VII Wieder allein vor dem Spiegel - Die Entstellung

84 13 1
                                    

Delia

Ich wachte auf, wagte aber noch nicht die Augen zu öffnen. Nach meinem Traum fühlte ich mich seltsam benommen. Er war so greifbar und schien so echt- viel zu echt. Ich blinzelte und versuchte mich an das Licht zu gewöhnen. Ich hätte schwören können, dass ich Stimmen gehört hätte. Endlich nahm ich die Umrisse wahr und starrte auf eine hölzerne Decke. Als ich mich aufsetzte, spürte ich den kalten Luftzug auf der Haut und zog die Decke wieder hoch. Die Decke war flauschig und weich - aber nicht meine. Meine Ohren zuckten und drehten sich nach rechts. Ich hörte genauer hin und war mir nun sicher, dass die Stimmen aus dem Nebenzimmer kamen. Genüsslich Streckte ich mich und schaute mich um. Auf einem Tisch stand ein Krug - vermutlich etwas zu Trinken. Nebenan lagen Früchte und Obst auf einem Teller. Sofort sprang ich auf und ignorierte die schnell auftretende Kälte. Ich aß was ich könnte und füllte das Trinken aus dem Krug in einen Becher, welcher so einladend daneben gestanden hatte. Es war ein Gefühl, als hätte ich Tagelang vergessen zu essen oder zu trinken. Das kühle Nass lief meine Kehle runter, worauf ich sofort fröstelte und es dennoch in diesem Moment kein schöneres Gefühl hätte geben können. Als erneut ein Luftzug zu mir drang, schaute ich mich erbost nach einem Fenster um. Ich erblickte keines, aber dafür eine Kommode, auf welcher schon etwas lag. Langsam schlich ich zu dem weißen Stoff und hoffte so inständig, dass ich es hätte anziehen könnte. Meine Klamotten waren zerfetzt und verdreckt und auf einer Seite auch etwas unangenehm Feucht. Ich schaute zur Tür und betete, es möge keiner nach mir schauen, während ich mich schnell umzog. Der Stoff fühlte sich so leicht und weich auf meiner Haut an. Das lange, schneeweiße Kleid hatte keine Rüschen oder ähnliche Aufmachung und dennoch gefiel es mir wie eine zweite Haut. Es Flatterte unten, wenn ich mich bewegte. Die Ärmel waren die eine Art Tunika, welche jedoch nur über den Rücken verbunden waren und die Schultern frei ließen. Sie waren etwas zu lang, sodass ich meine Hände nicht mehr sah, wenn ich die Arme nach unten hielt. Aber vielleicht war das ja auch so Gedacht. Ich drehte mich einmal und genoss den Stoff, der mit mir zu fliegen schien. Zu meinem Entzücken stand neben der Kommode ein großer Spiegel und ich trat davor. Was ich sah, schockierte mich. Das Kleid war wunderschön, schien sogar ein paar Glitzersegmente zu haben, welche ich auf den ersten Blick nicht bemerkt hatte. Aber das was mich wirklich erschrocken hatte, war mein Gesicht. Auf der rechten Seite hatte ich eine, sogar noch rötlich Schimmernde, Narbe, die vom Auge bis zu meinem Kinn über die Backe ging. Mit zitternder Hand betastete ich sie vorsichtig. Es brannte ein wenig, war aber nur schlimm, wenn ich fester drauf drückte. "So ein Mist!" rief ich aus und eine Träne trat aus eben jenem Auge. Sie lief exakt den Weg der Narbe nach, bis sie auf mein Kleid tropfte. Ich wischte mit dem langen Ärmel mein Gesicht trocken und seufzte verzweifelt. "Jetzt nicht aufregen oder verzweifeln. Ich lebe noch- das ist doch ein Anfang?", ich sprach mit meinem Spiegelbild und versuchte mich zu beruhigen. Das kam mir etwas dämlich vor, aber es war ja kein weiterer hier. Als ich in der Kommode suchte, fand ich eine Bürste und auch Haarbänder. Ich legte sie mir bereit und ergriff die Bürste. Natürlich zählte ich jeden Bürstenstrich mit und sah erleichtert, wie das Gewirr auf meinen Kopf der Glätte wich. Meine Haare schienen heller zu sein, aber wahrscheinlich bildete ich mir das auch nur ein. Normalerweise hätte ich mir die Haare gerne zu einen hohen Zopf gebunden, wobei die Enden der Bänder mit den Haaren verschmolzen. Ich betrachtete mich im Spiegel und stelle fest - der Zopf sah gut aus, jedoch nicht das Gesicht. Es sah so aus, als würde der Zopf diese grausige Narbe geradezu Präsentieren. Fast konnte ich die Narbe hören welche nach Hohn und Spott zu rufen schien, oder gar nach Angst und Verachtung. Mir reichten meine Haarfarbe und meine Beweglichen Ohren als Beweis, dass ich ein Freak bin. "Zauber dir die Haare schwarz, Zauber dir die Haare schwarz!" - das war der Tipp von Sven. Weder er noch ich konnten gut zaubern - das glaubte ich damals zumindest. Nico hatte es einmal versucht, heraus kam eine unverschämt auffallende röte. Damit war ich zwar etwas zufriedener, als mit dem noch unnatürlicheren Blond, jedoch war der Erfolg nur von kurzer Dauer. Schon nach einer halben Stunde wurden die Haare Braun. und nach etwa zwei Stunden waren sie wieder so hell und Blond wie vorher. Verzweifelt und heulend bin ich damals zu Chrissi gerannt. Ich durfte auf seinem Sofa mich ausheulen und bekam einen mollig warmen Tee. Er hatte zwar etwas salzig geschmeckt, aber ich fand dennoch Trost in ihm. Zugegebenermaßen war der Salzgehalt nicht seine Schuld, sondern die meiner Tränen. Als ich danach nach 3 Stunden immer noch voller Trübsal in den Becher blickte, schmunzelte Chrissi und fragte mich, ob er es versuchen sollte. Damals war ich natürlich Feuer und Flamme, er sollte es unbedingt probieren, hatte ich gesagt, sofort hatte ich noch aufgeregt hinzugefügt. Er lief zu seinem Bücherregal und nach etlichen Minuten, welche sich dank meiner Habseligkeit wie Tage anfühlten, setzte er sich neben mich. Dann murmelte er komisch klingende Wörter und machte seltsame Gesten mit der Hand. Ich schloss die Augen und biss mir ausversehen vor Nervosität auf die Zunge. Damals hatte er mir auf die Schulter getippt und in einem Spiegel geblickt, den er vor mich hielt. Ich hatte vor Freude wieder angefangen zu weinen, als ich die rabenschwarzen Haare sah. Selbstsicherer den je hüpfte ich nach Hause. Leider war mir auch diese Freude nicht vergönnt. Schon nach einer Woche wachte ich eines Tages auf und fand meine blonde Mähne wieder vor. Damals hatte ich aufgegeben jemand anderes sein zu wollen. Er könne es nochmal versuchen, hatte er mir versichert, aber ich lehnte ab. Damals hatte ich mich akzeptieren gelernt. Es hatte zwar Jahre gedauert und einfach war es auch nie gewesen, aber ich hatte es. Ich blickte in den Spiegel und schaute mein weißes Kleid an. Es wehte leicht und meine Haare umspielten meinen Hals. ich hatte mit einem einen kleinen Seitenzopf gemacht, wobei ich darauf geachtete hatte, dass die Bänder trotz allem noch lang aus dem Zopf rausragte. Es war ein schönes blaues Band, welches mit dem Zopf tanzte. "Welche Ironie, die Farbe...", murmelte ich und musste trotzdem lächeln. Blau bringt Ruhe und Gelassenheit, vielleicht war da doch etwas dran. Dann betrachtete ich erneut die Narbe und verzog das Gesicht. Damals hatte ich zwar gelernt, so zu akzeptieren, aber nicht diese Narbe! Verunsichert find ich an, an einer Strähne zu spielen. Dann kam mir die Idee. Ich nahm erneut die Bürste und kämmte die Haare mir vor das eine Auge. Zufrieden sah ich, dass man nichts sah - nichts von der Narbe, meinte ich. Damals hatte ich mich akzeptiert, vielleicht werde ich diese Entstellung auch eines Tages akzeptieren - aber nicht jetzt. Jetzt war eher die Zeit, Erklärungen zu finden. Entschlossen lief ich zur Tür und genoss dass umspielen des Kleides seitens meiner Beine. Erst jetzt viel mir auf, dass ich keine Schuhe an hatte. "Naja... dann muss es jetzt halt so auch gehen.", sagte ich mir und öffnete ganz langsam die Tür. Mein Ohr zuckte sofort, als die Stimmen ein kleines Stück lauter wurden. Ich trat in einen Riesigen Flur voller Garnichts. Weder Dekoration noch Mensch war hier. Mein Ohr zuckte nach rechts, also drehte ich mich auch nach rechts. Freudig stellte ich fest, dass dort der Eingang zu einem Zimmer war. Schnell und auf leisen Sohlen schlich ich zur Tür. Ich hielt mein Ohr an die Tür, das nun endlich mal Still hielt. "Ich habe euch doch gesagt, wir warten.", hörte ich eine tiefe Stimme brummen. "Ich will aber wissen was passiert ist!" - Sven ! Es tat einen Schlag - Vermutlich ein umgeflogener Stuhl. "Das würde mich jetzt aber auch mal Interessieren..." - Nico! Er murmelte zwar sehr leise, aber ich wusste sofort zu wem ich diese Stimme zuordnen musste. "Alles zu seiner Zeit!" - Chrissi ! Sie sind alle da drin? Ein tiefsitzender Wunsch nach Trost und Geborgenheit drang mich dazu die Türklinge runter zu drücken. Ehe ich mich versah, stand ich hinter der Offenen Tür und sah erstaunt in die Augen eines Mannes mit riesiger, leuchtend, roter Narbe.



Avaranda - Stadt der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt