6 - Latzhosen verdienen eine zweite Chance

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„GINGER!", rief Till fröhlich und fiel mir um den Hals.

Es tat gut ihn zu sehen, auch wenn er mir durch die Haare wuschelte. Es war nicht so, als ob ich so etwas wie eine Frisur gehabt hätte, doch niemand konnte es leiden, wenn man wie der Hund des Nachbarn behandelt wurde. Till war der einzige, der sich nach dieser Tat keine Backpfeife einfing.

Er betrachtete mich von oben bis unten und schien dabei irgendetwas lustig zu finden.

„Sind Latzhosen etwa wieder modern?"

Ich wünschte, es wäre so, denn insgeheim fand ich sie echt cool und praktisch waren sie auch. Man brauchte beispielsweise keinen lästigen Gürtel, der sich dann unter Shirts abzeichnete. Doch leider lebte ich nicht den 80ern und Latzhosen waren kleinen Kindern vorbehalten, die noch in die Windeln machten oder aber Handwerkern. Ich gehört keiner der beiden Gruppen an und bedauerte es ein wenig.

„Ich wollte nicht unbedingt in meiner besten Skinny Jeans streichen", rechtfertigte ich mich und schob meine Hände lässig in die Hosentaschen, um zu zeigen, wie cool diese Hosen doch waren und man ihnen eigentlich ein Revival gönnen sollte.

„Ich hab doch gar nichts gesagt. Dir steht der Bob-der-Baumeister-Look." Er betrachtete nun das Shirt, das ich unter den Latzhosenträgern trug, genauer. „Ist das Pippi auf deinem Shirt?"

„Jap", sagte ich selbstbewusst. Wenn man Malerarbeiten durchführte, gab es praktisch keine Modesünden. „Ich brauchte halt ein altes Shirt, das ich mit Farbe beschmieren kann."

Ich hatte heute Morgen beschlossen, dass ich nun das Alter erreicht hatte, in dem ich nicht mehr mit Kinderhelden auf dem Schlafanzug rumlaufen sollte. Somit hatte ich auch gleich ein Shirt zum Streichen gefunden.

„Ach, das ist ja wieder unser kleiner Verehrer", kam Elyas aus seinem Zimmer gekrochen. Er war vor zwei Stunden von einer Vorlesung wiedergekommen und hatte sich gefreut mir beim Streichen helfen zu können.

Ich konnte förmlich spüren, wie die Stimmung eisig wurde.

Till war nicht sonderlich begeistert davon, als kleiner Verehrer bezeichnet zu werden. Er war jedoch souverän genug, um es zu überhören und so zu tun, als hätte niemand etwas gesagt. Till war niemand, der sich leicht provozieren ließ und das war eine Eigenschaft, die ich sehr an ihm schätzte. Es war praktisch unmöglich sich ernsthaft mit ihm zu streiten.

„Komm mit", forderte ich Till auf, mir in mein Zimmer zu folgen, damit weitere Provokationen von Elyas im Keim erstickt wurden. Es war dort momentan ziemlich chaotisch. Daniel hatte mir am Vormittag bereits geholfen die Möbel in die Mitte des Raumes zu schieben, damit die Wände frei waren. Der Haufen in der Mitte des Zimmers war notdürftig mit einer Plastikfolie bedeckt.

Da das hier eine Altbauwohnung war, waren die Decken beachtlich hoch. Das sah auch Elyas, der uns gefolgt war. Manchmal war er mir ein Tick zu aufdringlich.

„Ich werde mich dann mal um die Partien in der Höhe kümmern. Ihr zwei Zwerge kommt da nicht ran."

Auch wenn er Recht hatte, sah ich in Tills Augen wieder den gekränkten Männerstolz aufkeimen. Zwerg war kein Wort, mit dem ein Mann gerne beschrieben wurde. Diesbezüglich kannte Till keinen Humor. Aus irgendeinem Grund setzte er Größe mit Männlichkeit gleich. Manchmal fragte ich mich, ob er vielleicht das gleiche Problem mit seinem besten Stück hatte. Vielleicht war das der wahre Grund, warum er solche Komplexe hatte. Vielleicht hatte er Angst, dass jemand Rückschlüsse von seiner Körpergrößer auf seine Penisgröße zog. Da ich ihn nie nackt gesehen hatte, konnte ich nicht beurteilen, inwieweit seine Körpergröße wirklich darüber Auskunft geben konnte.

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