Kapitel 44: Von alter Trauer

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Wir ließen Cecilia nun schon, seit dem Unfall vor sechs Tagen, Zuhause. Mittlerweile konnte sie schon wieder besser damit umgehen und lachte viel zusammen mit Tammy und Leni, anders als ich selbst. Alle waren in Weihnachtsstimmung, selbst die ganze Basis, alle außer mir. Ich weiß selbst nicht wieso, aber ich gebe auch mir selbst die Schuld an dem Unfall und ich muss andauernd an meine eigenen verstorbenen Kinder denken, normalerweise hätten wir jetzt nicht vier sondern acht Kinder. Für Tammy, Leni und Cecilia wären es noch ein älteren Bruder und ein jüngerer Bruder, eine jüngere Schwester und Lou. Und Mia Joyce hätte noch einen älteren Bruder, ihre beiden gleichaltrigen Geschwister und natürlich auch noch Lou. Ich konnte einfach keine Kinder mehr sterben sehen. Jetzt saß ich mit meiner Familie am Tisch, denn wir mussten alle nicht arbeiten, weil heute Rosenheim Nachtschicht hatte. Peter hatte sich echt viel Mühe für das Essen gegeben, aber ich brachte keinen Bissen runter und stocherte nur lustlos auf dem Teller rum, so wie ich es schon seit sechs Tagen tat. Und jeden einzelnen Tag muss ich mir von Karin und Peter anhören, das wenn ich denn nicht endlich wieder essen würde einen Kreislaufzusammenbruch haben würde und die beiden mich ja nicht aus dem Krankenhaus abholen würden und bla bla bla halt. Die Kinder verabschiedeten sich sobald sie gegessen hatten in ihre Zimmer und ich hätte es ihnen am liebsten gleich getan, denn als ich die Blicke von zwei Personen sah, wollte ich mich lieber gleich verkrümeln.

Stattdessen stand ich auf und begann den Tisch abzuräumen, bis Peter neben mir stand. "Livvy, rede doch mal mit mir, irgendetwas ist doch mit dir los", sagte er und ich konzentrierte mich weiterhin auf das Abräumen, "nein es Ost alles okay", sagte ich einfach und begann die Teller in dir Spülmaschine zu räumen. Karin zog mich bei Seite und Peter machte weiter, "lass mich weiter machen", meinte ich empört, doch sie legte nur den Arm um mich und zog mich in die Stube. Dann zog sie mich auf die Couch und sah mich an, "so Süße, du sagst mir jetzt was los ist und du beginnst wieder zu lachen und zu essen und trinken verstanden?", fragte sie ich zuckte nur lustlos mit den Schultern und ließ mich in die Couch hinein sinken. Karin blieb hartnäckig neben mir sitzen und fragte alles mögliche nach was es sein könnte, doch ich blieb stumm die ganze Zeit. Sie erwähnte den Unfall auch einmal, aber der hatte schließlich nur all die angestaute Trauer raus geholt. Irgendwann stand ich auf, als Peter gerade rein kam, ging stumm an ihm vorbei in mein Büro und schloss mich ein. Karin und Peter rannten hinterher. "Liv, du kommst jetzt sofort da raus, ich lasse dich in diesem Zustand nicht mit einem Schrank voller Medikamente allein. Wir haben gesehen was das letzte mal passiert ist", rief sie und ich schrie zurück, "das war vor über 10 Jahren, ich bin alt genug um auf mich selbst aufzupassen". Das waren die letzten Worte meiner Seits, bevor ich mich an Berichte von Medicopter machte. Irgendwann muss ich dann wohl eingeschlafen sein.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es erst viertel nach fünf. Peter lag neben mir und schlief noch... Moment mal, wie bin ich ins Bett gekommen. Ich werde Karin und Peter später noch zur Rede stellen. Müde stand ich auf und ließ mich aber sofort wieder ins Bett fallen, ich war viel zu kaputt und hatte zu wenig Energie. Ich drehte mich einfach um und vergrub meinen Kopf im Kissen und begann zu weinen. Ich spürte jede einzelne Träne auf meiner Wange und jede galt einem meiner verstorbenen Kinder. Ich weiß nicht wie lange ich schon weinte, bis ich spürte wie mich jemand in seinen Arm zog. Sofort erkannte ich das es Peter war und hörte auf zu weinen. "Livvy, bitte rede mit mir", murmelte er und wischte mir die Reste von den Tränen von der Wange. Ich entriss mich mehr oder weniger seiner Umarmung und legte mich auf meine Betthälfte zurück, versteckte mich unter dem Kissen und zickte wie ein kleines Kind, "lass mich in Ruhe, es ist alles okay." Dann weinte ich wieder und murmelte vor mich hin, ich murmelte immer wieder Lou oder das ich nicht mehr leben wollte, das ich allein sein wollte. Die Decke von meinem Kopf verschwand und Peter nahm mich wieder in den Arm, diesmal wehrte ich mich nicht, ich bin kaputt gebrochen. "Livvy, ich liebe dich, Karin liebt dich, Leni, Tammy, Cecilia und Mia Joyce lieben dich und wir alle brauchen dich", sagte er und küsste mich auf den Scheitel, ich weinte weiter. Dann stand ich auf, ging immer noch total verheult und mit starken Kopfschmerzen auf den Flur und zum Zimmer von Mia Joyce, meine Tochter lag in ihrem Bett und strampelte schon fröhlich. Ich nahm sie auf den Arm und ging zurück in mein eigenes Zimmer wo Peter noch saß. Aber statt mich mit Mia Joyce wieder hinzulegen, nahm ich meine Tasche und schlüpfte in meine Schuhe, holte den Autoschlüssel, setzte mich ins Auto und fuhr los. Peter war mir hinterher gerannt, doch ich fuhr trotz allem einfach los, Mia Joyce hinten in ihrem Kindersitz schon wieder halb einschlafend.

Mein Instinkt ließ mich zur Basis fahren und ich hielt dort an, nahm meine Tochter auf den Arm und ging rein. Karin, sah etwas überrascht aus als sie mich sah, während Enrico und Biggi mich freundlich begrüßten. Ich ging einfach stumm in mein Büro und schloss laut die Tür hinter mir und setzte mich mit Mia auf dem Arm an meinen Schreibtisch. Ich hörte wie Biggi und Enrico draußen Karin ausfragten, also legte ich Mia Joyce auf die Liege in meinem Büro, baute schnell eine Wand aus Kissen um sie und ging dann in den Aufenthaktsraum. Aller drei verstummten, "wer noch ein Wort über mich oder meine Laune sagt, kann sich sofort einen neuen Job suchen, ich kann euch alle drei vertreten in so einem Fall, also überlegt es euch zwei mal", meine Stimme war gepresst und man hörte raus, das ich stock sauer war. "Livvy, komm bitte zur Vernunft, fahr nachhause und ruhig dich aus", meinte Karin und wollte aufstehen. Ich sah sie wütend an, "das gilt auch für dich, selbst wenn du meine Schwester bist", sagte ich meine Stimme war unverändert. Sie sah mich an als wäre ich ein Monster. Wer weiß, vielleicht bin ich das ja auch geworden. Stumm ging ich zurück in mein Büro und setzte mich zu Mia Joyce auf die Liege und begann zu weinen. Ich bin echt verheult geworden, aber ich wusste nicht anders mir zu helfen. Besser als wenn ich jetzt anfangen würde mich selbst zu verletzten. Also zog ich meine Knie an, bettete meinen Kopf darauf und weinte. Immer wieder sah ich meine toten Kinder vor mir, drei von den vieren hatte ich gesehen, Lou hatte ich sogar sechs Jahre groß gezogen. Und jetzt waren sie weg, alle.

Ich saß mittlerweile schon eine Weile so da als es klopfte. "Nein", rief ich, aber die Tür wurde geöffnet und es war Peter. "Hau ab", schrie ich ihn an und bekam meine Tränen unter Kontrolle. "Livvy, Engelchen, bitte lass uns reden, es wird dir gut tun", sagte Peter ganz sanft. "Ich will mit niemanden reden, erst recht nicht mit dir", schrie ich ihn weiter an. Ich stapfte wütend an ihm vorbei nach draußen an die frische Luft. Es schneite, zum ersten Mal in diesem Jahr. Peter kam mir hinterher gelaufen, Mia Joyce auf dem Arm, die durch den Lärm aufgewacht ist. Ich rannte einfach frustriert in Richtung Wald und legte mich dort auf eine kleine Lichtung, die schon leicht vom Schnee bedeckt war. Ich hatte nur meine kurzen Pijama an, wie mir bei dieser Kälte auffiel. Trotzdem blieb ich liegen, genoss die kleinen Flocken die langsam begannen meinen Körper zu bedecken. Es war als würden sie den Schmerz betäuben durch die enorme Kälte. Ich bin glücklich darüber, das es den Schmerz so sehr betäubte, aber auch darüber, daß ich endlich mal meine Ruhe hatte. Völlig die Gefahren vergessend was alles in der Kälte und bei meinem momentan instabilen Kreislauf alles passieren könnte, schlief ich ein.

Medicopter 117 - First Love; Last Love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt