Völlig überrumpelt blickte ich zu ihr hoch. Scheiße!, schoss es mir wieder durch den Kopf. Etwas anderes konnte ich gerade nicht denken. Ich konnte anscheinend wirklich ihre Gedanken hören. Das letzte Mal, als ich behauptet habe, dass ich die Gedanken von jemand Anderem hören kann, hat es eine Tracht Prügel gesetzt. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, auch wenn ich es nicht wollte.
Ich war damals 12 Jahre alt und es war gerade Zeit für das Mittagessen im Waisenhaus. Da es eine sehr große Einrichtung war, ähnelte das Esszimmer eher dem Speisesaal einer Kantine - kalt, klinisch und unpersönlich - dementsprechend laut war auch die Geräuschkulisse. Nachdem ich mich brav in die Schlange zur Essensausgabe gestellt hatte und mir meine tägliche Ration Essen abholte, die mir jedes Mal Magenschmerzen bereitete, setzte ich mich an meinen üblichen Platz. An diesen Tisch ganz hinten in der Ecke setzte sich nie jemand - er war direkt neben den Mülleimern, der Tisch war so wackelig, dass jedes Mal das Tablett drohte runterzurutschen, wenn man mit der Gabel versuchte das Essen zu erwischen. Die Stühle waren kaputt - aber einen gab es, auf dem man sitzen konnte. Schon zu dieser Zeit habe ich mich sehr isoliert und hatte keine Freunde, ich wollte auch keine. Ich blieb lieber für mich. Wahrscheinlich habe ich damals schon gemerkt, dass etwas anders an mir ist. Da saß ich also und stocherte in meinem Essen rum. Plötzlich fing ein paar Tische weiter ein Streit an. Zwei Jungs mittleren Alters stritten sich heftig - Paul, der größere der Beiden mit schütterem blonden Haar und schlaksigem Körperbau sagte gerade: „Ey ich hab deine scheiß CD nicht genommen! Warum sollte ich?!"-„Natürlich hast du sie! Du warst alleine im Zimmer, und als ich wieder da war, war die CD weg!", entgegnete Simon entrüstet. Dieser war zwar kleiner als Paul - aber wesentlich kräftiger und selbstbewusster. Wütend bauten sie sich voreinander auf. Und dann hörte ich es: „Scheiße man, er darf nicht rausfinden, dass ich seine CD genommen hab. Er wird mich wieder zwingen aus der Toilette zu trinken. Aber ich wollte ihm auch einmal wehtun." Hä? Warum sagt er das jetzt?, schoss es mir durch den Kopf, Er verrät sich ja gerade selbst! Aber Simon schien es nicht gehört zu haben. Dieser starrte ihn immer noch wütend an und atmete schwer. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt, als wollte er Paul gleich schlagen. „Ich weiß dass er die CD hat, warum gibt er es nicht einfach zu?! Ich lasse ihn so lange schmoren, bis er es zugibt!", höre ich nun, diesmal mit Simons Stimme. Seine Lippen bewegten sich allerdings nicht. Komisch. Bilde ich mir das etwa nur ein?, fragte ich mich. Ich wollte nicht, dass der Streit weiter eskaliert, deswegen beschloss ich einzuschreiten. Jedes Mal wenn die Emotionen der Menschen so überkochten, überströmten mich ihre Gefühle und ich fühlte mich so, als ob ich verrückt werden würde. Damit ich also nicht wieder mit mörderischen Kopfschmerzen herumlaufen muss, versuchte ich die Sache aufzuklären. „Paul, sag schon dass du die CD hast und gib sie Simon wieder. Simon, nimm die CD einfach an und lass die Sache gut sein!", sagte ich energisch. Die Köpfe der Jungs drehten sich zu mir um und starrten mich an. „Was redest du da für ne Scheiße?", sagte Paul und sah panisch aus. Schweißperlen standen im auf der Stirn, er hatte anscheinend echt Angst vor Simon. „Na du hast doch gerade selbst gesagt, dass du die CD hast, jetzt gib sie ihm einfach wieder!" Beide guckten mich immer noch entgeistert an. „Ich habe gar nichts gesagt!", quiekte er. Simon schaute zwischen ihm und mir hin und her. „Was läuft hier?", fragte er dann energisch. „Hast du nicht mitgekriegt wie er es schon zugegeben hat?"-„Er hat gar nichts zugegeben! Leider!" Nun war ich vollends verwirrt. Waren die alle taub? Die Beiden benahmen sich so, als wenn ich ihnen etwas Böses wollte - und nicht die Beiden sich gerade stritten. „Ms Stockton - Lisa redet Scheiße!", sagte Simon als gerade unsere schlimmste Betreuerin kam. Oh nein... „Ms Stockton, ich lüge nicht, das verspreche ich ihnen! Simon hat Pauls CD genommen, aber er wollte es erst nicht zugeben. Dann hat er es aber doch zugegeben - irgendwie. Aber Paul scheint das nicht gehört zu haben. Ich verspreche es, ich wollte nur helfen! Simon hat er zugegeben!"-„Hab ich nicht!!", kam es von Simon wie aus der Pistole geschossen. Ms Stockton schaute streng zwischen uns hin und her. Inzwischen war fast der ganze Speisesaal still und beobachtete die Szenerie, die sich vor ihm auftat. „Ehrlich Ms Stockton, ich lüge nicht!", sagte ich nun verzweifelter, da ich wusste, was mir droht, wenn sie glaubt, dass ich lüge, doch es hatte keinen Sinn. „Lisa, komm sofort mit!", hieß es nur, und ich tappte ihr hinterher in ihr Büro, welches direkt neben dem Speisesaal lag. Mir war klar, was nun kommen würde. „Du weißt, was ich jetzt machen muss.", sagte sie streng. „Ja, Ms Stockton. Entschuldigen sie bitte, dass ich gelogen habe." Ich resignierte, weiteres Leugnen hatte keinen Sinn. „Lisa, du wirst für die nächsten 2 Wochen lang die Abendrunde des Hofdienstes machen, das kennst du ja schon." Ich nickte, schaute sie dabei aber nicht an und hielt den Kopf gesenkt. Sie hatte sich inzwischen hingesetzt, ich stand immer noch an der verschlossenen Tür. Hofdienst bedeutete eigentlich nichts anderes, als das man abends den Innenhof fegen und den Müll aufsammeln muss. Das war nicht das Problem. Das Problem waren die Älteren - wie Paul und Simon. Wenn du Hofdienst hattest, warst du ihr Opfer, und das hieß nicht selten, dass man ein paar Schläge einstecken muss. So wie ich es die nächsten zwei Wochen jeden Abend tat. Von da an erwähnte ich es nie wieder, wenn ich Sachen hörte, die niemand laut aussprach. Und irgendwann hörte ich die Gedanken der Anderen auch nicht mehr.
„Hey, alles ok?", hieß es nun erneut von der blonden Kellnerin, die sich als Sookie vorgestellt hatte. „Sorry, ja, alles ok."-„Und?"-„Und was?"-„Wie heißt du?"-„Ich heiße Lisa."-„Schön, dich kennen zu lernen Lisa." Sie lächelte mich freundlich an. Ob ich das wirklich so schön fand, wusste ich nicht. Seit mindestens 8 Jahren hatte ich nicht mehr die Gedanken von Jemandem gehört, und ich war nicht besonders scharf darauf, dass dies wieder anfing. In diesem Moment kam Mr Fernandez von der Toilette wieder. „So, können wir weiter machen?", fragte er mich und blickte zwischen mir und Sookie hin und her. Einen kurzen Moment gucke ich weiterhin Sookie in die Augen, wandte meinen Blick aber ab und richtete ihn auf Mr Fernandez. „Ja, auf jeden Fall.", sagte ich und Sookie verließ den Tisch.
Wir regelten noch einiges im Bezug auf den Nachlass. Dies war relativ einfach, da ich die einzige Erbin war. Großmutter wollte nur, dass ihre Kleidung und Möbel an Bedürftige gespendet werden, die Wertgegenstände&-papiere, das Haus und alles Bargeld gingen an mich. Nachdem ich damit einverstanden war, einen Makler für das Haus zu beauftragen, legten wir die Akten bei Seite. „Nun, Ms Ballard, kann ich sie noch dazu überreden mit mir privat einen Drink zu nehmen?" Ich wusste, dass diese Frage kommt. „Mr Fernandez, vielen Dank für die Einladung, aber ich muss leider noch sehr viel für die Beerdigung morgen erledigen. Bestimmt klappt es ein ander Mal!", sagte ich mit einem gekünsteltem Lächeln - schliesslich durfte ich ihn nicht vergraulen. Mir war zwar nach einem Drink, aber ganz sicher nicht mit Ihm. Er lächelte zerknirscht, schien aber zu verstehen. Wir zahlten unsere Getränke und verließen da Lokal. Ich tat so, als ob ich in mein Auto steigen und wegfahren würde, wartete aber ab, dass er den Hof zuerst verließ. Dann stieg ich aus meinem Auto und betrat erneut das Merlottes, diesmal steuerte ich direkt auf die Bar zu und setzte mich. „Einen Tullamore, bitte."-„Einen was?"-„Das ist ein irischer Whiskey."-„Sowas haben wir nicht. Willst du n normalen Whiskey?", kam es patzig von einer dunkelhäutigen, jungen Barkeeperin. Ihr Job schien ihr keinen Spaß zu machen. „Ja, Hauptsache on the Rocks." Sie verdrehte die Augen, schenkte mir aber meinen gewünschten Whiskey ein. Ich zündete mir eine Zigarette an und ließ den Blick schweifen. Sookie unterhielt sich schon wieder mit dem Vampir, sie schein einen Narren an ihm gefressen zu haben. Ich hörte, wie sie über seinen Namen nachdachte. „Bill.. so gar nicht Vampir typisch. Klingt viel zu albern.", klang es in ihrem Kopf. Ich schüttelte mich und versuchte ihre Gedanken abzublocken, aber das gelang mir leider nicht gut. Mein Whiskey kam und ich stürzte ihn runter, meine Zigarette hatte ich fertig geraucht. Ich knallte ein paar Dollar auf den Tresen, klopfte einmal mit der Flachen hat darauf und verließ mit den Worten „Stimmt so, danke." das Merlottes.
Zuhause angekommen hörten meine Gedanken nicht auf sich im Kreis zu drehen. Es gab noch Jemanden wie mich. Diese blonde Kellnerin Sookie konnte auch Gedanken lesen! Ich war völlig von der Rolle. Was bedeutete das? War sie genauso gestört durch ihre Kindheit wie ich? Hatte sie auch einen „Defekt"? Oder war es gar nicht unnormales, nur es wollte nie einer zugeben, weil sie Alle dachten sie sind die Einzigen? Nein, das war Schwachsinn. Wenn alle Menschen Gedanken lesen könnten, dann würde die Welt ganz anders aussehen. Aber ich war nicht mehr die Einzige, die es konnte. Aber auch zu diesem Zeitpunkt wollte ich es mir nicht wirklich eingestehen, dass es wirklich so war. Ich hielt mich schon immer für seltsam, und diese Situation verbesserte mein Gefühl nicht wirklich. Ich lief aus dem mit Kisten vollgestelltem Wohnzimmer wieder auf die Veranda und zündete mir eine Zigarette an. Unter Nikotineinfluss konnte ich besser denken, es beruhigte mein Kopf-Karussell. Aber diesmal half es nicht viel. Ich wusste nur eins: Ich hatte sehr viele Fragen, die nur Sookie beantworten konnte.
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Who Am I? - True Blood.
FanfictionIn dieser Story geht es um Lisa Ballard - eine junge Frau, die aus einem sehr traurigen Grund nach Bon Temps kommt, ihrer Intuition folgt, und deswegen wesentlich länger dort bleibt, als sie geplant hatte. Mit Hilfe vieler neuer Freunde lernt sie ni...