11. Sommer

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Ella ist sechzehn und sie hat Bedürfnisse. Zum Beispiel will sie abends weggehen. Oder davon Gebrauch machen, dass sie ihren ersten Alkohol kaufen darf. Und endlich die Liebe ihres Lebens kennenlernen. Sie will sein wie ein normaler Teenager in ihrem Alter, und dazu passt es leider nicht, den ganzen Sommer in einem kleinen Haus an der Küste zu sitzen und auf ihren Bruder aufzupassen.

Wenn sie schon nicht auf die Kanaren fliegen oder nach Marokko, dann will sie wenigstens mit einer Jugendreise weg, selbst wenn es nur zwei Wochen sind.

Jetzt, sieben Jahre nach jenem Sommer, den sie fast nicht hätte kommen dürfen, würde sie sich tatsächlich freuen, wenn sie über den Sommer zuhause bleiben könnte - ein paar von ihren Freundinnen bleiben auch, und haben davon geredet, wie sie Ausflüge an den nächsten Baggersee machen wollen und eine Gruppe Abiturienten sie gefragt haben, ob sie mit dem Auto mitfahren wollen, zu Clubs die eigentlich erst ab Achtzehn sind.

Alles ist spannender als ein Sommer bei Großvater Bonifatius, und Ella hasst dass sie die einzige zu sein scheint, die diesen Sommer nichts Spannendes erleben wird, einfach weil es nichts zu erleben gibt, das weiß sie nach unzähligen Besuchen nur zu gut.

Trotzdem gibt sie ihre Hoffnungen auf etwas Aufregung nicht auf.

Sie steht morgens früher auf und schminkt sich mit wasserfestem Mascara, und glättet ihre Haare und sucht sich passende Ohrringe und Ketten zu ihrem Bikini aus. Dann packt sie eine Tasche mit Sonnenhut und Handtuch, schicker neuer Sonnenbrille und den Modemagazinen die sie von einer Freundin geschenkt bekommen hat und zwingt Benny, mit ihr mit zum großen Strand zu kommen, zwei Orte weiter, wo die Touristen immer sind.

Sie würde ihn gerne bei Bonifatius lassen, damit er nicht wieder Quatsch macht, wenn sie kurz davor ist, mit einem netten jungen Mann ins Gespräch zu kommen, aber leider ist Bonifatius diesen Sommer wieder viel weg und sie kann ihren Bruder schlecht allein im Haus lassen, auch wenn er erstaunlich gut zurecht kommt. Vor den Ausnahmen hat sie trotzdem zu sehr Angst, und deshalb breitet sie sein Handtuch strategisch nah bei den Felsen aus, sodass er nicht so sehr den Blicken der Urlauber ausgesetzt ist während sie Ausschau nach möglichen Freunden hält.

Sie träumt davon, eine richtige Clique zu finden - coole Jungen und Mädchen, die wie sie den Sommer hier verbringen und jedes Jahr wiederkommen, mit denen sie abends Lagerfeuer am Strand machen kann und tagsüber mit einem alten Bus über die Landstraße fahren ohne sich anzuschnallen.

Dann könnte sie ihren Freundinnen von den dummen Wetten erzählen und den beinah-Romanzen und den Malen, die sie fast bei der Polizei gelandet wären, und alle wären neidisch auf sie, nicht umgekehrt.

Ella ärgert sich, dass sie sich nicht früher darum gekümmert hat, hier Freunde zu finden, aber das Ausgehen und Spaß haben hat für sie erst dieses Schuljahr so wirklich angefangen, sodass sie jetzt erst weiß, was sie davor verpasst hat.

Und auch wenn sie die ersten Tage am Strand vor Langeweile fast vergeht, gerade weil noch ein paar Grad zu wenig auf dem Thermometer angezeigt werden und die Touristen lieber in den größeren Städten die Promenaden entlang schlendern als sich dem kühlen Wind mit nasser Haut auszusetzen, scheint sie doch bald Glück zu haben.

Es ist ein Donnerstag, oder Freitag, genau weiß sie das in den Ferien nie, als gegen Mittag ein paar Jugendliche auftauchen, die nur etwas unterhalb von Ella und Benny ihre Sachen deponieren und dann am Meer Volleyball spielen.

Sie sind zu viert, drei Jungen und ein Mädchen, und haben eine Menge Spaß, als Ella sie heimlich durch die Sonnenbrille beobachtet.

Einer der Jungen verletzt sich bei einem Hechtsprung nach dem Ball und humpelt an den Rand des improvisierten Spielfeldes, sodass die anderen zwei gegen einen spielen und Ella ihre Chance sieht.

Der Junge mit dem Meer im KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt