Teil 2

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„So sehr ich Ihren Enthusiasmus zur Arbeit schätze, Offizier Ben", bemerkte Bonifatius ruhig, und zu Ellas unendlicher Erleichterung wirkte sein Einmischen, und der gespannte Körper ihres Bruders erschlaffte, als er lauschend abwartete.

Irgendwie gelang es ihrem Großvater, mit langen, komplizierten Worten zu ihm vorzudringen, für die jeder Sozialarbeiter ihn empört aus dem Raum gewiesen hätte.

„Es wäre doch sehr zu bedauern, wenn Sie darüber meine Geschichte versäumen würden, nicht wahr?", endete er, während er sich seine Pfeife stopfte.

Benjamin trat einen Schritt zurück, Misstrauen deutlich ins Gesicht geschrieben. Zu oft hatten ihm Menschen Dinge versprochen, nur um ihn an schauderhafte Orte zu locken.

Ella brach das Herz bei diesem Blick, dass er nicht einmal mehr Großvater Bonifatius ganz vertrauen konnte, der ihn sein Leben lang behandelt hatte, wie einen normalen, fühlenden Jungen.

Doch der alte Kapitän selbst ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

„Es war eine Nacht wie die heutige", begann er unbeirrt, mit tiefer, geübter Stimme. „ Der Sturm brauste auf, das Meer peitschte und inmitten des Chaos schaukelte ein kleiner Fischerkahn, das Deck rutschig vom spritzenden Salzwasser."

Ella erschauerte, aber diesmal war es die gute Art von Schauder, wie sie einem nun einmal beim Hören einer spannenden Geschichte überkommt, zumal von einem Geschichtenmeister wie ihrem Großvater vorgetragen.

Sie beobachtete Benny, dessen Augen konzentriert geschlossen waren, als er sich wieder setzte, die Hände über seinen Mund gepresst als Zeichen, dass er sich selbst vom Sprechen abhalten wollte.

Andere Menschen sahen in komisch an dafür, aber er wollte nichts weiter, als dem Sprechenden bedeuten, dass er ihn nicht unterbrechen würde.

„An Bord befanden sich zwei Brüder. Der ältere, Jonathan, war ein selbstsicherer, beliebter junger Mann, dem die Mädchen im Dorf zu Füßen lagen, doch er liebte die Freiheit der See zu sehr, um sich zu binden. Der Name des jüngeren war Jakob, und er war in vieler Hinsicht das Gegenteil seines Bruders, ruhig und besonnen und ängstlich, einen neuen Weg einzuschlagen.

Ihre Eltern waren früh gestorben und hatten ihnen den Fischerkahn hinterlassen, und so fuhren die Brüder tagaus, tagein auf die See hinaus um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und manchmal schliefen sie dort auf dem Wasser, damit sie die Fische am nächsten Tag in der Früh nicht verpassten.

Sie hatten in ihrem Leben schon viele Stürme überstanden und fürchteten die See und ihre Launen nicht, was sie unvorsichtig machte."

Plötzlich ertönte ein lautes Rumpeln gegen die Bordwand, und Ella konnte sehen wie schräg sich der Tisch stellte, sodass sie erschrocken zusammenfuhr, von ihrem Großvater nicht unbemerkt.

„Anders, als all die alten Kapitäne auf See, die auch die schlimmsten Stürme schon durchsegelt hatten und wussten, wie weit nur sie dem Meer vertrauen konnten", fügte er mit einem amüsierten Funkeln in den Augen hinzu. Sein Tonfall veränderte sich nicht und der obligatorische Blick, den Ella ihrem Bruder zuwarf, tilgte ihre Sorgen zu großen Teilen wieder. Benjamin saß ruhig da und zeigte keine Regung.

Überrascht war sie nicht, natürlich würde er von so kleinen Geräuschen nicht eingeschüchtert werden; nicht wenn er das Meer so blind liebte, wie er es tat.

Trotzdem.

Die Jahre mit Benny hatten ihr gezeigt, dass man sich auf nichts zu sehr verlassen sollte.

Sie runzelte die Stirn, als er leise aufheulte, die Augen nach draußen gerichtet, als ob ihn etwas gestochen hätte.

Kurz darauf zuckte ein Blitz durch den Himmel und erhellte die kleine Schiffsküche.

Der Junge mit dem Meer im KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt