18 - Wie Motten und Suizidgefährdete

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„Was meinst du, wie spät es ist?", fragte ich müde.

Meine Waden waren vom Gestrüpp des Waldes bereits an großflächig aufgekratzt und die Gänsehaut war mein ständiger Begleiter. Mittlerweile hatte auch die Gummisohle unter meinen Füßen Löcher bekommen. Mir tat alles weh.

„Mit Sicherheit schon weit nach Mitternacht", antwortete Elyas noch deutlich fitter als ich.

Jedoch sah ich, dass er fror. Schließlich hatte ich noch immer seine Jacke und er trug nur sein Holzfällerhemd. Er bibberte. Natürlich hatte ich ihm schon angeboten, dass er seine Jacke wiederhaben könnte, aber er hatte sie wie erwartet nicht angenommen.

„Meinst du, es hat noch Sinn weiterzulaufen?"

Er blieb stehen und schien zu überlegen. Die Frage war ihm mit Sicherheit auch schon den Kopf geschwebt.

„Wahrscheinlich nicht. Wir könnten schon Kilometer weit von der Hütte sein. Ich glaube nicht, dass wir sie noch finden. Die einzige Hoffnung, die wir haben, ist es, auf ein Dorf oder eine Stadt zu treffen. Aber vielleicht sollten wir erst eine Pause machen."

Ich teilte seine Meinung.

Meine Augen hatten sich mittlerweile an die Lichtverhältnisse gewöhnt, weshalb ich zumindest die Konturen meiner näheren Umgebung erkennen konnte.

„Wir können uns auf den Baum dort setzen."

Ein umgekippter Baum lag nur wenige Meter vor uns. Es war wohl besser dort zu sitzen, als auf dem nassen Waldboden.

Wir setzten uns dicht nebeneinander, sodass wir uns gegenseitig wärmen konnten. Die Borke des Baumstammes war hart und uneben. Ich hatte schon deutlich bequemer gesessen, doch im Moment fühlte ich mich, als würde ich auf einem gepolsterten Thron aus Seide sitzen. Denn nach stundenlangem Fußmarsch war mir jede Sitzgelegenheit recht.

„Tut mir leid, dass ich mich vorhin ein bisschen mädchenhaft aufgeführt habe", entschuldigte ich mich. Ich hatte die letzten Stunden genug Zeit zum Nachdenken gehabt. „Eigentlich bin ich nicht so, aber ich hatte irgendwie etwas anderes bei dem Wochenende erwartet. Ich war auf etwas anderes eingestellt. Und auf einmal fand ich mich mit Bluse, Ballerinas und der Mission Pilze zu suchen im Wald wieder. Ich glaube, dass hat meinen Tussi-Modus ungewollte aktiviert."

Ich hörte ihn leise lachen.

„Du warst echt jammerig, aber ich habe auch schon Schlimmeres erlebt. Aber ist ja auch meine Schuld, dass wir uns verlaufen haben und mit deinen Schuhen würde ich auch nicht gerne durch den Wald latschen."

Von den Bäumen tropften dicke Wassertropfen auf uns herab. Ich war mir nicht sicher, ob es regnete oder ob es so eine Art Tau war. Ein fetter Tropfen landete auf meiner Wange. Ich wischte ihn mir weg und bekam prompt einen auf die Stirn.

„Als Kind war ich noch nicht so zimperlich", begann ich zu erzählen. „Ich glaube, da hätte ich diese Nacht als riesiges Abenteuer empfunden. Wäre mir das mit Till damals passiert, hätte wir uns wahrscheinlich eine Geschichte hierzu ausgedacht und wäre die ganze Nacht glücklich durch den Wald gerannt."

„Irgendwie war als Kind alles noch ein Abenteuer", sagte Elyas wehmütig und wuschelte mit seiner Hand durch seine nassen Haare, damit sie nicht am Kopf klebten.

Ich sah ihn verwundert an.

„Höre ich da etwas das Peter-Pan-Syndrom raus? Niemals erwachsen sein zu wollen?"

Elyas lachte und es tat gut in dieser dunklen Nacht ein Lachen zu hören. Aber nur solange es nicht von einem Mädchen mit blutverschmierten Nachthemd kam, das plötzlich vor mir stand und mich anstarrte.

GingerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt