25 - Es tut mir leid

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„Du bist ja noch hier? Hast du gar keine Schule?", fragte mich Flo verdutzt, als ich mich am Morgen zu ihm in die Küche gesellte. Dem Kaffeegeruch zu folge, versuchte Flo mit stark dosiertem Koffein seine Konzentrationsfähigkeit zu stärken. Vor ihm lag ein Blatt, auf dem einige Formeln gekritzelt waren.

„Der Arzt hat mich für heute krankgeschrieben. Er meinte, dass ich noch Ruhe bräuchte."

Flo nickte verständnisvoll und sah kurz auf mein Pflaster.

„Kommst du in der Schule soweit gut mit?"

Ich wusste, dass er die Frage nur stellte, weil es keine Eltern gab, die es noch tun konnten.

„Ja. Außer in Chemie steh ich nirgends schlechter als Zwei."

„Lass dir doch von ELyas helfen. Er ist gut in Chemie. Er hatte es sogar als Leistungskurs."

Elyas wäre zwar ein extrem heißer Nachhilfelehrer, doch die Vorstellung, wie er mir versuchte irgendwelche Formeln beizubringen, die ich eh nie checken würde, war merkwürdig. Da nahm ich lieber eine Drei in Kauf, anstatt vor Elyas meine fehlenden Chemiekenntnisse zu entblößen und somit das Klischee der dummen Schülerin zu erfüllen.

„Lieber nicht. Ich schaffe das schon. Nächstes Semester habe ich es eh nicht mehr."

„Wieso nicht? Er hat bestimmt kein Problem damit dir zu helfen."

„Ich will nicht als dumm dastehen", gab ich eine ehrliche Antwort.

Flo legte seinen Kopf mit einem Dein-Ernst-?-Blick schief.

„Du bist nicht dumm."

„Im Gegensatz zu Elyas schon. Schon vergessen: Er studiert Medizin."

Flo zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.

„Na und? Du bist auch noch 4 Jahre jünger als er. Wäre auch ein bisschen komisch, wenn du schon mit 17 Medizin studieren würdest. Findest du nicht?"

„Trotzdem. Ich will es nicht."

Flo nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse und sah mich nachdenklich an.

„Wie läuft es denn zwischen euch?"

Ich war mir nicht sicher, ob ich so ein Gespräch mit meinem Bruder haben wollte.

„Gut."

Flo verzog das Gesicht.

„Na danke auch für die ausführliche Antwort."

„Es läuft gut. Mehr gibt es nicht zu sagen", würgte ich ihn ab. „Wie geht es dir denn?"

Er runzelte die Stirn so sehr, sodass jeder Schönheitschirurg zur Botoxspritze greifen würde.

„Was meinst du?"

Es machte mich traurig, dass er offenbar verwundert darüber war, wenn ich ihn fragte, wie es ihm ging.

„Ich will wissen, wie es dir geht. Du kümmerst dich um mich und versuchst irgendwie Eltern und Bruder in einem zu sein, aber für dich ist niemand da. Und deshalb frage ich, wie es dir geht. Ich mache mir Sorgen um dich."

Seine Gesichtszüge wurden weicher und er lächelte mich dankbar an.

„Brauchst du nicht", sagte er sanft.

„Sicher?"

„Ja."

„Wie läuft dein Studium?"

Von Daniel wusste ich, dass Flo durch eine Zwischenprüfung gefallen war.

„Gut."

Und schon hatte ich die erste Lüge enttarnt.

GingerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt