XV Der Hass kratzt Augen aus

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Delia

Ich nippte mürrisch an meiner heißen Milch. Vor mir saß Chrissi und schaute mich so herzlich an. Eigentlich sollte ich sauer sein, ihm die Augen auskratzen wollen, aber so fühlte ich nicht. Auch wenn er jetzt größer, edler und eleganter wirkte als vorher, er war für mich schon immer ein Freund - nein mein Bruder, gewesen. Jedoch eine Person gab es, der ich tatsächlich die Augen auskratzen wollte. Jetzt sprich doch mit mir! Mürrisch nippte ich erneut an meiner heißen Milch. Ich saß in Chrissis Zimmer, das so viel schäbiger eingerichtet war als meins. Fast schon sah es lustig aus, wie der gut aussehende Chrissi auf seinem morschen, viel zu kleinem Hocker saß und mich anstarrte. Sein Bett hatte leicht geknarrt, als ich mich darauf gesetzt hatte, doch in diesem Moment war es mir mehr als egal gewesen. Meine Knie zitternden noch immer vor Aufregung. Hallo? Ach Mensch Delia, sei nicht so zickig. Chrissi stand langsam auf und lief etwas durch den Raum. Gebannt schaute ich auf seine Füße, die so gekonnt leicht über den Boden glitten. Ob er wohl schon immer so lief? Dann wurde mir mollig warm und für kurze Zeit wurde ich etwas entspannter. Bitte? Ich brummte noch einmal, bevor ich nickte. Weiterhin zu schmollen und ihn zu ignorieren hätte ich sowieso nicht übers Herz gebracht. Sofort verspürte ich den plötzlichen Drang aufzuspringen und zu jubeln, unterdrückte dies allerdings schnell wieder. Wie sollte ich wütend auf Shinishi sein, wenn er doch so reumütig um Gnade winselte. Ein kurzes Grinsen huschte mir dann doch über mein Gesicht. Ich wusste nicht einmal was er ist, oder wer genau er ist, dafür kannte ich ihn zu kurz. Aber dennoch fühlte ich eine jetzt schon tiefe Freundschaft, die uns verbannt und den gegenseitigen Hass gegen diese bestimmte Person, der wir beide die Augen auskratzen wollten. Just in dem Moment, in dem Chrissi den Mund aufmachte, in dem ich gewollt war ihm zuzuhören, gehofft hatte Antworten auf meine vielen Fragen zu bekommen, gerade in diesem Moment klopfte es an der Tür. Ein Sanjo mit Feuerroten Haaren betrat den Raum, obwohl man es eher als ein lautes Poltern hätte beschreiben können. Er würdigte mich keines Blickes und starrte an mir vorbei auf die Wand. Chrissi schnellte elegant und dennoch bestimmt hervor und baute sich, demonstrativ groß, vor ihm auf. Ich hörte ein schrilles Kreischen und dachte schon, er würde jetzt auf Chrissi losgehen, doch dann bemerkte ich, dass es nur in meinem Kopf gekreischt hatte. Meine Wahnvorstellung namens Shinishi. Sanjo verzog keinen einzigen Muskel seines Gesichtes. Ich schwor, dass in diesem Moment sein Gesicht genauso eingefroren war, wie sein Herz. Der Aufgeweckte und zudem freche Rotschopf, wurde zu einem Versteinerten Drachenglut - und dieser war schon recht emotionslos und unheimlich gewesen. „Frühstück." Ein Mann - ein Monster, ein Wort. Er warf mit einer Handbewegung seine Haare vor seinen Augen weg und drehte sich dann schnell um. Eiligen Schrittes und mit einem darauf folgenden Tür Knall, verließ er den Raum wieder. „Warum knurrst du?", fragte mich Chrissi besorgt und lief sofort zu mir. Er musste sich mit einem Bein hinknien, damit wir auf einer Ebene sprechen konnten. Ich hustete und strich meine Haare gerötet zurecht. Mir war weder aufgefallen, dass ich geknurrt hatte, noch dass ich das Holz des Bettes zerkratzt hatte. Die Aufregung machte mich schon ganz wirr im Kopf. „Muss Frühstück sein?", ich betrachtete meine nackten Füße die ich hin und her schaukelte. „Hast du denn keinen Hunger Kleines?"', liebevoll legte er eine Hand auf meine Schulter. „Ne!" prustete ich sofort heraus und schaute in seine Augen, die wenigstens noch genauso aussahen wie vorher. Ein knurren verriet und ärgerte mich. Chrissi lachte und schubste mich freundschaftlich. Knallrot sprang ich auf und schaute mich um. „Tut mir leid. Die Nahrungsmittel die du zu suchen scheinst, werden sich wohl nur am Tisch befinden." Er lächelte schief und nahm mich in den Arm. Plötzlich fühlte ich mich so befreit - ja fast schon beflügelt. Für kurz schloss ich die Augen und genoss dieses Gefühl, dass ich dachte nie mehr zu fühlen. Heimat. Geborgenheit. Ruhe. Natürlich spürte ich, dass er immer kleiner wurde und als ich die Augen wieder geöffnet hatte, stand da auch wieder mein alter Chrissi. Trotzdem wollte ich ihn aber nicht so sehen. So wie ich ihn all die Jahre gesehen hatte, lebte er eine Lüge aus. Er ist keine Nymphe er ist ein - was eigentlich? Er sah aus wie ein Elf, ein seltsamer, zugegeben, aber ein Elf. Zu große und doch zu kleine Ohren, aber ein Elf. Oder?


Avaranda - Stadt der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt