern morgen aus dem Urlaub kommen und habe sogar für die Berufsschule gelernt. Nächste Woche geht's schließlich wieder los. Der Urlaub ist einfach viel zu schnell vergangen, seufze ich bedauernd in mich hinein. Bereits nach einem Jahr vermisse ich die Schule. Wie soll man auf Dauer mit nur sechs Wochen Urlaub im Jahr existieren können? Das ist geradezu lächerlich wenig. Im Studium werde ich die Semesterferien auf jeden Fall zu schätzen wissen.

Um mich abzulenken, versuche ich mein Buch weiterzulesen, kann mich aber nicht auf die Buchstaben konzentrieren, weil meine Gedanken immer wieder zu Damian driften. Es ist wie verhext, ER hat mich verhext, und es wird von Minute zu Minute schlimmer. Ich sehne mich so sehr nach ihm, dass es beinahe körperlich weh tut. Was ist nur los mit mir? Ich war schon oft verliebt, aber das hier übertrifft alles bisher Gekannte um Längen, Lichtjahre geradezu. Vor einer Woche wollte ich noch, dass er aus meinem Leben verschwindet, mich endlich in Ruhe lässt und jetzt ist genau dies das absolut Schlimmste, was ich mir überhaupt vorstellen kann. Wie konnte das in so kurzer Zeit passieren? Mein eigenes Verhalten verwirrt mich ebenso sehr wie er mich. Er hat eine Farbe in mir zum Vorschein gebracht, die ich bisher nicht kannte, die mir fast ein bisschen Angst macht, und ich frage mich, wie ich damit umgehen soll.

Ich schmeiße mein Buch genervt zur Seite, weil ich ohnehin kein Stück weiterkomme. Musik könnte eine gute Ablenkung sein, das hilft eigentlich immer. Ich gehe zu meiner Anlage und frage mich, was ich auflegen soll? Auf keinen Fall die Waterboys, dann drehe ich völlig durch. Ich betrachte verträumt meine Platten und schaue dann auf meine spärliche CD-Sammlung. Ich habe erst seit einigen Monaten einen Player und dementsprechend ist die Auswahl noch nicht besonders groß. Außerdem habe ich mich immer noch nicht an den Klang gewöhnt. Er ist einfach zu sauber, zu steril. In dem Fall hat die Technikphobie meiner Eltern wohl auf mich abgefärbt.

Schließlich entscheide ich mich für meine alte heißgeliebte Simple-Minds-Live-Platte. Nicht, dass „Don't you forget about me" jetzt gerade so viel besser wäre als die Waterboys. Auch dieses Lied wird auf immer und ewig in meinem Kopf mit dem Gedanken an Damian und unseren Tanz im J69 verbunden sein. Der wundervolle, kostbare Moment, in dem ich mich in ihn verliebt habe. Vielleicht war ich es auch vorher schon, aber erst da wusste ich es plötzlich und es ist mir immer noch ein Rätsel, wie ich von einer Sekunde zur nächsten mit absoluter Bestimmtheit wissen konnte, dass ausgerechnet Damian derjenige ist, nach dem mein Herz immer schon gesucht hat.

Entflammt - Ronja & Damian Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt