Professor Slughorn und das Geheimnis

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"Geht es dir gut?" - "Hallo?" - "Kannst du uns hören?" Unsanft klopfte mir eine Hand auf die Wange und rüttelte an meiner Schulter. "Ruhig!" - "Er wacht auf!" Verschiedenste Stimmen brabbelten durcheinander und ich verstand die Aufregung gar nicht. Über mich gebeugt stand das Mädchen aus Gryffindor, sie sah mir besorgt ins Gesicht, bevor sie mir ihre Hand reichte, um mir beim Aufstehen zu helfen. Irgendwie war ich in den Zwischenraum zwischen den beiden Sitzreihen gekommen. Verwirrt blinzelte ich ein paar Mal und sah ringsum in Augenpaare, die mich unsicher musterten.

"Du sahst aus, als hättest du Schmerzen", erklärte Trevor mir. "Alles in Ordnung?"

Langsam kam alles wieder zurück. Die dunklen, kalten Augen des Jungen, der mir gegenüber saß. Der Schmerz in meinem Rücken, in meinem ganzen Körper. Es gab keinen Zweifel. Ein Gefühl, dass mir die Tränen in die Augen trieb. Über die ganze Sache mit Aurora, Carl und dem Mord hätte ich beinahe vergessen, was ich war und was mir noch bevorstand. Aber dass es so schrecklich werden würde, oder dass ich meinen Menschen so sehr verabscheuen könnte, ohne überhaupt je ein Wort mit ihm gewechselt zu haben, war einfach eine Nummer zu groß für mich.

"He", rief mir das Mädchen wieder zu. "Kannst du aufstehen?"

Stumm nickte ich und reichte den beiden Schulsprechern meine Hand, um aufzustehen. Meine Beine fühlten sich schwach und ausgelaugt an, als wäre ich gerade die Anhöhe zum Riddle-Anwesen dreimal hintereinander hoch- und runtergerannt.

"Passiert dir das öfter?", erkundigte sich Amber, als ich endlich wieder eine aufrechte Position eingenommen hatte.

"Normalerweise nicht", murmelte ich und schämte mich. "War bestimmt - die Aufregung."
Obwohl alle Schüler im Abteil nickten, fühlte ich trotzdem die unangenehme Anspannung, die sich breit machte. Wahrscheinlich zweifelten jetzt alle anderen so sehr wie ich daran, ob ich wirklich der Richtige für diese Aufgabe war. Es machte eben keinen besonders guten Eindruck, wenn man nach fünf Minuten einfach so umkippte. Tom saß immer noch stumm auf dem Platz gegenüber von mir. Seine Augen waren dunkel wie Steine und ebenso kalt. Man sagte zwar, die Augen seien das Fenster zur Seele, aber die seinen wirkten nur gefühlslos und leer - verständlich, wer so schreckliche Sachen tat, hatte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht mal eine Seele. Er fixierte mich beinahe die gesamte Zeit über mit starrem Blick und ich hatte das Gefühl, komplett durchleuchtet zu werden. So, als würde er schon nach wenigen Sekunden hinter mein dunkles Geheimnis gekommen sein.

Die restliche Zugfahrt verlief - insofern man das sagen kann - recht entspannt. Die Gryffindors und Slytherins bekamen ihr Passwort ausgeteilt, ansonsten unterhielten wir uns über das Schuljahr und die Prüfungen, die uns erwarten würden und patroullierten den Gang auf und ab, da einige der Erstklässler der Meinung waren, unbedingt ihre noch nicht vorhandenen Zauberkünste mit denen eines anderen messen zu müssen.

Als wir aus dem Zug ausstiegen, klopfte mir sofort eine kräftige Hand auf die Schulter. "Da ist er ja, unser Vertrauensschüler." Anthony und Jacques standen vor mir und grinsten miteinander um die Wette. Jacques war über die Ferien erneut noch hübscher und größer geworden - und Anthony sah man an, dass er den Sommer bei seiner Familie und seinen (wie ich aus reichlichen Erzählungen wusste) verrückten Brüdern verbracht hatte. Nach kurzer Zeit kamen auch Edward, Ryan und Zoe zu uns. "Wieso hast du dich nicht gemeldet?" - "Wir hätten Quidditch spielen können." Anthony und Edward sahen ziemlich beleidigt aus wegen der Tatsache, dass ich über den Sommer hatte nichts von mir hören lassen. Aber Carl hatte meine Aufmerksamkeit rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche, komplett beansprucht.

"Tut mir ja leid", sagte ich entschuldigend. "Bei uns zu Hause gab's ein bisschen Stress."
Ryan holte zu mir auf, inzwischen war auch er etwas gewachsen. "Stress?", fragte er nach.

Kind Des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt