KAPITEL 3 oder Vergangenheit und Gegenwart

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"Salira, Schatz wach auf".

Die zarte helle Stimme meiner Mutter drang entfernt an mein Ohr. Sie zog mich sanft aus meinen Träumen und brachte mich zum Erwachen. Schon mit geschlossenen Augen wusste ich, dass das Wetter heute herrlich war. Die Sonne schien durch die schmalen hohen Fenster auf mein weiches Himmelbett. Mein Gesicht wurde gewärmt von ihren wundervollen Strahlen.

Gut gelaunt und frisch erholt von der ruhigen Nacht räkelte ich mich in den weichen tannengrünen Laken und schlug die Augen auf.

Als erstes fiel mein Blick auf das große Wandbild gegenüber von meinem riesigen Bett. Es zeigte einen Hirsch mit ausladendem Geweih, der liebevoll aus dunklen braunen Augen zwischen dichten Nadelbäumen hindurchblickte. Das Gemälde passte perfekt zu dem Rest der Einrichtung.

Alles war genauestens aufeinander abgestimmt worden.

Jeder Gegenstand im ganzen Schloss griff das Thema des Reiches auf. Da Nuvyenne der Wald- und Wiesenstaat war gab es im Palast viele Grüntöne und hölzerne Möbel.

Ich hatte einmal gehört, dass jedes Reich seinen Hauptsitz nach den Gegebenheiten des jeweiligen Landes anpasste. Nur leider konnte ich mich noch nie selbst davon überzeugen, da mein Vater darauf bedacht war mich hier erst einmal in Länderkunde und Sprachen zu unterrichten bevor es auf Reisen ging.

Als ich meinen Blick von dem Bild hinabgleiten ließ fiel er auf meine Mutter Masyla, die am Ende des Bettes stand und mich freundlich anlächelte.

Ihre Schönheit war wie immer unbeschreiblich. Ihre langen dunklen Haare hatte sie locker mit einer großen glitzernden Diamantbrosche nach oben gesteckt. In ihren blauen Augen spiegelte sich ihre Liebe und Güte wider.

Das ausladende majestätische Kleid, welches die Farbe eines Waldsees hatte schmeichelte ihrer schlanken Figur und ließ ihre Augen noch mehr Strahlen als sonst.

Bis auf den weiten Schnitt des Gewandes und der Brosche war ihr Auftreten sehr schlicht gehalten. Ich bewunderte sie dafür, wie sie es immer wieder schaffte in den einfachsten Kleidern so unglaublich auszusehen. Wenn ich einmal groß war und Königin dieses Reiches wollte ich eigentlich genauso sein wie sie. Alle Untertanen liebten sie wegen ihrer herzigen Art.

"Alles Gute zu deinem 16. Geburtstag mein Liebling", unterbrach sie meinen Gedankengang.

Sie ging, nein sie schwebte um das breite Bett herum, beugte sich zu mir herunter und umarmte mich fest. Ein wunderbarer Duft nach Wald und Freiheit umwob mich und weckte in mir das sehnsüchtige Gefühl nach Zuhause. Ich verstand diese plötzliche Stimmungsschwankung nicht ganz, da ich mich ja bereits Zuhause befand.

Ich genoss jede Sekunde dieser herzlichen Umarmung, als hätte ich meine Mutter schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Tränen bildeten sich in meinen blauen Augen.

"Schatz was ist denn?" Masyla richtete sich auf, ließ aber ihre Hände auf meinen Schultern liegen. Sorgenvoll blickte sie auf mich herab.

"Nichts, ich bin nur einfach glücklich so eine tolle Mutter wie dich zu haben, das ist alles." Ich setzte ein Grinsen auf und wischte dabei die salzige Flüssigkeit aus meinen Augenwinkeln.

Doch ich glaubte mir selbst nicht so recht, was ich sagte. Tief in meinem Inneren hatte ich das Gefühl irgendetwas würde hier ganz und gar nicht stimmen.

Entschlossen und hastig entfernte ich auch noch den letzten Rest der Tränen von meinen Wangen. Ich würde an meinem Geburtstag sicherlich nicht weinend in meinem Bett bleiben, sagte ich mir selbst, auch wenn mir ganz anders zumute war.

"Na dann... Steh auf. Dein Vater erwartet dich bereits im Innenhof. Er hat eine kleine Überraschung für dich."

Ich konnte an ihrer Stimmlage und den Stirnrunzeln erkennen, dass sie mir die Sache mit "Ich weine nur weil du so toll bist Mama" nicht ganz abnahm, aber sie war klug und einfühlsam genug um auch nicht weiter nachzufragen. Sie wollte mit Sicherheit nicht, dass es zu einem Streit kam. Denn so oder so, ich hätte ihr eh keine Antwort geben können. Ich verstand meine Stimmung ja selber nicht.

Time to Reign - Die Geschwister✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt