Verlust

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Die Prophezeiung hatte alles verändert. Obwohl niemand, nicht einmal Ryan, ihren vollständigen Wortlaut kannte, gab sie dem ganzen Orden des Phönix eine viel gewichtigere Rolle. Der Schwerpunkt unserer Organisation hatte sich verlagert; wo wir uns vorher vor allem darauf konzentriert hatten, neue Mitglieder zu gewinnen und den Menschen von Voldemort und seinen Leuten zu berichten, war jetzt hauptsächlich Sicherheit unser Thema.

Und ein großes Problem. Denn wie genau konnten wir für die Sicherheit unserer Mitglieder garantieren? Gar nicht, das wussten Dumbledore und ich beide sehr wohl selbst. Wir alle hatten doch quasi unser Leben schon aufs Spiel gesetzt, als wir über die Türschwelle des Eberkopfs getreten waren und dem ersten Treffen des Ordens beigewohnt hatten. Das hier war eine Sache, aus der wir unmöglich wieder herauskommen würden.

Das Fatale an der Sache war, dass es Mitglieder gab, die ihr Leben aktiv für uns andere riskierten - mitunter jeden Tag, so wie Eileen Prince, oder unbewusst, so wie Ryan. Die Gefahr, der sie ausgesetzt waren, war größer, als Dumbledore oder ich oder irgendein erfahrener Auror zu vermessen mochten, weil die Macht, gegen die wir kämpften, sich größtenteils im Verborgenen hielt. Würde ich nicht wissen, wie nah Tom Riddle uns allen war, dass er überhaupt noch lebte; und würde Eileen uns nicht regelmäßig mit Informationen aus seinem Umfeld versorgen, würde ich an der Sinnhaftigkeit des Ordens zweifeln.

Ein Großteil unserer Kraft wurde deshalb zum Schutz von Eileen und Ryan aufgewendet. Beide durften das Haus nicht mehr ohne Begleitung von mindestens zwei Auroren verlassen, ihre Kamine waren an ein geheimes Flohpulvernetzwerk angeschlossen, das man nur durch den Kamin im Eberkopf erreichen konnte. Beide benutzten ab und an Vielsafttrank, um das Aussehen eines willkürlich ausgewählten Passanten anzunehmen, wenn sie Erledigungen zu tätigen hatten. Die nächste Stufe an Sicherheit wäre ein Fidelius-Zauber, aber da dieser für beide einen enormen Verlust an Lebensqualität bedeutet hätte, beschlossen wir, uns diese Option nur für Notfälle offen zu halten.

Obwohl ich wusste, dass die Ryan und Eileen in theoretisch in Sicherheit waren, und ich stark daran zweifelte, dass Voldemort seine Zeit damit verschwenden würde, nach einem jungen Zauberer zu suchen, der eine vage Vermutung über seine Zukunft angestellt hatte, brachten mich die Gedanken an diese beiden Menschen an den Rande des Wahnsinns. Jedes Mal, wenn ich hörte, wie das Gartentor geöffnet wurde, konnte ich nichts gegen den sich aufdrängenden Gedanken an einen Leichnam mit feuerroten Haaren tun, musste mich ihm hingeben, musste miterleben, wie die Bilder, die ich um jeden Preis vermeiden wollte zu sehen, in meinen Geist eindrangen und sich einnisteten.

Aber nichts dergleichen geschah. Es vergingen Tage, Wochen, dann Monate, und irgendwann fiel die Anspannung Stück für Stück von mir ab - oder vielleicht gewöhnte ich mich einfach nur daran, so wie an einen widerlichen Geruch, den man nach einigen Minuten einfach nicht mehr wahrnimmt. Für eine Zeit glaubte ich wirklich, dass es so weitergehen würde; nicht für immer, das war mir wohl bewusst, aber doch so lange, bis wir eine bessere Lösung gefunden hatten, oder Tom ausgeschaltet war, oder irgendetwas anderes. Zu dieser Zeit war ich lange schon vom Pfad der rationalen Gedanken abgewichen. Ich gab mich Wunschdenken hin.

Wunschdenken, dass sich alles schon irgendwie ergeben würde.

Ich gab mir beste Mühe, die schmerzhaften Gedanken nicht zuzulassen, oder sie zumindest nicht zu beachten, aber als eines Abends, als ich mit Liora auf dem Sofa im Wohnzimmer saß und dem Regen dabei zuhörte, wie er an die Fensterscheibe prasselte, Edward ganz unvermittelt in unserem Wohnzimmer auftauchte, kam alles, was ich so erfolgreich verdrängt hatte, mit einem Schlag zurück.

"Beim Barte des Merlin", schrie Liora, sprang vom Sofa auf und drehte einige Runden im Wohnzimmer, wie um ihr überflüssiges Adrenalin loszuwerden. "Was fällt dir eigentlich ein?"

Kind Des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt