„Müsstest du nicht in der Schule sein?"
Ich schielte über meinen tiefschwarzen Kaffee zu ihm nach oben. Meine Nase schwebte nur wenige Zentimeter über der Tasse, sodass ich den wiederbelebenden Geruch inhalieren konnte.
„Musst du nicht in der Uni sein?", entgegnete ich mit heiserer Stimme.
Elyas ließ sich neben mich am Küchentisch auf einen Stuhl fallen.
„Montag ist mein freier Tag. Aber soweit ich weiß, gilt das nicht für Schüler."
Ach, wäre ich doch nur Student und hätte auch jeden Montag frei! Mein Leben würde einiges an Lebensqualität gewinnen.
„Wäre mir neu, dass du mein neuer Vater bist und mir sagst, wann ich zur Schule zu gehen habe", murrte ich und nahm einen Schluck von der bitteren Plärre. In meiner Katerstimmung konnte ich manchmal zu einer Kratzbürste werden.
„Mach ich auch nicht."
Er sah mich ernst an und ich konnte damit nicht viel anfangen. Wollte er, dass mich das schlechte Gewissen packte, ich mir meinen Rucksack nahm und zur Schule eilte, um noch den dritten Block zu schaffen? Darauf konnte er lange warten! Stattdessen dachte ich daran, wie ich gestern Abend im Vollsuff beinahe meine Freundschaft zu Till zerstört hatte. Wegen einem Kuss. Wegen einem dummen Kuss, bei dem meine Gefühle kurz verrückt gespielt hatten. Es musste der Alkohol gewesen sein. Anders konnte ich mir das nicht erklären. An Abenden wie gestern war doch eh immer der Alkohol schuld. Schließlich hätte Simon seinen nackten Hintern bestimmt auch nicht nüchtern präsentiert.
„Wer hat eigentlich das Sorgerecht für dich?", erkundigte sich Elyas, der sich gerade aus meiner Kaffeekanne etwas eingoss.
Konnte er mich nicht mit meinen Gedanken und meinem Koffeintrank alleine lassen?
„Würde ich an deiner Stelle nicht trinken", warnte ich ihn vor, als er die Tasse an seine perfekten Lippen ansetzte.
Trotzdem nahm er einen Schluck und verzog das Gesicht. Kurzzeitig dachte ich, dass er die Flüssigkeit wie bei einem antiken Springbrunnen aus dem Mund spucken würde, doch er überwand sich, es herunterzuschlucken.
„Meine Güte, dein Kater muss ja heftig sein."
Er schüttelte seinen Kopf, als hätte er einen Shot hintergekippt.
„Ich habe dich gewarnt", brummte ich besserwisserisch.
Elyas ließ sich nicht von meiner schlechten Laune anstecken, ich aber auch nicht von seiner guten.
„Und wer hat nun das Sorgerecht?", erinnerte er mich an seine Frage von eben.
„Flo hat es. Meine Großeltern sind zu alt. Außerdem war es praktischer, weil ich jetzt hier wohne."
„Dann kann er dich für heute auch einfach krankschreiben, oder?"
„Ja."
„Praktisch."
War das sein ernst?
„Ja, richtig praktisch, dass meine Eltern gestorben sind. Jetzt kann ich blau machen, wann immer ich will. Davon träumt doch jedes Kind. Warum sind sie nicht schon viel früher gestorben? Mein Leben wäre so viel einfacher."
Mein Sarkasmus war nicht zu überhören. Elyas verzog das Gesicht.
„So war das nicht gemeint und das weißt du auch."
Ich nahm erneut einen Schluck von meinem Trunk, doch der Kopfschmerz blieb. Eigentlich wollte ich meine Ruhe haben und mich selbst bemitleiden, weil ich einen Kater hatte und ich mich gestern um ein Haar in eine richtig peinliche Situation gebracht hatte. Weil meine Eltern tot waren und ich in einem Zimmer lebte, das nicht nur winzig war, sondern vielleicht auch noch viele kleine Spinnnenbabys beherbergte.
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Ginger
RomanceEine beste Freundin hat man für immer. Doch wenn man einen besten Freund hat, wird irgendwann Liebe daraus. Dieses Gerücht hält sich hartnäckig, doch Till und Ella treten den Gegenbeweis an. Ella braucht ihren besten Freund besonders, als das Schi...