KAPITEL 10 oder Von Adeligen und dem Volk

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Wir ließen Katîr und Baruya vor einer Schenke in einer relativ ruhigen Seitenstraße stehen und begaben uns in die Richtung des Marktplatzes.
Pyero, der die Führung übernommen hatte, hatte den Kragen von seiner weißen Jacke hoch aufgestellt und ins Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden, wobei eigentlich schon seine teure Kleidung alleine reichen würde, um ihn als Adeligen zu identifizieren. Er war sichtlich nervös, versuchte es mir gegenüber aber nicht zu zeigen. Anscheinend begab er sich nicht allzu oft in die Stadt oder generell aus dem Schloss. Ich hingegen war relativ ruhig. Lediglich eine kleine Vorfreude auf das, was er mir zeigen würde, machte sich in mir breit.

Am Ende der schmalen Gasse angelangt konnte ich endlich einen Blick auf den Hauptversammlungsort der Stadt werfen. Schon von Weitem hatte man viele Menschen und eine ausgelassene Stimmung erahnen können, denn der Geräuschpegel war uns durch die Straßen entgegengeschwappt. Neugierig betrachtete ich das Geschehen, welches sich mir nun bot. In der Mitte des relativ runden Platzes war eine niedrige rechteckige Bühne aus Holz aufgestellt worden. Eine Traube sich laut unterhaltender Personen hatte sich rings um das Podest versammelt und wartete offensichtlich darauf, dass ein Schauspiel begann.
An hohen Stöcken waren Lampionketten angebracht, die über dem gesamten Platz verteilt waren. In den Papierbällen befanden sich wahrscheinlich kleine leuchtende Steine, denn die Ketten tauchten alles in ein kühles blaues Licht.
Es war gerade so hell, dass man noch die unendlich vielen Sterne über uns glitzern sehen konnte. Es war eine wundervolle Sommernacht.

Wir blieben am Rand der Menge stehen und ich sog gierig jeden neuen Reiz in mich auf. Zu lange hatte ich nur in einem Dorf gelebt, in dem so gut wie nie etwas geschehen war. Und zu lange war ich alleine gewesen. Nie hatte ich solche traumhaften Momente mit jemanden teilen können. Zwar kannten der Prinz und ich uns noch nicht allzu lange, aber ich war froh, dass er es war, der mich aus dem Alltag des Schlosses geholt hatte und niemand anderes. Eine gewisse Zuneigung zu dem Adeligen wurde immer stärker und egal, wie sehr ich mir einredete, dass da nichts war, ich wusste, dass ich Gefühle für ihn entwickelte, die ich nicht mehr vor mir selbst leugnen konnte.

Und als hätte er meine Gedanken gehört, legte Pyero just in diesem Moment mir vorsichtig einen Arm auf die Schultern. Seine Berührung löste ein Kribbeln in mir aus und ich konnte es nicht verhindern rot zu werden. Zum Glück würde Pyero dies bei dem spärlichen Licht um uns herum nicht bemerken.
"Kommt mit", flüsterte er mir ins Ohr und führte mich durch die Massen, die sich immer dichter um die Bühne drängten. Er hatte meine Hand ergriffen, damit wir uns in dem Gedränge nicht verlieren konnten. Wärme, die von seinem Körper ausstrahlte, lief in mich über und ich wünschte mir, dass er mich niemals wieder loslassen würde.

Wir schoben uns immer weiter nach vorne und Pyero schaffte es doch tatsächlich, dass wir einen Platz in der ersten Reihe bekamen, ohne dass sich jemand darüber beschwerte, dass wir uns vorgedrängelt hatten. Neugierig blickte ich nun von meinem Stehplatz aus nach oben und wartete, dass das Schauspiel begann. Um was es sich für ein Stück handelte, konnte ich nicht erraten, da sich auf der Bühne absolut keine Requisiten befanden.
Auf einmal erklangen Trommeln, die rhythmisch im Takt schlugen und die die Vorfreude und Anspannung der Zuschauer noch steigerten.
Nach einem langen Trommeln der Musiker, die ich rechts am Rande der Bühne lokalisieren konnte, betrat ein junger Mann das Holzgestell.
Er trug einen langen eng geschnittenen blutroten Mantel mit einer Schleppe, dessen Ärmel mit goldenen Ornamenten bestickt waren. Ich erkannte daran sofort, dass er Nevary darstellen sollte. Nicht nur seine typische Kleidung war gut von dem Schauspieler nachgemacht worden. Auch seine schulterlangen leicht welligen pechschwarzen Haare und seine Art sich zu bewegen erinnerten mich sofort an den Herrscher von Alayron, auch wenn der Mann sonst nicht sonderlich viel Ähnlichkeit mit meinem Bruder hatte und man auch erkannte, dass der Stoff seiner Kleidung sehr billig war.
Er breitete gebieterisch die Arme aus und drehte sich einmal um die eigene Achse, damit ihn jeder von vorne betrachten konnte. Sofort erntete er böse Buhrufe der Menge. Einige Menschen riefen sogar Schimpfwörter oder warfen mit faulen Obst und Gemüse.
Doch das störte den Schauspieler
nicht weiter. Ganz im Gegenteil, er wollte sogar das Volk noch mehr provozieren und aufbringen. Dass die Menschen so aufgebracht waren gehörte anscheinend zu seinen Absichten.
Etwas angewidert betrachtete ich das Schauspiel und drückte Pyeros Hand etwas fester. Er schaute zu mir hinab und lächelte mir zu.
Nachdem sich die Leute um uns herum wieder einigermaßen beruhigt hatten, trat eine weitere Darstellerin, junge Frau auf die Bühne.
Ich schluckte hart, als ich merkte, dass es sich eindeutig um mich handelte, denn die Frau trug ein tannengrünes Kleid, welches in Nuvyenne Mode war und hatte schneeweiße Haare.
Geschockt starrte ich zu Pyero hinauf, aber der war nun zu sehr mit dem Schauspiel beschäftigt, als dass er bemerkte, dass ich ihn so anblickte.

Time to Reign - Die Geschwister✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt