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I998

„Des, sag mir wo du warst!" Anne schrie ihren Ehemann an. Er zuckte nur mit den Schultern und drängelte sich an ihr vorbei.

Anne und Des waren verheiratet und Anne hatte den Nachnamen ihres Geliebten, Styles, angenommen. Noch im selben Jahr wie die Hochzeit hatten sie einen Sohn bekommen, Harry Edward Styles. Dieser war mittlerweile vier Jahre alt und besuchte einen Kindergarten, wie es üblich war. Doch seit mehreren Monaten, fast schon einem halben Jahr, stritten seine Eltern nur noch.

„Ich rede mit dir!" Ihre Schreie wurden immer lauter, immer aggressiver. Der kleine Harry saß in seinem Zimmer, die Hände auf die Ohren gepresst und versteckte sich unter seiner Bettdecke. Seit langem musste er dies über sich ergehen lassen.

„Mommy hasst Daddy", erzählte er einst seinem Stofftier, „und ist sehr sauer auf ihn. Ich weiß sogar wieso. Weil Daddy immer zu spät nachhause kommt. Ich glaube Mommy denkt, dass er böse Sachen macht."

„Und welche bösen Sachen?", hatte er sich die Frage seines Stofftiers ausgedacht.

„Ich weiß nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich das wissen will. Aber es muss etwas ganz schlimmes sein, sonst wäre Mommy nicht so sauer. Früher mochte sie ihn noch." Er hatte eine kurze Pause gemacht, seinen Löwen wieder aufrecht hingesetzt und aus dem Fenster gesehen. „Da waren beide ganz glücklich."

„Ist doch unwichtig!", schrie Des genauso energisch zurück. Harry fragte sich, wie lange seine Eltern dies noch machen würden. Bis er alt und grau war?

„Nein! Des, du sagst mir hier und heute wohin du immer verschwindest, sonst verschwinde ich!"

Des gab vor uninteressiert zu sein. Er sah sie nicht an, den ganzen Abend schon nicht, während Anne ihn die ganze Zeit lang ansah. Auch wenn sie sich schämte, in dieses Gesicht zu sehen. Er war ihr Mann doch verhielt sich wie ein Fremder, den sie bei sich leben ließ.

„Und wenn ich verschwinde, kommt Harry mit mir." Dieser Satz schien seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Er sah sie an, sein Blick undeutlich.

„Was?", fragte er, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach. „Anne, Liebes, komm schon."

„Nein. Komm mir nicht mit Liebes an."

Er ging mehrere Schritte auf sie zu, bis er schließlich vor ihr stand. Mit seinen Händen strich er über ihre Arme, die überkreuzt vor ihrer Brust waren. Seine Finger waren eiskalt und Anne überlief ein Schauer.

Sie entspannte sich nicht wie sonst.

Er setzte seine ekelhaften, nach Alkohol riechenden Lippen unter ihrem Ohr ab. Sie waren ebenso kalt und feucht. Mit diesen fuhr er ihren Hals hinab.

Sie ließ es über sich ergehen.

Seine Hände wanderten zu ihrem Hosenbund.

Sie ließ es einfach zu, versuchte sich irgendwie abzulenken.

Ich tue es für meinen Sohn.

Und sie wusste; dies würde das letzte Mal sein, dass sie seine ekelerregenden Finger auf sich spüren musste. Sie war bereit, es ein letztes Mal zu tun, doch nur, um es nicht zu einem weiteren kommen zu lassen.

Also schloss sie die Augen und hoffte, dass der nächste Morgen bald da war.

=

Harry und Anne waren auf dem Weg in ihr neues Leben.

„Wohin fahren wir?", fragte Harry und sah zu seiner Mutter, die neben ihm saß.

„Zu unserem neuen Zuhause." Anne lächelte Harry an, um ihm zu zeigen, dass alles gut war. Doch Harry hatte seine Bedenken.

„Wieso haben wir denn ein neues Zuhause?" Er blickte aus dem Fenster. Sie befanden sich in einem Bus und seine Mutter hatte ihn extra am Fenster sitzen lassen.

Seine Mutter antwortete ihm nicht, da wurde ihm die Antwort klar. Es ging um seinen Vater.

„Es ist wegen Daddy, oder?", murmelte Harry fast tonlos. Anne seufzte.

Was sollte sie ihm antworten? Was sollte sie einem vierjährigen Jungen sagen? Dass sein Vater ein vermeidlicher Alkoholiker, wenn nicht sogar ein Junkie war? Dass sie keine Lust mehr auf seine ständige Abwesenheit und Unehrlichkeit hatte?

Harry war ein schlauer Junge, dies wusste Anne schon früh. Ihm fallen die Dinge, die andere vielleicht nie bemerkt hätten, sofort auf. Natürlich war sie stolz, so einen schlauen Sohn zu haben. Doch es beunruhigte sie im selben Moment. Es würde nicht immer ein Vorteil sein, soviel stand fest.

Wie die Beziehung zwischen seinen Eltern.

Ein vierjähriges Kind sollte nicht mitbekommen, wie sich seine Eltern streiten und dann getrennte Wege gehen. Es sollte das Geschrei und die Gewalt, die diese Situation mit sich bringt, nicht so deutlich wahrnehmen können.

Harry tat Anne Leid.

Harry wusste, dass er keine Antwort mehr bekommen würde und starrte ernst aus dem Fenster. Er war traurig, seinen Vater nicht mehr sehen zu können. Doch er war böse, das dachte Mommy. Und Mommy hat fast immer Recht.

Und von Bösem soll man sich fernhalten, das wusste Harry. Vielleicht war es ja doch richtig. Vielleicht würde seine Mommy wieder glücklich werden.

Ja, dachte Harry, dann bin ich auch glücklich.

=

hi.

schönen advent euch allen. x

-m

[11.12.15]



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