KAPITEL 15 oder Wiedersehen mit der weißen Hexe

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Ohne weitere Umwege eilte ich hinunter in die Ställe. Ich musste jede Minute, die Skylar mich nicht benötigte ausnutzen.

Die Königin war eine Frau, die gerne lange schlief und so hatte ich morgens oft Zeit für mich bevor sie mir einen Auftrag übertrug.

Da Pyero mich sehr früh aus seinem Zimmer geschmissen hatte - bei dem Gedanken kamen mir sofort erneut die Tränen - hatte ich sehr viel Zeit.

Die Sonne stand noch sehr tief und es war angenehm kühl in den Gängen und dem Stall. In wenigen Stunden würde die Sonne auf die Stadt niederbrennen und für eine unerträgliche Hitze sorgen.

Noch nicht mal der Stallbursche war wach. Anscheinend waren Pyero, Dako und ich die einzigen Menschen in diesem Schloss, die unfreiwillig so früh aufgestanden waren.

Hastig lief ich durch die Stallgasse und suchte eine ganz bestimmte Box. Vor der Tür des schnellsten Pferdes der Leibgarde blieb ich stehen und betrachtete den großen und schlanken Hengst. Sein Fell war hellgrau mit dunkelgrauen und schwarzen Sprenkeln. Seine Mähne so dunkel die wie Nacht glänzte golden im durch die Fenster einfallenden Morgenlicht.
Auf dem wunderschön ausgearbeiteten Schild stand der Name des Hengstes: Shaytan. Dies bedeutete so viel wie Teufel. Es war ein anderer Name für den Gott der Unterwelt. Viele verabscheuten dieses Namen, denn er verband sie immer mit dem grausamsten aller Götter, aber ich fand, dass der Name sehr gut zu seinem Träger passte, denn der Hengst war feurig, temperamentvoll und unberechenbar. Seine Schnelligkeit machte ihn noch sehr viel schwieriger zu reiten.
Ich wusste, dass es selbst für mich eine Herausforderung sein würde, trotz dass ich aus Nuvyenne stammte, dem Reich, in dem die besten Pferde gezüchtet wurden. Deswegen hatte ich sehr früh von meinem Vater reiten gelernt und mein Können auf Adoris perfektioniert.

Kurz setzte ich mich zu dem Pferd ins Heu und nahm mir die Zeit, um in eine Karte der Stadt und der Umgebung zu blicken, die ich in meinem Bücherregal gefunden hatte.
Da ich nicht von hier war und mein Vater mich auch nie auf Reisen nach Lumres mitgenommen hatte, kannte ich nur die Wege, die ich mit Pyero oder Skylar geritten war. Der Rest war völliges Neuland für mich.

So studierte ich mir die Route ein, die im Zickzack durch die Stadt lief und dann im Nordwesten am Stadttor endete. Ab dort brauchte ich keinen Wegweiser mehr, denn ich musste nur auf den kleinen Wald zureiten, der nicht weit von der Stadt aus anfing.
Es war die einzige Stelle im Inneren des Landes Alayrons, welches von Wald bedeckt war. Normalerweise konnte man den Waldbeginn als Grenze zu Nuvyenne sehen. Nur eben an dieser Stelle nicht.

Schließlich sattelte ich Shaytan eilig und führte den Hengst in den Innenhof. Ich schwang mich auf den weichen schwarzen Ledersattel und galoppierte ohne weitere Umschweife durch den runden Torbogen hinaus.

Ich hatte mir vorhin beim Verlassen meiner Zimmer noch schnell den braunen Umhang von Pyero geschnappt. Nun zog ich wieder meine Kapuze tief ins Gesicht, um nicht womöglich noch erkannt zu werden.

Das erste Stück des Weges war derselbe, den Pyero und ich in der einen Nacht hinter uns gebracht hatten. Schmale und steile Gässchen führten den Berg hinab, auf dem das Schloss stand und sich über alle anderen Gebäude erhob.

Bei dem Gedanken an den Prinzen schnürrte sich mein Hals zu und ich musste die Tränen, die sich bereits in meinen Augen bildeten mit voller Willenskraft verbannen. Für solche Gefühle hatte ich nun keine Zeit mehr. Ich hatte mich schon viel zu lange von solchen unwichtigen Dingen aufhalten lassen.
Klar liebte ich Pyero, was mich immer wieder verwunderte, da wir uns ja erst seit nicht allzu langer Zeit kannten, aber ich war eine Adelige und für uns stand die Liebe niemals an erster Stelle oder besser gesagt: sie durfte es einfach nicht.
Ich wusste, dass ich vergessen musste, was letzte Nacht geschehen war. Ich durfte ihm das nicht nachtragen, egal wie sehr es schmerzte.

Time to Reign - Die Geschwister✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt