Ginger

15 - Das Schicksal, mein Feind

„Konntest du nach der Beerdigung einigermaßen schlafen?", erkundigte ich Till, als ich am Montagmorgen mit müden Augen in die Schule schlürfte. Gemeinsam liefen wir lustlos zum Klassenraum.

„Hmm."

„Hast du mit Flo noch über das gesprochen, was passiert ist?"

„Nee."

Ich spürte seinen Blick auf mir.

Verdammt, ich antwortete schon wieder verdächtig einsilbig. Und das entging Till nicht.

„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst?", platzte es aus ihm heraus. „Nach der Beerdigung von deinen Eltern?"

Er war wirklich gut darin, wenn es darum ging meine Gedanken zu lesen. Er hatte mich tatsächlich durchschaut. Trotzdem versuchte ich die Methode Unschuldslamm.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst."

Ich blieb auf dem Treppenabsatz stehen und sah mich mahnend an.

„Und wie du das weißt! Ich sehe dir doch an der Sommersprosse auf deiner Nasespitze an, dass ihr es schon wieder getan habt."

Er war gut. Sogar so gut, sodass man die CIA auf ihn aufmerksam machen sollte. Er wäre in Verhören ein Trumpf im Ärmel. Ein Blick reichte und schon erkannte er die Wahrheit. Das war ein wertvolles Talent.

„Okay, okay. Erwischt", gab ich es zu und stieg weiter die Treppen hoch. Till folgte mir.

Er sah nicht sonderlich glücklich über dieses Geständnis aus.

„Warum tust du das? Das kann doch nicht gut enden. Ihr wohnt zusammen. Er ist der beste Kumpel deines Bruders. Und dann auch noch nach der Beerdigung deiner Eltern! Ist er nach dem Sex wenigstens bei dir geblieben?"

Till wusste auch genau, wie er die Schwachstellen aufdecken konnte. Ich hätte mir wirklich gewünscht mit ihm einfach ein bisschen zu kuscheln. Ich hätte gern meinen Kopf auf seine Brust gelegt und entspannt die Augen geschlossen, während ich seinem Puls gelauscht hätte. Doch für Elyas war mit dem Orgasmus Schluss. Kondom ab, Klamotten an und weg war er gewesen.

„Nein, er ist gegangen", murmelte ich beschämt.

Nun wirkte Till wütend.

„Ginger, warum lässt du dich so ausnutzen? Das bist doch nicht du! So kenne ich dich gar nicht."

„Ich lass mich doch gar nicht ausnutzen. Ich wollte doch Sex und den habe ich von ihm bekommen. Von mir ging die Initiative aus. Wenn, dann habe ich ihn ausgenutzt."

„Ist klar. Der arme Elyas wurde zum Sex missbraucht, oder Wie? Du wolltest doch nur mit ihm schlafen, weil die Beerdigung dich durcheinander gebracht hat. Du weißt im Moment einfach nicht wohin mit deinen Gefühlen. Du versuchst deine Trauer zu kompensieren. Aber ich denke nicht, dass Sex der richtige Weg ist."

„Äh, seit wann bist du in der Lehre zum Psychiater? UNd wieso machen alle aus Sex so eine riesige Sache?"

„Weil Sex eine große Sache ist. Das sollte man nicht als Kompensation nehmen, um andere Gefühle zu verdrängen."

„Du hast doch selbst One Night Stands. Also tu mal nicht so, als wärst du ein katholischer Pfarrer!"

„Das ist was anderes. Ich mache sowas nicht am gleichen Tag auf der Beerdigung meiner Eltern."

„Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun." Meine Stimme wurde immer höher und schriller.

„Ich denke schon. Dein Leben ist im Moment einfach sehr kompliziert und du sehnst dich wahrscheinlich nach Liebe. Aber das, was du mit Elyas hast ist keine Liebe."