Shake And Fingerpop #I

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Als ich am nächsten Tag erwachte, war mein Körper wie gerädert. Es fühlte sich so an, als hätte ich das letzte Mal in einem anderen Leben friedlich geschlafen - mein Plan von einem ruhigen, gesitteten Leben lief momentan ganz und gar nicht gut. Ich griff zu meinem Handy und stellte mit einem Blick auf das Display fest, dass es bereits Mittag war, also höchste Zeit aufzustehen. Eine lange Dusche half mir dabei, die Geister der Albträume zu vertreiben und meine Lebensgeister zu wecken. Zufrieden stellte ich fest, dass der Schnitt, der sich zwischen meinen Brüsten hinab zu meinem Bauch erstreckte, inzwischen so gut verschlossen war, dass ich das Pflaster endlich weglassen konnte. Vorsichtig zog ich Unterwäsche und ein schwarzes Jerseykleid an, bevor ich mit noch nassen Haaren die Treppe hinunter ging um mir eine Kanne Tee zu kochen. Ich spürte ein großes Loch in meiner Magengegend, aber bei dem Gedanken an Essen würde mir übel. In den letzten 48 Stunden waren meine Gefühle abermals Achterbahn gefahren - erst das Gespräch mit Eric, dann Sookie's Unfall und Schlussendlich die Erkenntnis, dass Lafayette im Keller des Fangtasias gefangen gehalten wurde - das alles war etwas zu Viel für mich. Ich bewunderte Sookie für ihre Stärke. Bereits auf dem Rückweg vom Fangtasia habe ich gemerkt, wie sie wieder positiv gestimmt war und glücklich in die Zukunft schaute, während ich von meinem Selbsthass drohte aufgefressen zu werden. Die neuen Erkenntnisse der letzten Tagen feuerten meine inneren Dämonen nur noch mehr an. Eric hatte mir sein Blut gegeben und es hatte nicht gewirkt - und das, obwohl er über 1000 Jahre alt und sein Blut dementsprechend kraftvoll war. Dann kam noch hinzu, dass ich irgendwie durch Ginger's Blut in ihre Vergangenheit gucken konnte. Dass ich Gedanken lesen und Gefühle spüren konnte, war die eine Sache - das konnte Sookie auch, aber in die Vergangenheit gucken? Jede Erinnerung zu haben, die auch jemand Anders hatte? Nein, das war eine andere Sache - eine sehr beängstigende, wenn man mich fragt. Mit aller Geisteskraft, die ich besaß, hatte ich letzte Nacht versucht Ginger's Erinnerungen zu löschen oder sie wenigstens zu verdrängen, doch ich war kläglich gescheitert. Immer wieder waren Erinnerungen blitzartig eingeschlagen und ich war jedes Mal vor Schreck zusammen gezuckt, da ich nicht nur die Bilder sah, sondern auch Ginger's Empfindungen spürte.

Als mein Tee fertig gezogen war, warf ich den Teebeutel in den Müll und ich hatte mich gerade im Wohnzimmer auf das Sofa gekuschelt, als Sookie durch die Haustür kam. „Guten Morgen Schlafmütze! Ich habe gerade dein Auto geholt. Es war die Hölle damit zu fahren, wie machst du das nur freiwillig? Da muss der Fuß ja nur zucken und man ist 30 km/h schneller.", sagte sie so fröhlich, wie ich es von ihr gewöhnt war. „Hey, Morgen. Danke dir.", begrüßte ich sie matt und sie merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los?", fragte sie vorsichtig, nachdem sie sich zu mir aufs Sofa gesetzt hatte. „Ich krieg Ginger's Erinnerungen nicht aus meinem Kopf.", gab ich seufzend zu. „Süße, was ist denn dabei, dass dich so belastet?"-„Das ist es nicht.", sagte ich kopfschüttelnd. Das stimmte zwar nicht ganz - die Szene, in der sie Eric's Hose aufknöpfte setzte mir leider mehr zu, als Andere, und leider war es nicht die einzige ‚Interaktion' der Beiden die in meinem Kopf herum spukte - aber der Inhalt der Erinnerungen war wirklich nicht der Hauptgrund, warum es mir so schlecht ging. „Es ist eher die Menge... und die Intensität ihrer Gefühle. Es stürmen immer neue Erinnerungen auf mich ein - und das so plötzlich, dass ich jedes Mal zusammenzucke. Es ist nicht so, als ob man eine lang vergessene Erinnerung hervorholt, es ist eher so, als ob mir jemand die Erinnerung mit einem Hammer ins Gehirn schlägt. Und genauso stark übermannen mich auch ihre Gefühle - Freude, Trauer, Lust, Schmerz, Neugier, Angst, alles. Es ist, als hätte ich keine Kontrolle mehr über mein Gefühlszentrum. In diesem Moment spüre ich, was spürt. Es ist furchtbar, Sookie." Ich kniff die Lippen zusammen und sie drückte vorsichtig meinen Arm. „Das hört bestimmt bald auf."-„Wie kannst du dir da so sicher sein?"-„Naja... Ich höre schon immer die Gedanken anderer Menschen, und ich habe mich mit der Zeit soweit daran gewöhnt, dass ich nicht glaube verrückt zu werden. Vielleicht solltest du dir auch eine Art Schutzmauer in deinem Kopf errichten, und Ginger's Gedanken da hinein sperren."-„Ich weiß nicht wie das geht.", gab ich kleinlaut zu, „ich musste bisher so etwas noch nie machen."-„Ich beschreibe es dir. Vielleicht hilft das.", sagte Sookie zuversichtlich und nahm meine Hände in ihre. „Schließ die Augen. Stell dir eine Burg vor. So eine, wie man sie früher im Märchen gesehen hat, oder wie du dir immer eine große, stabile, undurchdringliche Burg vorgestellt hast. Siehst du das offene Tor, das so hoch ist, dass du kaum das Ende sehen kannst? Jetzt geh hindurch. Geh hinein in die Burg, in den Innenhof, der von hohen Mauern umschlossen ist. Und jetzt stell dir vor, die du alle Erinnerungen von Ginger nimmst, und in diesen Mauern freilässt. Dort können sie machen was sie wollen - aber sie müssen dort bleiben. Und wenn du dir sicher bist, dass wirklich alle Erinnerungen in diesen Mauern herum schweben, dann gehst du wieder aus der Burg raus und schließt das Tor. Du kannst es jederzeit wieder öffnen - schließlich hast du einen Schlüssel, aber du hast die Macht darüber. Du kannst das Tor solange zulassen, wie du es willst. Keiner wird es ohne deine Zustimmung öffnen können." Ich versuchte Sookies Anweisungen zu beherzigen und hielt so lange ihre Hände, bis ich mir sicher war, dass ich es wenigstens zum Teil geschafft hatte, ihnen zu folgen. Irgendwann öffnete ich die Augen und blickte auf Sookie, die mich gespannt ansah. „Und?", fragte sie neugierig und ich lächelte zögerlich. „Ich glaube es hat ein bisschen funktioniert. Ich fühle mich wieder mehr wie ich selbst.", sagte ich und Sookie grinste. „Toll. Übe das immer, wenn du es gerade für nötig befindest - oder wenn du Ruhe hast. Dann wird es von Zeit zu Zeit immer einfacher und fordert nicht so viel Energie." Ich nickte und ließ ihre Hände los, um mir meinen Tee zu nehmen. „Sookie? Wie funktioniert die Burg bei dir? Ich mein, du kannst ja nicht permanent das Tor aufschließen und die Gedanken der Menschen hineinstopfen. So kannst du sie ja nicht aussperren..." Sie lachte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Da hast du Recht. Nein, ich mache es anders. Ich bin IN der Burg - und wenn ich die Gedanken der Anderen hören will, dann öffne ich das Tor. Die Burg ist meine sichere Festung."-„Und in wiefern hilft Bill dir dabei, deinen Geist zu entspannen? Bei ihm musst du die Tore ja nicht zuschließen, oder?" Ihr Blick verschwamm und sie guckte kurz verträumt in die Gegend, bevor sie mich wieder ansah. „Nein... Mit Bill ist es so, als könnte ich die Tore weit aufstoßen und über die grünen Wiesen laufen, die vor ihnen liegen. Ich kann dann endlich frei atmen.", sagte sie glücklich und ich konnte nicht anders, als mich mit ihr zu freuen.

Who Am I? - True Blood.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt