Toms Besuch

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A/N: Fühlt sich noch jemand durch Tom Odell an Kurt Cobain erinnert?

***

In meinem Kopf rauschten noch die Gedanken darüber, was eine angebrachte Begrüßung für Tom wäre, den ich hier, genau vor meiner Tür, am wenigsten erwartet hatte, aber als hinter mir geräuschvoll die Tür ins Schloss krachte, zuckte er schon zusammen und fuhr hoch.

"Äh, guten Tag... Schätze ich", murmelte er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

Ich antwortete nichts. Ich war viel zu verwirrt davon, dass er so plötzlich hier aufgetaucht war, nach einer Nacht, in der zwei Drittel meiner Träume von seiner Familie gehandelt hatten.

"Ich weiß, ich weiß. Ich hatte schon überlegt, ob ich klopfen oder klingeln soll, aber dann dachte ich, dass dich das nur irgendwie stören würde."
"Wäre ja das erste Mal", zischte ich sarkastisch.
"Deshalb hab ich ja gewartet. Und ich hatte Glück." Tom lächelte schwach.

"Willst du auch was? Ich hab noch Dinge zu erledigen", knurrte ich und schulterte meinen Rucksack. Ich musste ihm ja nicht sagen, dass ich eigentlich nicht wirklich etwas zu erledigen hatte bis auf meinen Einkauf, und dass sich in meinem Rucksack nur ein Handtuch und Wechselsachen befanden. Ich war schon auf dem Weg zum Gartentor, als Tom anscheinend wieder einfiel, weshalb er hergekommen war.

"Ich habe eine Bitte."

Hörte ich richtig? Eine Bitte? Keine Forderung, keinen Befehl? Kein Druck, und es würde einzig und allein von meiner Entscheidung abhängen? Eine Bitte von Tom Riddle? Ich wurde neugierig.

"Ich höre", forderte ich und genoss das Gefühl des Triumphes, das sich in mir breit machte. Ich saß wahrscheinlich zum ersten Mal während dieser ganzen Tom-Riddle-Sache am längeren Hebel, und es fühlte sich einfach fantastisch an.

"Es wird ein bisschen länger dauern", murmelte Tom kleinlaut und fingerte an seinem Buch herum. Warum hatte er das überhaupt mitgebracht? Hatte er in den Sommerferien auch so viele wichtige Termine, dass er sie in sein Buch einschreiben musste? "Können wir vielleicht nach drinnen gehen? Das ist nichts, was ich zwischen Tür und Angel besprechen möchte."

Es widersprach meiner Theorie über Gut und Böse, Tom in mein Zuhause, mein Heiligtum, zu lassen. Seine Feinde, und als genau das betrachtete ich ihn, sollte man nicht dorthin lassen, wo sie einem ungehindert Schmerzen zufügen konnten. Aber irgendetwas an ihm, vielleicht die Tatsache, wie er mit mir zum ersten Mal sprach, als wären wir auf Augenhöhe, ließ meine harte Grenze zwischen Feind und Freund aufweichen und plötzlich war Tom Riddle beides. Er war mein Feind, aber er war jemand, der es irgendwie geschafft hatte, von London hierher zu reisen, weil er so dringend mit mir sprechen wollte, dass es die restlichen sechs Wochen nicht hatte warten können.

"Meinetwegen", brummte ich, drehte mich um und schloss meine Haustür wieder auf. Tom folgte mir zögerlich, anscheinend schien er nicht erwartet zu haben, dass ich so schnell seiner Bitte nachgehen würde.

Trotzdem setzte er sich gegenüber von mir an den schiefen Küchentisch und wir starrten uns an wie Geschäftsmänner, die eigentlich nichts an den anderen abgeben wollten. Tom sah fremd aus in meinem Haus. Ich hatte erwartet, er würde sich etwas lockerer kleiden, wenn wir nicht in der Schule waren - wie ein normaler Sechzehnjähriger eben. Stattdessen trug er noch immer einen grauen Anzug und sogar seine Slytherin-Krawatte. Ich fragte mich, was wohl die anderen Kinder im Waisenhaus und besonders seine Aufsichtspersonen dazu sagten.

"Schön hast du's hier", sagte er und spielte nervös mit seinen Fingern herum.

"Komm zum Punkt", sagte ich heftig und setzte mich aufrechter hin.

Kind Des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt