Dieses Kapitel ist sogar noch ein Stück länger als das alte, aber ihr seid ja alle fleißige Leser ;)
Ich laufe die Treppen hinunter, Phil vor mir. Unten angekommen zieht er seine Schuhe wieder an und ich schnappe mir meine Ballerinas mit dem leichten Keilabsatz, damit er mich nicht ganz so sehr überragt. Wir sind kurz vor der Haustür, da kommt meine Mutter aus der Küche und sieht kurz zu Phil, dann zu mir. Sie wirft mir einen fragenden Blick zu, sodass er es nicht sehen kann, dann lächelt sie. „Na wo wollt ihr denn hin?", fragt sie neugierig. „Nur ein wenig in die Stadt", sage ich, inständig hoffend, dass meine Mutter mich erst ausquetscht, wenn ich mit ihr alleine bin. „Achso, na dann viel Spaß und komm nicht zu spät nachhause." „Mom, ich bin achtzehn", entgegne ich und verdrehe die Augen. Sie hebt beschwichtigend die Hände. „Das weiß ich mein Schatz, war nur ein Scherz." „Okay, tschüss, bis irgendwann", sage ich und schiebe Phil mit sanfter Gewalt zur Tür hinaus, um dieser langsam peinlich werdenden Situation zu entkommen.
Als wir draußen sind, sehe ich wie Phil sich mühsam ein Grinsen verkneifen muss. „Was?", frage ich und sehe ihn böse an. „Nichts", winkt er ab und schließlich muss ich selbst schmunzeln. „Ich weiß, meine Mom ist sehr nett und ich sollte nicht so zu ihr sein wie gerade eben. Aber du musst wissen, dass sie eben auch sehr neugierig sein kann." „Ja, sie ist wirklich sehr nett", stimmt Phil zu, „und ihr seid euch unheimlich ähnlich." „Findest du?" „Ja." Bevor eine peinliche Schweigepause entsteht, frage ich schnell: „Fahren wir mit deinem Auto? Ich kann zwar schon fahren, aber mein eigenes Auto bekomme ich erst in ein paar Wochen zum Abi und ich habe vorhin leider vergessen, meine Mutter nach ihren Schlüsseln zu fragen." „Ja klar können wir mein Auto nehmen", antwortet Phil und deutet auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo ebendieses steht.
Phil setzt sich hinters Lenkrad, ich nehme neben ihm auf der Beifahrerseite platz. „Okay, dann zeig mir mal, wo wir hin müssen, du kleines Navi", neckt Phil mich. „Ey!", rufe ich gespielt empört und knuffe ihn leicht in die Seite. „Sorry", erwidert er, „Also wohin jetzt?" „Ich kenne einen schönen Platz, ca. 20 Minuten von hier entfernt", sage ich. „Hört sich gut an." Ich beschreibe Phil kurz den Weg, dann fahren wir los. Wir reden nicht sonderlich viel während der Fahrt, aber es ist kein unangenehmes Schweigen. Durch das Autofenster sehe ich unzählige Wiesen, Wälder und Äcker an uns vorbeiziehen. Endlich mal wieder raus in die Natur. Nach diesen schweren Wochen wirkt es doppelt befreiend. Kein Stress, keine Sorgen. Aus dem Radio ertönt nun mein aktuelles Lieblingslied - eine richtig sommerliche Melodie. Ich summe leise mit und lächle zufrieden. Draußen zeigt sich ein Himmel von makellosem Blau. Die Sonne scheint hell und warm, die Musik hat eine beruhigende Wirkung und so muss ich mich zusammenreißen, um nicht wieder einzuschlafen.
„Wusstest du, dass wir auf derselben Schule sind?", unterbricht Phil mein Grübeln. Ich sehe ihn fragend an. „Naja", erklärt er, „deine Mutter meinte vorhin, ich käme ihr irgendwie bekannt vor..." „Achso, gute Idee", antworte ich grinsend. Mittlerweile ist es im Auto richtig warm geworden, ich kurbele das Fenster der Beifahrerseite herunter und recke den Kopf ein Stück hinaus. Ich rieche den Duft von Blumen, Gräsern und den jungen Trieben der Bäume, während ich gleichzeitig den erfrischenden Fahrtwind spüre, der mir über Gesicht und Haare streicht. Ob man wohl noch mehr Freude fühlen kann, als ich in diesem Moment?
„Ich glaube, wir sind da", meint Phil und hält an. Ich sehe mich um, da ich schon längere Zeit nicht mehr hier war und mein Atem stockt, aufgrund des wunderschönen Anblicks, der sich mir bietet: Eine Art Trampelpfad an dessen linker Seite ein großer Wald verläuft, während sich zur Rechten eine prächtige Blumenwiese erstreckt. „Ja, wir sind richtig", bestätige ich, also steigen wir aus und Phil schließt den Wagen ab. „Ist dann das Ganze hier dein toller Platz oder...?", setzt er an. „Nein" entgegne ich und schüttle lächelnd den Kopf, „den werde ich dir jetzt zeigen, folge mir einfach." Aufgrund der Tatsache, dass wir erst ein Stückchen bergauf müssen und es heute wirklich sehr warm ist, ist der Anstieg doch etwas anstrengender, als ich ihn in Erinnerung habe und nach kurzer Zeit tun meine Füße in den wirklich ein wenig unpassend gewählten Schuhen weh. Ich ziehe sie aus, stecke sie in meine Tasche und laufe einfach barfuß weiter.