Hogsmeade

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Ganz Hogwarts war unter einer dicken Schneedecke begraben. Die Eulen, die den wenigen, die über die Ferien hier geblieben waren, die Post brachten, schüttelten sich genervt den Schnee vom Gefieder und blieben ungewöhnlich lange am Tisch, um vielleicht einige Kekse abzubekommen oder sich einfach nur aufwärmen zu können, bevor sie wieder in die eisige Kälte nach draußen mussten.

Die Katastrophe, wie ich den Vorfall gern nannte, hatte entgegen meiner Erwartungen keinen Keil zwischen Zoe und mich getrieben, sondern uns nur noch enger zusammengeschweißt. Ihre Kenntnis von meinem Problem, von meinem wahren Ich, machte sie zu einer Verbündeten für mich. Trotzdem hatte ich nicht vor, die anderen nun auch darüber zu unterrichten. Zoe hatte mir zwar versichert, dass das sicher kein Problem wäre und niemand mich verstoßen würde, doch ich fand, dass es nicht nur zu meiner, sondern auch zur Sicherheit aller besser wäre, wenn sie nichts davon erführen.

Letztendlich würden sich alle nur zu viele Gedanken darüber machen, für wen von ihnen ich bereit wäre, über Leichen zu gehen - und jedes Wort meinerseits, dass es niemand von ihnen sei, würde nichts daran ändern. Am Weihnachtsmorgen, den ich zum ersten Mal in meinem Leben allein verbrachte, platzte jemand in den Schlafsaal, in dem ich mich gerade umzog, um zum Frühstück zu gehen.

"Guten Morgen, du Geburtstagskind", quiekte Zoe, als sie ich beinahe umrannte.

"Ähm, auch einen guten Morgen...", murmelte ich verwirrt und kratzte mich am Kopf. "Und danke", fügte ich schnell hinzu.

"Ich hab was für dich." Aufgeregt hüpfte sie in ihrem Schlafanzug vor mir auf und ab und zog hinter ihrem Rücken ein schmales Päckchen hervor.

"Oh Merlin, keine Geschenke", seufzte ich.

"Es ist Weihnachten und es ist dein Geburtstag! Wenigstens ein Geschenk kann ich dir ja wohl geben!", bettelte sie und fuchtelte mit dem Päckchen vor meinem Gesicht herum.

"Von mir aus", knurrte ich beleidigt. Ich wollte nicht, dass irgendjemand von meinen Freunden Geld für mich ausgab. Ein entspannter Tag in der Bibliothek oder vor dem Flügel wäre mir um so vieles lieber gewesen.

Das Geschenk war in schlichtes, braunes Papier eingewickelt und mit einer dunkelblauen Schleife versehen. Skeptisch durchtrennte ich die Verpackung und holte ein Heftchen hervor, das schon etwas älter aussah. Wie ich überrascht feststellte, war das gesamte Heft voller Noten für Klavier. Und es war von Debussy. Das war mir alles zu viel, um noch Zufall sein zu können. Meine Mutter fand, dass meine Improvisationen klangen wie Stücke von ihm.

"Woher weißt du davon?", flüsterte ich tonlos.

Zoe druckste ein wenig herum. "Betriebsgeheimnis", grinste sie. Doch diese Antwort ließ ich ihr nicht durchgehen. Mit ernstem Blick hielt ich sie am Arm fest; sie versuchte, ihn aus meinem Griff zu lösen, doch das gelang ihr nicht. "Vielleicht bin ich dir hinterhergegangen", gab sie schließlich kleinlaut zu und entlockte mir ein seltsames Geräusch, das ein bisschen klang wie das Quieken eines Schweins.

"Du bist was?", blaffte ich sie an. "Weißt du, wie gefährlich es ist, nachts im Schloss zu sein und nicht in deinem Bett?"

"Du weißt, dass dieses Argument sinnlos ist. Du bist nicht besser", sagte sie ruhig und lächelte mich an.

"Aber du brauchst den Schlaf!", protestierte ich.

"Nur einmal, wirklich", wandte sie schnell ein, bevor ich fortfahren konnte. "Und das, was du gespielt hast, das klang so schön. Es hat mich an die Musik erinnert, die meine Tante gerne hört. Und ähm, Jacques hat dann die Noten besorgt."

"Jacques weiß auch davon?", schrie ich. Verstand denn eigentlich niemand, dass ich keine Geschenke wollte; dass ich nicht wollte, dass jemand sich solche Mühe für mich gab? Ich wollte einfach nur in Ruhe alt werden, war das denn wirklich zu viel verlangt?

Kind Des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt