29 - Irgendwann haben wir alle mal ein Stein auf dem Kopf

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„Hast du Lust mit zum Friedhof zu kommen?", fragte mich Flo, als ich morgens vom Kaffeeduft gelockt in die Küche kam.

Noch immer hatte ich Elyas nicht verzeihen können, doch genauso wenig war mein eigenes Verhalten zu entschuldigen. Ich hatte mich genauso beschissen verhalten.

„Du willst auf den Friedhof?", hakte ich nach, denn für Flo war das kein normales Verhalten. Er nahm von allen, was mit unseren Eltern zu tun hatte, so viel Abstand wie möglich.

„Ja, wir waren seit der Beerdigung noch nicht einmal da."

„Ja, schon, aber ich dachte, dass du da gar nicht hinwolltest. Meintest du nicht mal, dass du keinen Grabstein brauchst, um dich daran zu erinnern, dass du mal Eltern hattest?"

Er stopfte sich einen Löffel Müsli in den Mund sprach dann weiter. Kaum zu glauben, dass wir Manieren von denselben Personen gelernt hatten.

„Schon, aber wir können doch trotzdem einen kleinen Spaziergang machen", brabbelte er mit vollem Mund.

„Ja, okay. Wann willst du los?"

„Jetzt gleich?"

So viel zum gemütlichen Frühstückessen.

„Okay, dann hol ich mir unterwegs noch ne Brezel."

„So machen wir's."

Also zog ich mich an und hinterließ Elyas eine Nachricht.

Bin mit Flo bei unseren Eltern. Gegen Mittag sind wir bestimmt zurück. Wir können ja zusammen irgendwo essen gehen. Hab dich lieb <3

„Mit Herz am Ende? Ein bisschen kitschig. Findest du nicht?", fragte Flo, der meinen Zettel überflog.

„Nein, das ist nicht kitschig", entgegnete ich und trat aus der Wohnung. „Und jetzt komm, ich hab Hunger."

„Du scheinst ja immer noch auf Wolke 7 zu schweben, wenn du ihm Herzchen aufmalst."

Ich sagte darauf nichts und lief die Treppen nach unten. Zum Glück war neben unserem Hauseingang ein Bäcker. Schon so einige Morgen hatte er mir mit seinen Backwaren versüßt.

„Ich hol in der Zeit Blumen", ließ Flo mich wissen, als ich auf der Stufe zum Backwarenverkäufer stand. Für einen Moment vergaß ich meine Gier nach Zucker und sah ihn argwöhnisch an.

„Du willst ihnen Blumen ans Grab legen?"

„Ja, wieso nicht?"

„Naja, du hast immer gesagt, dass sie es eh nicht sehen können und das einzige Ergebnis sei, dass am Ende die Blumen auch sterben und dann alle tot sind."

Männerlogik eben.

„Ach was, ich war betrunken, als ich das gesagt habe."

„Nein, warst du nicht", protestierte ich.

„Und wenn schon. Ich will jetzt Blumen kaufen. Basta."

„Okay, okay. Soll ich dir noch etwas vom Bäcker holen?"

Er schüttelte den Kopf.

Dann eben nicht.

Natürlich blieb es nicht nur bei einer Brezel. Wie könnte ich beim Anblick einer perfekten Streuselschnecke und eines mich anlächelnden Schokobrötchen Nein sagen.

Als ich rauskam, wartete Flo schon mit zwei Blumensträußen auf mich. Ich freute mich, dass er an Mama gedacht hatte. Vielleicht begann er langsam ihre Entscheidung zu akzeptieren.

GingerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt