Cold Ground #II

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In Sookies Zimmer angekommen, schloss ich die Tür hinter uns und wir setzten uns aufs Bett. „Geht es hier oben?", fragte ich sie und sie nickte zögerlich. „Ja, entschuldige. Ich habe nur..." Sie stockte und senkte den Blick. „Lass dir Zeit.", beruhigte ich sie, wie sie es zuvor bei mir getan hatte, als ich ihr von meinen Wutausbrüchen erzählt hatte. Sie verkrampfte ihre Hände und ihrem Schoß und setzte mehrfach zum sprechen an, bevor wieder richtige Worte ihren Mund verließen. „Ich habe nur gerade realisiert, dass Omi tot ist. Sie ist tot, und wird nie wieder kommen." Ich konnte den Schmerz kaum ertragen, der von ihr ausging. In den letzten Tagen hatte sie mir so viel Zuneigung und Verbundenheit geschenkt, wie vorher nur eine Person in meinem Leben. Sie jetzt so leiden zu sehen, schürte wieder meinen Selbsthass. Sieh, was mit ihr passiert. Das passiert alles nur wegen dir. Du bist ein schlechter Mensch. Du tust anderen Leuten nicht gut, du bringst ihnen nichts als Leid. Ich schob meine düsteren Gedanken so gut es ging zu Seite, ich wollte Sookie helfen. „Lisa ich weiß nicht, wie ich das überstehen soll. Meine Omi war alles für mich." Gequält sah sie mich an und ich suchte nach einem Weg, ihr helfen zu können. „Sookie es tut mir so leid. Ich weiß nicht wie ich dir helfen kann. Ich weiß nicht mal was ich sagen soll!", gab ich niedergeschlagen zurück. Wir schwiegen eine gefühlte Ewigkeit, bis Sookie die Stille durchbrach. „Sie war meine Stärke... Mein Fels in der Brandung. Ohne sie kann ich nicht stark sein. Ich werde kaputt gehen. Ich kann nicht so einfach weiterleben ohne sie."

Diese Worte weckten Gefühle und Erinnerungen in mir, die ich ganz tief vergraben hatte. „Sookie...Ich möchte dir etwas aus meiner Vergangenheit erzählen. Es ist eine traurige Geschichte - aber vielleicht hilft sie dir. Ok?" Sie nickte. Also fing ich an zu erzählen...

„Als ich 16 Jahre alt war, und noch im Kinderheim gelebt habe, habe ich Felicis kennengelernt. Ich war damals in einem schlimmen Zustand, ich habe dir ja bereits von meinem Selbsthass erzählt den ich früher gehegt habe, und er war so etwas wie mein Retter. Bevor ich ihn kannte, fühlte ich mich einsam und verloren, zweifelte an meiner Existenz und fiel immer tiefer in ein Loch. Ich aß kaum noch, trank Alkohol, so viel ich konnte, um meine Gefühle zu betäuben und hielt mich von allen anderen fern. An dem Tag, an dem ich ihn das erste Mal getroffen habe, ging es mir besonders schlecht. Wir sind auf dem Flur ineinander gelaufen und gestürzt. Ich habe ihn angebrüllt, ob er nicht gefälligst aufpassen kann, wo er hinläuft. Er hat zurück gepöbelt, ob ich besoffen bin, oder warum ich anscheinend zwei linke Füße hätte, sonst wäre ich ja nicht in IHN reingelaufen. Er wusste nicht, dass er damit genau ins Schwarze getroffen hatte. Nicht sehr romantisch... Aber egal. Irgendwann sind wir uns noch einmal über den Weg gelaufen, als ich nüchtern war. Ich saß im Innenhof und habe heimlich eine Zigarette geraucht - früh, vor Sonnenaufgang. Auf einmal kam er um die Ecke und ich drückte hastig meine Zigarette aus, in der Hoffnung, dass mich so keiner erwischen würde. Als ich entdeckte, dass er kein Betreuer war, ärgerte ich mich über ihn. „Kannst du dich mal nicht so anschleichen?!", fuhr ich ihn an und zündete mir eine neue Zigarette an. „Darf ich mich setzen?", fragte er, ohne auf meine Pöbelei einzugehen. Ich zuckte mit den Achseln. Er setzte sich. „Darf ich auch eine Zigarette?", fragte er wiederum. Wortlos hielt ich ihm die Schachtel und das Feuerzeug hin, in der Hoffnung, dass er dann aufhören würde zu reden. „Danke. Ich bin übrigens Felicis.", sagte er, ohne Spur von Unfreundlichkeit. Dann sah ich ihn zum ersten Mal richtig an. Er hatte längere, dunkle Haare, die sich leicht lockten. Er trug sie zurück gekämmt. Seine feinen Gesichtszüge zeichneten sich stark im letzten Schein des Mondes ab und ich betrachtete ihn. Er sah viel älter aus als ich - war aber erst 17, wie ich später erfahren sollte. Da saßen wir also, schweigend, und rauchten eine Zigarette zusammen. Ich spürte, dass er anders war, irgendwie friedlicher. Nicht so rastlos, gelangweilt und verzweifelt, wie eigentlich alle Heimkinder waren. „Ich bin Lisa.", sagte ich schließlich. „Freut mich dich kennen zu lernen.", antwortete er und lächelte. Ich konnte nicht anderes - ich lächelte zurück. Sein Lächeln war so freundlich, offenherzig und einladend. Und da war es irgendwie schon um mich geschehen. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich hatte mich in diesen Moment in ihn verliebt." Sookie griff nach meiner Hand und lächelte leicht. „Lisa, die Geschichte ist gar nicht traurig." Ich lachte bitter. „Warte ab." Sie nickte. „Wir saßen noch einige Zeit im Innenhof, aber als es drohte ganz hell zu werden, mussten wir reingehen. „Man sieht sich.", sagte Felicis und ging weg, ohne sich erneut umzudrehen. Sofort fühlte ich mich wieder alleine und einsam. In den nächsten Tagen traf ich ihn nicht wieder - er war in einem anderen Trakt untergebracht und unsere Aufseher nahmen ihre Aufgabe sehr ernst, Mädchen und Jungs so gut es ging getrennt zu halten. Im Speisesaal hielt ich ab und zu Ausschau nach ihm, vergebens. In mir nagte langsam die Erkenntnis, dass er vielleicht in ein anderes Heim verlegt wurde, und ich ihn nie wiedersehen würde. Und dann kam ein Tag, den ich mein ganzes Leben lang nie vergessen werde. Ich hatte es vor einigen Tagen geschafft, dem Fahrradkurier der Apotheke die um die Ecke lag, eine Flasche Ethanol zu klauen. In der Nacht zuvor hatte ich einen besonders schlimmen Albtraum und mein Selbsthass hatte zu diesem Zeitpunkt seine bisherige Spitze erreicht. Also habe ich beschlossen mich mit Hilfe einer Alkoholvergiftung umzubringen. Ich sah keinen Sinn mehr in meiner Existenz und wollte diesem elendigen Leben einfach ein Ende bereiten. Damit mich keiner rechtzeitig finden konnte, schlich ich mich nach dem Frühstück aus dem Heim und lief in den Wald. Erst zur Kontrolle am Abend würde man merken, dass ich fehle, und vor morgens keinen Suchtrupp losschicken, weil ich öfter über Nacht weggeblieben und morgens wieder kam. Im Wald angekommen suchte ich mir eine friedliche Lichtung und zog mich bis auf die Unterwäsche aus. Es war schon Herbst und ich fing sofort an zu frieren, aber die Kälte würde förderlich für meinen Plan sein. Also setzte ich die Flasche an und trank hastig. Ich schaffte es noch sie auszutrinken, bevor ich ohnmächtig wurde. Das Nächste woran ich mich erinnern konnte war, dass ich in einem Krankenhausbett lag und neben mir ein leises, stetiges Piepsen zu hören war. Verwirrt blickte ich mich um so gut es ging, und als mich die Erkenntnis traf, dass ich immer noch lebte, fing ich an zu weinen. Ich war mir sicher, mein Plan hätte funktionieren müssen. Dann spürte ich, dass etwas Schweres auf meinem Arm lag. Ich versuchte ihn unter der Last hervor zu ziehen, als sie von alleine verschwand und sich jemand über mich beugte. Es war Felicis, der mit dem Kopf auf meinem Arm gelegen hatte. „Lisa, endlich, du bist wach. Ist alles ok?", fragte er mich. Er sah furchtbar besorgt aus und strich mir mit der Hand über die Haare. Dann erzählte er, dass er mich im Wald gefunden hatte - er hatte sich raus geschlichen, als er gesehen hat, wie ich Richtung Wald verschwunden bin. Er hatte lange gebraucht, um mich zu finden - der Wald war riesig - aber er hatte es rechtzeitig geschafft. Dann hat er mich zurück zum Kinderheim getragen und dort kam sofort ein Krankenwagen, es war also Rettung in letzter Minute, über die ich allerdings überhaupt nicht glücklich war. Als er mich fragte, warum ich mich umbringen wollte, habe ich ihm alles anvertraut. Alles was mich plagte, alle Zweifel, und alle Geschehnisse. Er hörte mir einfach zu und hielt meine Hand. In den darauf folgenden Tagen wich er nicht von meiner Seite, egal wie sehr in alle versuchten von mir weg zu kriegen. Er sagte immer wieder zu mir: „Lisa, wenn du bisher kein Glück in deinem Leben hattest, lass mich dein Glück sein. Ich heiße nicht ohne Grund Felicis. Ich bin dein Glück. Ich bin deine Stärke. Ich bin dein Lebensmut. Wir schaffen das." Und wir schafften es. Ich wurde stärker, hörte auf zu trinken, wurde glücklicher und fasste neuen Mut. Und das ist das was ich dir sagen will Sookie, manchmal kann man es einfach nicht alleine schaffen. Aber man muss es auch nicht." Wir hielten uns an den Händen, stumme Tränen liefen über unsere Gesichter. „Du hast Recht. Vielleicht bist du meine Stärke. Vielleicht hat ein Engel dich zu mir geschickt, so wie damals ein Engel Felicis zu dir geschickt hat.", sagte sie und nahm mich fest in den Arm. Ich drückte sie an mich und antwortete ihr in Gedanken: Ich bin so stark für dich, wie ich sein kann.

So saßen wir eine Zeit lang da, teilten unseren Schmerz und unsere Freude darüber, uns gefunden zu haben. Sie war für mich wie die Schwester, die ich nie hatte, und wie die Freundin, die ich immer gebraucht habe. „Wo ist er jetzt? Felicis?", fragte Sookie zögernd. Ich musste mich einen Moment sammeln, bevor ich antwortete: „Er ist tot."

Sookie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, wurde aber von einem Klopfen an der Zimmertür unterbrochen. Ich atmete erleichtert aus, ich wollte keine Sekunde weiter über Felicis sprechen. Lafayette betrat das Zimmer. „Entschuldigt die Störung, aber ich glaube ich habe hier etwas für dich, dass dich beruhigen könnte." Er nahm eine Tüte Pillen aus seiner Tasche. „Oh nein, Lafayette, ich nehme keine Drogen.", sagte Sookie und schüttelte den Kopf. „Sookie, Schätzchen, dass ist eine Valium. Leg sie dir auf den Nachtisch, falls du sie doch noch brauchen solltest." Sie nickte und legte die Pille zur Seite. Im gleichen Moment kam Jason hineingestürmt, ging geradewegs auf Sookie zu und ohrfeigte sie. Es passierte alles so schnell, dass weder Lafayette noch ich in der Lage waren ihn auf zuhalten. „Du bist daran Schuld!", brüllte er nun völlig ausser sich, „es ist deine Schuld, dass sie tot ist!" Ich war von meinen Erinnerungen immer noch wie gelähmt und war dankbar, als Lafayette sich ihm in den Weg stellte. „Hör auf deine Schwester zu schlagen, was ist los mit dir man?", versuchte er Jason zu beruhigen. Es hatte allerdings keinen Zweck. „Sie hätten dich töten sollen!", brüllte dieser weiter rum. Die völlig verängstigte Sookie verkroch sich hinter meinem Rücken. Jason fing an über Bill herzuziehen, und Lafayette beförderte ihn rücklings aus dem Zimmer. Als die Gefahr gebannt war, drehte ich mich zu Sookie um, die völlig verstört eine Hand auf ihrer Wange hatte. „Hey, lass mal sehen.", sagte ich und warf einen Blick auf ihre Wange. Sie war rot, aber zu Glück nicht aufgeplatzt. „Ich hol dir einen Beutel Eis." Sookie nickte, griff nach der Valium, schluckte sie und legte sich hin.

An der Treppe hörte ich, wie Tara gerade alle Leute nach Hause schickte. Ich wartete ab, bis alle das Haus verlassen hatten und ging dann in die Küche. „Danke Tara.", sagte ich. „Keine Ursache. Passt du auf sie auf? Lafayette und ich müssen kurz ein paar Dinge erledigen und kommen heute Abend wieder."-„Aber natürlich." Ich griff nach einem Eisbeutel, ging wieder nach oben zu Sookie und legte ihn auf ihre Wange. „Hier, halt still, das wird dir helfen." Ich strich ihr über die Haare und wartete darauf, dass sie einschlief. Sie unterbrach die Stille: „Lisa, bleibt du bei mir? Bitte?" Ich nickte, aber als mir klar wurde, dass sie ja die Augen geschlossen hatte, sagte ich „Ich bleibe so lange wie du willst. Schlaf jetzt." Ich zog ihr die Decke bis zum Kinn hoch und kurze Zeit später fiel sie endlich in einen tiefen, friedlichen Schlaf.


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