XVI Wenn man Hitze spüren kann

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Delia

Ich fühlte mich, buchstäblich, wie eine in die Falle gelaufene Beute. Mit starren Blick löffelte ich, so schnell ich konnte, die Suppe aus. Definieren, aus was die Suppe eigentlich bestand, konnte ich nicht. Wollte ich aber auch nicht. Alles was ich wollte, war fertig werden. Fertig essen und als Nebeneffekt fertig mit den Nerven werden. Der Tisch war aus dunklem Holz, mit sehr vielen Maserungen und Löchern verziert. Ja nicht, ihn anstatren. Ich werde alles anschauen aber um nichts in der Welt, werde ich ihn in die Augen schauen. Während ich über alles Mögliche nachdachte, vergaß ich, dass ich mich auf die Suppe hätten konzentrieren sollen. Natürlich hatte ich mich sofort Verschluckt und prustete Lauthals los. Ich griff nach dem Becher und leerte dessen Inhalt hastig und viel zu eilig. Zwar hatte ich jetzt nur noch ein leichtes Kratzen im Hals, bemerkte aber zugleich das nächste Dilemma. In meiner Hektik und Not, habe ich natürlich nach dem falschen Becher gegriffen. Nach nur kurzer Zeit, setzte die wirkung des Inhalts ein. Das scharfe Getränk brannte schrecklich nach und ein Schwall der Übelkeit kam über mich. Ich schämte mich in Grund und Boden und fühlte die Röte in meinem Gesicht aufsteigen. „Ist schon okay Delia.", sagte Chrissi, während er mich lieb anlächelte. Mit diesem Großherzigen Lächeln, den glitzernden Augen und mit einem Geheimnis im Herzen. Ein Geheimnis dessen Lüftung ich bald erfahren würde - er hatte es versprochen. Ein Schluckauf kündigte sich an und wurde von mir mit größter Mühe unterdrückt. Im Augenwinkel nahm ich Drachengluts ruckartige Bewegungen war. Schon allein seine Anwesenheit reichte mittlerweile aus, um mich in Rage zu bringen. Ich unterdrückte jedes noch so niederträchtige Verlangen.

Was ist los?

Ich möchte auf mein Zimmer und am liebsten dort bleiben - für immer!

Direkt nachdem ich diesen Satz dachte, verfluchte ich mich selbst. Warum funktioniert diese Sache mit dem Hirngespinst nur in eine Richtung. Ich wünschte, ich könnte daran denken und ihm antworten. Kurz darauf nahm ich einen sanften Druck gegen mein Bein war. Chrissi schaute mich lächelnd, aber leicht irritiert an. Sofort hörte ich auf zu knurren und räusperte mich. „Du wirst immer komischer...", flüsterte Nico leicht besorgt. Sven stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen und schüttelte wütend den Kopf. Von Sven schweifte mein Blick weiter zu Sanjo. Er saß zwar sehr gebeugt, aber dennoch konnte ich dieses hässlich, niederträchtige Fratze, des Drachenglut sehen. „Du knurrst schon wieder ...", murmelte Chrissi in seinen Tee. Ich hustete und tat so, als hätte ich mich nur wieder verschluckt. Ob Chrissi mir auch mein Geheimnis erzählen könnte, dass scheinbar so Geheim ist, dass nicht mal ich es weiß. Es wurde immer schwüle im Raum und das Essen, der viel zu heiß wirkenden Suppe, immer mühseliger.

Ich würde ihn am liebsten die Augen auspicken!

Nico rannte panisch davon, während der, mir zu mutige, Sven, Drachenglut hinter sich versteckt hielt. „Hör auf Delia!", Sven sprach ruhig und kalt. Kalt wie das Blut, dass durch das Herz des Drachenglut fließen musste. „Gib ihn her! Ich will ihm die Augen auspicken!", ich schrie das ganze Zimmer zusammen, höre die Tiefe, dunkle Stimme wiederhallen und spürte die immer deutlicher werdende Hitzewahrnehmung. Sven schien fast rot zu leuchten und verriet seine Angst. Neben mir leuchtete etwas, fast unnatürlich unregelmäßig und hinter Sven war alles Grün. Ein kleiner roter Kreis verriet die Anwesenheit von Drachenglut. Genau dort, wo sein Herz zu sein schien, war es als einziges rot.

Reißen! Beißen! Augen auskratzen!

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das sagte, dachte oder Shinishi zu mir sprach. Hitze rann aus meinen Beinen und hinterließ eine rote Spur aus Flammen, mitten in dem Scherbenhaufen aus den rotglühenden Suppentellern. Das Holz war so blass, so grau, so blau. Ein grelles Kreischen drang aus meiner Kehle hinaus in die Wirklichkeit. Meine Fingerspitzen waren nicht mehr allzu weit von ihm entfernt. Ich spürte geradezu wie sich sein grässliches Lächeln in meine Netzhaut einbrannte. Ein Stimmenwall donnerte mir entgegen, von dem ich aber kein Wort verstand. Dann durchströmte ein Kreischen meine Kehle und vibrierte in meinen Stimmbändern. Die Stimmen wurden weniger, wurden merkbar leiser. Ich würde ihm das Herz heraus reißen, das er mit keiner Tat die er je getan hat verdient hat! Dieses schöne, schimmernde Herz. Meine Fingerspitzen konnten schon fast seine Haut spüren. Meine Knie brannten in den kaputten Tellern. Aus meinem Oberschenkel rann heißes Blut und flutete den ganzen Tisch. Dieser Frost schützte ihn. Veränderte seine Haut. Eiskalte Haut, die ich zerkratzen würde, bis ich an sein Herz heran käme.

Sven

Ihre Augen leuchteten schon wieder furchterregend Rot. Ihr Atem war heiß. Heiß wie die Glut eines Feuers und hauchte damit meinen Hals an. Chrissi riss geradezu an Delias Kragen. "Mach irgendwas!", ich war panisch und schrie Chrissi an. Auf meiner Stirn bildeten sich Schweißperlen, die scheinbar gekocht wurden. Bald würde mein Herz aus der Brust springen. "Was soll ich denn tun?", auch Chrissis Bemühungen halfen nichts. Delias Pupillen wurden immer kleiner und ihr Blick immer furchterregender. Nur noch ein Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. "Was passiert, wenn sie wieder Zaubert?", rief ich Chrissi entgegen und war fest der Meinung, dass dies nicht gut ausgehen konnte. Es würde wie letztes Mal kommen. "Hat sie schon längst...", ich starrte Chrissi an. Wie meinte er das? Sein Blick war ernst und seine Finger krallten sich noch stärker in den Stoff. War mir etwa vor Aufregung so warm geworden? Oder war das Delias schuld gewesen? Ein markerschütterndes Kreischen durchfuhr Mark und Bein. Es schien, als würde für diesen kurzen Moment die Zeit still stehen. Der Schrei hinterließ unheimliche Stille, in der man nur noch das laute Atmen von Delia hören konnte.

Kurz darauf entglitt Chrissi der Stoff. Seine Augen wurden größer während der Stoff aus seiner Hand rutschte. Delia rann eine Träne aus ihrem Narbenauge und beugte sich vor. Reflexartig schob ich mich zwischen Sanjo, der immer noch auf seinem Stuhl saß und Delias Hand. Ein Knurren ließ den Raum erzittern und stockte mir den Atem. Innerhalb eines Wimpernschlages lag ihre Hand an meinem Hals. Ein Ruck durchging meinen ganzen Körper und kurze Zeit später spürte ich das Holz der Wand splittern, gegen die ich geworfen wurde. Meine Stimme war weg, teilweise auch meine Luft. Ich griff mit Beiden Händen nach meinen Hals und wünschte mir, dass ich einen Schrei zustande gebracht hätte. Es brannte höllisch und schien sich auszubreiten. Was ist das? So lag ich da, hilflos, nutzlos. Das war ich wohl immer schon gewesen. Ich hustete und rang nach Luft. Mir wurde schon schwarz vor Augen.

Stimmen drangen noch durch mein Ohr. Es war ein aufgebrachter Chrissi der jemanden anbrüllte. „Du solltest sie nicht provozieren! Du solltest das ganze Verhindern! Ich hatte dich als ihren stillen Aufpasser engagiert und nicht als nerv tötender Neidhammel! Du wirst sie jetzt nach Eldarada avi Minirae bringen. Und ich werde Sven und Nico sofort zur Ausbildungsstätte im Untergrund von Tanjovei bringen. Ich schwöre dir, bei Drigano avi Minirae, wehe ihr passiert auch nur irgendetwas!"

Ich hustete ein letztes Mal, wobei ich den Geschmack von Blut auf der Zunge vernahm. Danach hatte ich einfach keine Kraft mehr bei Bewusstsein zu bleiben. Alles wurde ruhig um mich, nur noch ich und das Rauschen meines eigenen Blutkreislaufsystems. Ein Rauschen, wie es mein kleiner Fluss im Wald, hinter meinem Haus, immer getan hatte.


Avaranda - Stadt der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt