Das Ende einer Ära

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„Kundschaft für dich, Noel!" Mr Ollivander schwebte mit langen Schritten den Gang hinunter und direkt in das kleine Hinterzimmer, in dem ich gerade damit beschäftigt war, einen neuen Zauberstab aus Eschenholz herzustellen. Ich verdrehte die Augen. Meistens waren meine „Kunden" kleine Mädchen, die sich während meiner Schulzeit einen Narren an mir gefressen hatten und mich nun unbedingt wiedersehen wollten. Trotzdem erhob ich mich lächelnd, legte den halb fertigen Zauberstab auf den Arbeitstisch, drückte den Rücken durch und machte mich auf den Weg nach vorn ins Verkaufszimmer.

Seit ich hier arbeitete, wirkte der Verkaufsraum wesentlich weniger dunkel und bedrohlich. Die Zauberstäbe lagen geordnet in den Regalen – geordnet nach Holz, Kern, Länge und Biegsamkeit, die Schaufenster waren geputzt, der Thresen vom Staub befreit und vor dem Eingang stand an jedem Tag ein Schild, das unsere Kunden willkommen hieß. Mr Ollivander und ich hatten gemeinsam viel geschafft.

Aber das erste, was mir an diesem Vormittag auffiel, war, dass der Verkaufsraum einfach nur eins war: leer.

Keine begeisterte Mutter sprang um mich herum, während sie ihren vollkommen überforderten Spross hinter sich herzog, kein mürrischer alter Zauberer reichte mir seinen zerknacksten Zauberstab, kein Ministeriumsangestellter brachte mir einen Zauberstab, den es zu untersuchen galt.

Nur in der geöffneten Ladentür, direkt unter der Glocke, die jedes Mal läutete, wenn jemand den Laden betrat, stand eine Person, die ich nicht wiedersehen wollte. Tom Riddle.

„Kundschaft?", fragte ich gehässig und trat hinter den Thresen. „Wo brennt's denn? Soll ich machen, dass man an deinem Zauberstab einen Unverzeihlichen Fluch nicht nachweisen kann?" Ich zog die Augenbrauen zusammen.

Tom schob die Hände in die Taschen seines Mantels, rümpfte die Nase und schenkte mir dann ein säuerliches Lächeln. „Ausgesprochen witzig, wirklich."

„War kein Witz", erwiderte ich und nestelte in den Schubkästen des Thresens herum, um geschäftig zu wirken. Als ich ihm in sein Gesicht sah, stockte ich für einen Moment. Ich hätte Tom Riddle nie als abschreckend, noch nicht einmal als unattraktiv beschrieben, aber in den letzten eineinhalb Jahren, in denen wir uns nicht gesehen hatten, war sein Gesicht noch einmal wesentlich markanter und männlicher geworden, seine Haare hingen ihm wie eh und je in ihrem unverkennbaren Schwung in die Stirn und seine Augen waren noch dunkler und unergründlicher, so, dass es schwer war, sich wieder von ihnen loszureißen.

„Haben wir heut schlechte Laune?" Er lehnte sich auf den Kassentisch und lachte leise. „Ich dachte einfach, ich komme mal vorbei und sehe nach, wie es dir so ergeht. Immerhin habe ich heute meinen freien Tag."

„Freien Tag?", wiederholte ich.

„Ja, von der Arbeit." Er spielte gelangweilt an seinen Fingern herum.

„Arbeit?", fragte ich erneut, etwas ungläubig.

„Merlin", seufzte er, „von dem Ravenclaw scheint nicht mehr viel übrig geblieben zu sein! Mr Burke hat mich natürlich mit Freude für länger bei sich eingestellt." Er lächelte süffisant.

„Aha", machte ich und ließ das Gesagte für eine kurze Zeit auf mich wirken. Tom Riddle arbeitete also seit über einem Jahr in meiner unmittelbaren Umgebung und ich hatte ihn bisher nicht ein einziges Mal gesehen, nicht einmal Verdacht schöpfen können, dass er sich so nah bei mir befand. Gehofft hatte ich, dass er vielleicht weggegangen wäre, in irgendein fremdes Land, um irgendwelche Forschungen anzustellen, neue Zaubersprüche zu entwickeln – irgendetwas zu tun, dass dem Geist und dem Wissen von Tom Riddle würdig wäre. Niemals hatte ich damit gerechnet, dass er in einem finsteren Laden für schwarzmagische Objekte einen höchstwahrscheinlich unterbezahlen, miesen Job annehmen würde! Deshalb war die einzige Sache, die ich sagen konnte: „Was machst du denn dort?"

Kind Des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt