5 - #sunrise

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„Ella!"

Meine Hände zittern und die Augen sind weit aufgerissen. Ich stehe im Schlafzimmer meiner Eltern. Ich schreie, doch es kommt kein Ton aus meiner Kehle. Ich weine, doch keine Träne verlässt meine Augen. Ich will wegrennen, doch meine Beine sind aus Blei und bleiben einfach stehen.

„ELLA!"

Ich will die Augen schließen, damit ich nicht mehr sehen kann. Doch es geht nicht. Ich bin eine Statue, die sich nicht bewegen und kann. Ich kann nichts tun außer und zusehen, wie mein Leben zerbricht. Ich starre auf etwas, das mir meine unschuldige Seele wegschmort.

„ELLA! Wach auf!"

Mein Körper durchfuhr ein Ruck. Plötzlich war alles dunkel um mich herum und das obwohl ich die Augen nicht geschlossen hatte. Dann ging eine kleine Lampe an und ich erkannte Elyas, dessen Gesicht nur wenige Zentimeter über meinem Gesicht schwebte. Er sah verschlafen aus. Die Haare waren zerzaust und die Augen klein.

Und ich war für einen Moment einfach nur verwirrt. Mein Schlafanzug klebte an mir, weil ich schweißgebadet war. Das Herz klopfte wie das einer Maus, nach der Flucht vor einer Katze.

„Es war nur ein Traum. Alles ist gut", erklang eine sanfte Stimme.

Langsam dämmerte mir, dass ich eben nicht im Zimmer meiner Eltern gestanden hatte, sondern es nur ein Traum gewesen war. Einer von der ganz böse Sorte.

Ich setzte mich auf und spürte, dass es außerhalb meiner Bettdecke verdammt kalt war. Da half auch der heiße Anblick von Elyas nicht.

„Soll ich dir ein Glas Wasser bringen?", erkundigte er sich fürsorglich.

Dankend schüttelte ich den Kopf. Ich wollte keine Umstände machen, zumal er früh raus musste und ich ihn ganz offensichtlich geweckt hatte.

„Es war ein ganz schön heftiger Traum, oder?"

Mit verlorenem Blick nickte ich. Zu sehr hing mein Gehirn noch in dem Traum fest.

„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe."

Ein zartes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er setzte sich neben mich auf die Couch. Es war gut, dass er nur seine Boxershorts trug, denn so war ich für einen kleinen Moment von meinem Albtraum abgelenkt.

„Mach dir darum mal keine Sorgen. Ich bin Student. Ich komm mit wenig Schlaf aus."

Ich versuchte sein Lächeln zu erwidern, aber es gelang mir nicht.

„Willst du darüber sprechen?", hakte Elyas nach, dem offensichtlich aufgefallen war, dass ich seine lockere Stimmung nicht teilte.

Ich schaffte es kaum mit Till über das Geschehene zu sprechen und er war praktisch mein Seelenverwandter. Elyas war für mich ein nahezu Fremder. Ich konnte mit ihn deshalb auch nicht an meinen Träumen und meinen Erinnerungen teilhaben lassen. 

„Danke, aber lieber nicht", lehnte ich höflich ab.

„Okay, falls du es dir anders überlegst, sag einfach Bescheid."

Das Bild, das ich zunächst von Elyas gehabt hatte, änderte sich langsam. Er war mit Sicherheit ein ziemlicher Draufgänger, der seine Klappe weit aufreißen konnte und wusste, wie er die Frauen dazu brachte, sich den Slip von den Hüften zu ziehen. Aber er hatte auch seine sehr sensible und einfühlsame Seite. Und genau diese zeigte er mir nun. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich damit zu einem exklusiven Klub von Personen gehörte.

Ich sah auf mein Handy und bekam ein schlechtes Gewissen.

„Du schläfst jetzt besser wieder. In zwei Stunden klingelt dein Wecker", ergriff ich das Wort.

GingerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt