Verträumt stand ich auf dem Balkon, der an meine Zimmer grenzte. Schon lange hatte ich nicht mehr die Zeit einfach stehen zu bleiben und einen Moment zu genießen.
Die Sonne versank gerade im Meer und tauchte die Landschaft in warme Farben. Wie jeden Abend war dies die Zeit, in der die ersten leuchtenden Steine in der Stadt erglommen.
Doch heute war alles anders. Tausende und Abertausende Lichter erstrahlen seit Stunden und die Stadt schien ein einziger leuchtender Ball zu sein.
Die Feiern hatten kurz nach meinem Sieg begonnen und würden auch noch Tage andauern.
Skylar und ihr Bruder hatten in Windeseile ein Fest auf die Beine gestellt und jeder Adelige, der sich in der Nähe befand, hatte sein kommen zugesagt. Der Weg zum Schloss hinauf war eine einzige Schlange aus Menschen, die alle hoch zum Fest drängten.
Mein Bruder war sofort außer Reichweite gebracht worden, denn man hatte Angst, es würde nun Mutige geben, die ihn umbringen wollten, so machtlos und schwach wie er vor allen gestanden hatte.
Nun saß er in einem Verlies tief unten im Schloss. Ich hatte es nicht gewagt ihn zu begleiten. Ich konnte ihm nicht länger in die Augen sehen. Am liebsten würde ich ihn nie wieder sehen, da ich Angst hatte, dass meine Schuldgefühle nur stärker werden konnten.
Doch bei der Verhandlung, bei der entschieden werden würde, was mit ihm geschehen würde, musste ich noch ein mal vor ihn treten, denn ich hatte als Blutsverwandte ein Vorrecht darauf zu entscheiden. Am liebsten hätte ich es einfach Skylar überlassen oder ihren Rittern, aber ich wusste, dass es meine Pflicht war.Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich erst jetzt merkte, dass sich meine Hand schon die ganze Zeit um den Osranum geschlossen hatte.
Vorsichtig nahm ich das Amulett ab und wog es in meiner Hand hin und her. Es war warm, fast schon heiß und schien zu pulsieren.
Der Stein hatte die Farbe des Blutes angenommen, mit schwarzen dicken Fäden durchzogen. Es waberte hin und her. Es war ein seltsames Gefühl etwas so kleines in meiner Hand zu halten, was für so viel Zerstörung in dieser Welt gesorgt hatte.
Auch wenn ich selbst die Kräfte niemals benutzen wollte, wollte ich den Stein nicht mehr abnehmen. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen und es gäbe auch niemanden, dem ich den Osranum anvertrauen würde. Nicht einmal Emis, obwohl ich ihr vollkommen vertraute.
Es war ein seltsames Gefühl, welches mir sagte, dass ich diese Macht niemals aus den Händen geben sollte.Plötzlich klopfte es an der Tür und ich steckte den Stein eilig unter mein Gewand.
Halia und Romina erschienen, um mich für die Feierlichkeiten herzurichten.
Ich setzte mich auf einen Stuhl vor den Spiegel und lauschte ihren Erzählungen. Vor allem Halia hatte immer etwas zu berichten. Oft erzählte sie mir Geschichten aus diesem Reich, was mir sehr gefiel, da es mich ablenkte und ich gleichzeitig etwas über das Land lernte, in dessen Hauptstadt ich nun schon fast ein halbes Jahr lebte.
Nach kurzem Überlegen entschied ich mich für ein seidenes langes Kleid in einem hellen pastelligem Grasgrün, verschmückt mit dunklen Ästen und Blättern. Meine Haare ließ ich offen über meine Schultern hängen. Romina befestigte lediglich ein paar dünne Kettchen in meinem Haar, welche genauso aussahen wie die Stickereien des Kleides.
Ich bedankte mich bei den beiden und lud sie zu dem Fest ein. Sie hatten es sich wirklich verdient und außerdem waren viele anwesend, die nicht aus den höchsten Adelsfamilien stammten.
Ausgelassen und überglücklich huschten die beiden aus meinen Zimmern, um sich fertig zu machen.
An der Tür wären meine Zofen fast mit Pyero zusammengestoßen, der im selben Moment den Raum betreten wollte.
"Du siehst wunderschön aus", schmeichelte er mir und gab mir einen zarten Kuss auf den Mund. Ich spürte, wie ich errötete.
"Vor allem deine Augen sind wie zwei leuchtende Sterne. Ist dir aufgefallen, dass sie seit dem Kampf noch sehr viel heller, ja fast weiß geworden sind? Nach der Verwandlung waren sie zwar auch schon heller, aber man hätte es auch für einen günstigen Lichteinfall halten können, der die Augen so strahlen ließ. Aber nun scheint es so, als wäre ein Rest der Drachenmagie, die du auf dem Marktplatz angewendet hast, in ihnen hängen geblieben."
Er hatte recht. Das hatte ich auch schon bemerkt. Doch für meinen Geschmack waren sie schon zu hell. Sie wirkten kalt und hart wie Eis. Ich hatte dass Seeblau meiner Augen sehr geliebt, denn es war auch die Farbe meiner Mutter gewesen. Mit meinem jetzigen Aussehen passte ich zu meiner Familie mehr. Ein Fremder würde mich nicht einordnen können.
Stumm betrachtete ich mich im Spiegel.
"Wegen deiner Augen bin ich aber eigentlich nicht gekommen, auch wenn sie ein wirklich schöner Anblick sind. Nein ich habe eine kleine Überraschung für dich. Folge mir."
Gespannt ergriff ich seine Hand und ließ mich von ihm durch die Gänge ziehen.
Er führte mich zu einer dunklen doppelflügeligen Tür, welche schräg gegenüber vom großen Ballsaal lag.
Vor dem Eingang blieb es stehen.
"Nachdem wir Nevarys Anhänger verhaftet hatten, gingen wir in die Salzminen, um die Menschen aus seinen Kerkern zu befreien. Viele Unschuldige saßen dort sehr lange fest, die sich nun in unserer Obhut befinden.
Es war jemand unter ihnen, der behauptet dich zu kennen. Und ich glaube du wirst sehr freuen ihn zu sehen.
Aber nun sieh selbst."
Pyero stieß grinsend die Flügel auf und gab den Blick frei auf den Ratsraum.
Einige Männer standen auf der rechten Seite und unterhielten sich mit Skylar. Doch sie waren es nicht, die mein Interesse weckten. In der Mitte des Raumes, zu mir gewandt, stand ein großer schlanker Mann. Er sah um ehrlich zu sein sehr abgemagert aus, als hätte er eine geraume Zeit nicht genug zu essen bekommen.
Seine Kleidung war schlicht, dunkel und abgewetzt und dennoch konnte man das Wappen meines Vaters, einen prächtigen schwarzen Hengst, erkennen.
Das Gesicht des Mannes war dunkel vor Schmutz und ein langer Bart bedeckte sein Kinn. Dunkelbraune Haare hingen ihm wirr vor die Augen, die strahlend blau waren.
Der Mann war wirklich heruntergekommen und trotzdem erkannte ich meinen gegenüber augenblicklich.
"Alaron", hauchte ich den Tränen nahe.
"Ich dachte Ihr wärt in jener Nacht ums Leben gekommen."
Langsam lief ich auf ihn zu, wurde immer schneller, bis wir uns schließlich in den Armen lagen.
Der Ritter war etwas verdutzt, da es sich nicht für eine erwachsene Prinzessin gehörte ihre Diener, seien es auch Ritter, zu umarmen, aber ich konnte nicht anders. So glücklich war ich, dass ein längst tot geglaubter enger Freund und Beschützer noch am Leben war.
"Ich habe in jener Nacht alles gegeben, um Euch zu beschützen. Doch Euer Bruder nahm mich gefangen, zu groß war die Übermacht seiner Ritter und seither war ich eingesperrt in den Kerkern der Kailschen Klippen", erwiderte Ser Alaron Darmont, als ich mich aus seiner Umarmung löste.
"Es tut mir so unendlich leid, was Ihr alles durchmachen musstet", sagte ich mit Bedauern. Dann wandte ich mich zu Skylar.
"Ich bitte Euch. Sorgt dafür, dass er angemessene Kleidung bekommt, ein eigenes Zimmer und etwas zu essen." Die Königin nickte und schickte einen ihrer Diener vor, damit er sich um Ser Alaron kümmerte.
"Ich danke Euch, wir sehen uns nachher auf dem Fest." Darmont verneigte sich erst vor Skylar, dann vor mir und folgte den Bediensteten hinaus.
Gerade als ich wieder gehen wollte, räusperte die Königin sich: "Pyero, geh bitte und sieh nach, ob alle Vorkehrungen getroffen wurden und unsere Gäste gut angekommen sind." Der Prinz nickte und eilte hinaus.Dann schickte Skylar auch alle anderen hinaus, nur mich bat sie noch zu bleiben.
Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Die Freude, Ser Alaron am Leben zu wissen, war schnell vergangen, denn ich hatte Angst vor ihren Worten.
Jetzt, da Nevary fort war, war sie die alleinige Herrscherin und theoretisch konnte sie allen befehlen was sie wollte, nur mir nicht mehr, denn auch wenn ich noch nicht gekrönt war, war ich dennoch eine Königin.Wir begaben uns hinaus auf einen großen Balkon. Der Mond stand hell am Himmel, aber es war noch so warm, dass man gut ohne dickere Kleidungsstücke draußen sitzen konnte. Im Licht des Mondes und der leuchtenden Steine erstrahlte die Stadt und selbst die Berge in weiter Ferne, dort wo meine Heimat lag, schienen durch das Licht in unmittelbarer Nähe.
Nachdem wir uns an einem runden Tisch gesetzt hatten, musterte ich Skylar gespannt.
"Ich möchte mich bei Euch entschuldigen", kam sie gleich zum Punkt und wahrscheinlichen Grund unserer Unterredung.
"Es war nicht recht von mir Euch derart anzufahren und Euch sogar mit dem Tode zu drohen, nur weil Ihr meinen Bruder mögt. Im Grunde sollte ich glücklich sein, dass er jemanden gefunden hat, den er liebt und dazu seid Ihr ja auch noch eine Adelige und rechtmäßige Königin von Nuvyenne. Was kann ich mir mehr für ihn wünschen?
Doch Ihr müsst verstehen, dass das alles nicht sehr einfach für mich ist. Ich bitte, dass das, was ich nun erzähle unter uns bleibt, denn ich bin nicht sonderlich erpicht darauf, dass es in falsche Ohren gerät."
Ich nickte verständnisvoll. Wenn Sie schon bereit war so viel Einsicht zu zeigen und mir etwas anzuvertrauen, dessen Aussprache ihr eindeutig sehr viel abverlangte, war es nur das mindeste, was ich tun konnte. Ich würde niemanden davon berichten.Skylar rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Dann atmete sie einmal laut aus und begann zu erzählen:
"dass ich mich so sehr um meinen Bruder sorge und wütend war, dass er hinter meinem Rücken mit Euch zusammen war, kommt nicht davon, dass ich ihn kontrollieren will oder desgleichen.
Es liegt an meinem Vater, dass ich so geworden bin.
Ihr fragt Euch sicher, was mit unseren Eltern passiert ist, dass ich schon so früh regieren muss.
Meine Mutter wurde schwer krank, als ich 15 Jahre alt war. Wir wussten, dass sie bald sterben würde und ich verbrachte meine gesamte Zeit bei ihr, um mich um sie zu sorgen. Dabei vernachlässigte ich mich selbst und alle um mich herum. Ich habe keine Freunde am Hofe und auch sonst wenig Kontakt zu anderen Königshäusern, bis auf die Verbindungen aufgrund von Handel. Meine Mutter starb zwei Jahre darauf und mein Vater war mit uns alleine.
Anstatt, dass er sich um uns kümmerte, zog er sich immer mehr zurück, vergnügte sich mit Frauen und Alkohol. Ich übernahm die meisten Geschäfte und lernte so sehr schnell, wie man regiert. Vater starb schließlich bei einer Prügelei. Er war betrunken und weil er sich hatte gehen lassen, erkannte ihn auch keiner. Der König starb einsam in einer verdreckten Gasse. Ich schämte mich für sein Verhalten und gab die Erklärung, dass er ermordet wurde. Keiner sollte von der Schande wissen, die er diesem Haus bereitet hatte.
Ich hatte schnell meine Haltung wieder gefunden, doch Pyero verkraftete dies alles nicht so gut und drohte unserem Vater nachzueifern, was Frauengeschichten und trinken betrifft. Er hatte keine Aufgabe. Also beeinflusste ich ihn, um ihn zu retten. Ich fürchte, dass ich ihn nun nicht mehr los lassen kann, obwohl ich weiß, dass er bei Euch in guten Händen ist.
Er weiß nicht, was mit unserem Vater geschehen ist. Ich war der Ansicht, dass er die Wahrheit nicht verkraften würde.
Doch nun haben sich die Zeiten geändert, ich habe mich geändert. Und ich werde nicht zulassen, dass meine Vergangenheit mich weiter derart beeinflusst.
Ich möchte mich noch einmal bei Euch bedanken, dass Ihr meinem Bruder so eine gute Freundin wart und wenn es zu einer Hochzeit kommen sollte, werde ich euch nicht länger im Wege stehen."Ich war völlig gerührt von ihrer Geschichte und konnte sie zum ersten Mal verstehen, warum sie so verbissen und hasserfüllt gewesen war.
Doch war es wirklich die wahre Skylar, die sich mir gerade gegenüber befand. Ich hatte schon so viele verschiedene Gesichter von ihr erlebt, dass ich mir nicht sicher war, was ich wirklich davon halten sollte.
Aber ich wollte jetzt nicht länger darüber nachdenken, zu froh war ich, dass ich meinen Pyero hatte und das jetzt ganz offiziell.
Also bedankte ich mich bei ihr, herzlich und ehrlich. Dann verabschiedeten wir uns voneinander und ich begab mich auf die Feier.Zum ersten Mal, seitdem ich meinen Bruder besiegt hatte, fühlte ich richtige Euphorie und Freude. Ich konnte es kaum erwarten zu Pyero zu kommen, ihm die Neuigkeiten zu erzählen und die ganze Nacht mit ihm auf meinem Fest zu tanzen.
Ich hatte keinen Grund mehr schlecht gelaunt zu sein. Ich hatte meine Lebensaufgabe erfüllt, alle waren stolz auf mich, Ser Alaron war noch am Leben, ich hatte meinen Pyero und Skylar war zur Vernunft gekommen.
Konnte es noch besser kommen?
![](https://img.wattpad.com/cover/53461935-288-k49846.jpg)
DU LIEST GERADE
Time to Reign - Die Geschwister✔
Fantasy"Nutze die dir gegebene Kraft Salira, es liegt an dir die Welt zu verändern!" Salira von Nuvyenne ist eine Hochgeborene und die Erbin des Landes rund um die Hauptstadt Simaris. Sie erlebt eine friedvolle Kindheit, bis ihr kleiner Bruder Nevary, de...