Sven
Er hatte es mir an diesem Abend in die Hand gedrückt. An diesen Abend, wo Delia einmal bei mir war und sagte, dass sie Angst habe. Sie habe Angst davor, dass sie verrückt sei. Ich wusste bis zu dem Zeitpunkt schon, dass sie nicht gern allein ist und auf oft traurig und ängstlich. Aber sie erzählte mir von Stimmen. Von seltsam klingenden Stimmen die mit ihr reden und sagen, dass sie es endlich tragen solle. Heulend stand sie vor mir. Ich hatte sie natürlich in mein Haus gelassen. Natürlich hatte ich mich etwas geschämt. Meine Bude war nicht die schönste, das war klar. Ich lebte alleine dort. Keine Eltern, schon gar nicht leibliche, keine Frau, keine Tiere. Warum sollte ich es mir gemütlich einrichten, wenn ich eh nie daheim war. Ich schlief dort und das war es schon. Die Meiste Zeit saß ich draußen, hinter dem Haus und hörte den Bäumen zu. Aber es regnete und Delia war schon so nass und kalt. Ich holte ihr Tücher und jede Menge Decken und sie saß sich, ohne zu murren, auf den Boden. Natürlich scheuchte ich sie davon weg und zog sie ins Schlafzimmer, den einzigen Raum mit wenigstens einer Sitzgelegenheit. Sie schaute mich misstrauisch an, hatte gemeint ob das ein Scherz sei. Ich hatte, wohl mit knallroten Kopf, ihr vergewissert, dass ich draußen stehen bleiben würde, falls sie das wollen sollte. Sie hatte gegrinst und saß sich aufs Bett und schaute mich an. "Kommst du?" hatte sie gefragt und dabei sogar kurz gelächelt. Mit der Spitze, der um sie herum gewickelten Decke, strich sie sich immer wieder die Tränen aus dem Gesicht. "Sie ruft immer im Traum nach mir, weißt du?" hatte sie mir damals erklärt. Ich hatte sie ein wenig skeptisch angeschaut, da flossen sofort neue Tränen. "Das ist wirklich so!" versicherte sie mir und strampelte energisch mit den Füßen. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und hatte sie wissen lassen, dass ich ihr alles glauben werde, was sie mir sagte. Es habe erst vor kurzem angefangen, meinte sie. Und sie habe das Gefühl, seit kurzem verfolgt zu werden. Sie weinte bitterlich und vergrub sich immer mehr in der Decke. Ein seltsames Gefühl lag in meinem Magen. Oder war es mein Herz? Ich wusste nicht so recht, wie ich am besten darauf reagieren sollte. Nico hätte wahrscheinlich erwartet, dass ich etwas gesagt hätte wie: "Beiß die Zähne zusammen. Wir sind ein Team. Wir packen das! Jeder, der dir etwas antut, bekommt es mit mir zu tun!". Ich hätte es auch fast gesagt, hatte schon den Mund aufgemacht. Aber wie gesagt - nur fast. Während ich so in Gedanken versunken dagesessen war, hatte Delia Ruhe gefunden. Die Tränen kullerten immer noch, doch ihre Augen waren geschlossen. Und was viel seltsamer war - ihr Kopf auf meiner Schulter. Es fühlte sich seltsam beruhigend an. Aber so ganz wusste ich nicht recht, was jetzt los war. Sie war schon oft so, dass sie verletzlich wirkte. Viel zu oft, spielte sie das starke Mädchen. Manchmal war sie es auch, dass musste sie sein. Sie wurde es notgedrungen, dank all der Leute, die sie nur auslachten oder verspotteten. Nicht immer ging es nur verbal zu. Ein Mal kam sie zu uns gerannt und ihr fehlte eine Haarsträhne. Am nächsten Tag, hatten wir sie an einem Pfahl gebunden gefunden. Ein Schild auf dem "Monster" stand, war darauf genagelt. Sie schnaufte ganz leicht und ich spürte ihren warmen Atem an meinem Hals. Zögern legte ich meine Hand auf ihren Kopf. Oh Nico hilf, was ist das hier? Was mach ich hier? Du wüsstest was man tun sollte, dachte ich damals. Dieser verdammte Frauenheld. Ich verfluchte ihn bis heute noch und würde das wohl auch immer tun. Damals, an genau diesen Abend, war plötzlich eine Gestalt am meinem Fenster. Ein schwarzer Mantel, mit schwarzer Kapuze. Daraus schauten dunkle Haare. Eine Finstere Gestallt balancierte auf dem Fenstersims in gebückter Stellung. Ich rannte sofort zu ihr, wollte sie schlagen, töten, wer weiß was ich wollte, oder was ich dachte, was ich könnte. Doch die Gestalt zückte schneller als erwartet einen Dolch und hielt die Spitze vor meinen Hals. Damals hatte ich Sanjo zum ersten Mal gesehen. Jedoch verriet er mir nicht seinen Namen. Warum hatte ich ihn nicht geschlagen oder sonst etwas? Warum hatte ich ihn so plötzlich in Ruhe sprechen lassen und ihm so ruhig zugehört? Das fragte ich mich bis heute. Er nannte Delias Namen und übergab mir dieses seltsame Seidentuch. "Gib ihr das Band, es ruft nach ihr. Es wird aufhören zu rufen, wen sie es hat. Dann wird ihre Angst aufhören. Mach es! Ich glaube ... sonst passiert etwas Schlimmes!" er hatte eine seltsam dramatische Pause im letzten Satz gemacht. Er sprach nicht bedrohlich, eher besorgt. Was er, wie ich heute wusste, zurecht war. Ich drehte mich nur kurz mit dem Kopf zu Delia um. Sie schlief recht unruhig aber hatte aufgehört zu weinen. "Aber wie soll ihr das Ding helfen?" - er war weg. Meine Frage ging ins Leere. Damals hatte ich das Ding aus dem Seidentuch gefischt und ins Mondlicht, das durch das Fenster kam angeschaut. Es war ein sehr schönes Band für den Hals. Ich lehnte mich aus dem Fenster und sah nur Dunkelheit. Ich wollte mich Ohrfeigen dafür, dass ich es ihr nicht gab, damals, als ich noch die Chance hatte, all das zu verhindern. Zumindest glaubte ich das.
Ich saß in der Ecke und beobachtete das Spektakel eher halb lebig. Die Rolle des Betrunkenen hatte wenig mit meinem Charakter gemeinsam, jedoch ging mein Plan auf. Die Matrosen lachten über mich und Nico hatte mich einmal Schuldbewusst angeschaut, doch dann verloren sie das Interesse an mir. Sie hatten mich hinfliegen lassen, ohne mich aufzuheben. Test war bestanden. Einmal hatte mich Nico gesehen, aber auch er ließ mich in Ruhe. Ich wartete auf einen guten Moment zu verschwinden, das war ich ihr schuldig. Dann schrie Sanjo plötzlich irgendwas Unverständliches und alle rannten raus. Das war die Chance auf die ich gewartet hatte. In der Menschenmenge rannte ich durch den Gang. Als ich mir sicher war, dass mich Nico aus den Augen verloren hatte und mit den wissen, dass Chrissi einer der ersten war, die durch die Lucke nach oben gekletterten ist, wurde ich wieder ruhiger. Als letzter kletterte ich auch durch die Lucke, ging aber in die andere Richtung. Die Sonne blendete, wenn man so lange in der Dunkelheit saß. Dann sah ich sie. Das weiße Kleid umspielte sie und die hellen, blonden Haare wurden von der Sonne angestrahlt und schienen dadurch zu leuchten. Ich vergrub meine Hände in der Hosentasche und schaute auf den Boden. Ich spürte das Bändchen in der Hosentasche. Chrissi hatte es mir heute Morgen, kurz vor der Flucht in die Hand gedrückt. Er meinte nur, dass es meins sei und ging. Meine Beine zitterten und meine Gedanken riefen alle durcheinander. Erst jetzt merkte ich, dass ich stehengeblieben war, aber ein mächtiges Grölen weckte mich aus meinen ängstlichen Gedanken. Ich Biss mir einmal auf die Lippe und lief dann schnurstracks auf Delia zu. Sie sprach nicht und sah aus, als sei sie in Gedanken versunken. Sie schaute auf das Wasser, das so ruhig da lag. Ich zappelte etwas unbeholfen auf der Stelle und wusste nicht so ganz, was ich jetzt machen sollte. Es war ganz still auf dem Schiff. Dann räusperte ich mich und Delia zuckte zusammen und drehte sich um. Ich war etwas pikiert, da ich den Anblick der Narbe ganz vergessen hatte, ließ mir aber - so hoffte ich wenigstens - nichts anmerken. Tonlos übergab ich Delia das Band und das Tuch und wollte schon wecklaufen, als sie meine Hand festhielt. "Danke..." murmelte sie leise und gab mir das Band in die Hand. Ich schaute sie verwirrt an, wollte es ihr wieder in die Hand drücken, doch sie drehte sich um. "Machst du?" hatte sie nach einiger Zeit gefragt. Ich zuckte zusammen, schaute auf das Band in meinen Händen, schaute auf ihre Haare die ihren Hals verbargen. Achso, ja, ich Trottel. Zaghaft strich ich ihr die Haare weg und legte ihr das Band um den Hals. Der Verschluss wollte erst nicht zu gehen, als dann ein kurzes, rotes Licht aufleuchtete und der Verschluss ein vollständiges Herz darstellte. Es war, als wär sie angewachsen. Ich rannte schnell weg, schaute nicht mehr zurück. Hörte noch ein "Danke Sven." rufen. Das Schiff schwankte plötzlich und ich musste mich an der Reling festhalten. Als es endlich wieder den richtigen Kurs hatte, rannte ich neben Nico. Sein Blick hätte mich am liebsten getötet. Er sprach auch irgendetwas, vielleicht etwas wichtiges, ich weiß es nicht. Ich hatte ihm nicht zugehört. Im Gedanken war ich bei Delia und diesen vermaledeiten Band um ihren Hals. Während alle zu Sanjo liefen, warum auch immer, schmuggelte ich mich dazu. Auf Nicos nervige Kommentare hatte ich Null Lust. Als ich ihn nicht mehr sah, rannte ich schnell zur Lucke. Ich schaute ein letztes Mal zu Delia, die in der Ferne schon wieder die Sonne anschaute, die jetzt unterging. Ich schüttelte den Kopf "Du musst jederzeit klar denken und konzentriert bleiben!" sagte ich streng zu mir und schlich in meine Kabine. Das Bett war bequemer als das, dass ich zuhause stehen hatte. Ich vergrub mich unter die Decke und wollte am liebsten nichts denken. Und vor allem nicht wieder von dem Abend träumen, wo ich alles hätte verhindern können. Zumindest vielleicht. Aber irgendetwas in mir sagte mir, dass es einerseits auch gut war. Immerhin, war es ein Neuanfang für uns alle. Und Delia hatte gelacht. Öfter als sonst. Ich schloss die Augen und beschloss einfach von einem Wald zu träumen. Einen Wald der nicht Schwankt und rauscht.
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Avaranda - Stadt der Drachen
Fantasy"Du bist eine Fehlgeburt, die niemals hätte existieren dürfen!" - Wenn diese Worte nicht Teil eines verachteten Vorurteils sind, sondern auf einer allgegenwärtigen Tatsache basieren, beginnt ein Alptraum. Die Existenz wurde verspottet, geschändet un...